Es gibt Dinge im Leben von Paul Biedermann, die schiebt der Schwimmstar lieber vor sich her. Beim "Projekt Führerschein" macht der Hallenser zum Beispiel seit Jahren keinerlei Fortschritte.
Im Becken aber, das hat seine beeindruckende Rückkehr bei der DM in Berlin mit dem Titel-Triple gezeigt, hat der 27-Jährige seine Bequemlichkeit abgelegt. Im Herbst seiner Karriere erfindet sich der Weltrekordler sogar ein wenig neu.
"Ich muss mich an die Weltspitze anpassen, nicht umgekehrt", sagt Biedermann über seine neue Renntaktik. Die neunmonatige Wettkampfpause wegen eines verschleppten Infekts habe er aber auch zur Selbstfindung genutzt: "Die Pause war wichtig, um Abstand zu finden. Schwimmen ist immer noch das Wichtigste, aber nicht mehr alles."
"Die Last purzelt bei jedem Rennen ab"
Aus dem Motivations-Loch, in das er nach den medaillenlosen Olympia-Auftritten von London gefallen war, ist Biedermann herausgeklettert. Nach seinem Finalsieg über 400 m Freistil wirkte er wie von einer Last befreit, vom Auftakterfolg beflügelt gewann er auch über 100 und 200 m. "Ich merke, wie mit jedem Rennen Last von mir abpurzelt", verriet der Doppel-Weltmeister von 2009.
Sein Triumph über 100 m Freistil in der besten Zeit, die er je ohne High-Tech-Anzug geschwommen ist (48,31 Sekunden), ist das Resultat einer taktischen Neuorientierung.
Um seine Chancen bei der Heim-EM im August in Berlin auf seiner Paradestrecke 200 m Freistil zu erhöhen, hat Biedermann die erste Rennhälfte verstärkt trainiert. "Da muss er wenigstens an der Wade der anderen dran sein", sagt Heimtrainer Frank Embacher.
Nicht jünger, aber engagierter
Sollte ihm das zum Beispiel im Duell gegen den französischen Doppel-Olympiasieger Yannick Agnel gelingen, sei vielleicht sogar EM-Gold möglich, glaubt Bundestrainer Henning Lambertz: "Wenn es auf die letzte Bahn geht und beide eng beieinander liegen, weiß ich nicht, auf wen ich mein Geld setzen würde."
Ob der neue Fokus auf die kurze Strecke bedeutet, dass er bei der EM auf seiner Weltrekordstrecke über 400 m nicht startet, ließ Biedermann offen. Entscheidend ist, ob seine Medaillenchancen dort oder mit der 4x100-m-Freistilstaffel größer sind. Mit den Kräften muss Biedermann mittlerweile haushalten: "Ich werde nicht jünger."
Nicht jünger, aber engagierter. "Es macht deutlich mehr Spaß, weil er jetzt auch wieder die Belastung annimmt und emotional ganz anders dabei ist als vor der Pause", sagt Embacher.
Auch das Comeback von Rivale Michael Phelps setze bei seinem Schützling Kräfte frei: "Der Name Michael Phelps löst bei Paul etwas aus."