Gerade hatte Paul Biedermann noch erwartungsfroh vom Finale geplaudert, da versteinerte seine Miene. Auf dem Bildschirm sah der Weltrekordler, wie er in letzter Sekunde noch aus dem Endlauf purzelte. Gleich zum Auftakt der Heim-EM hatte sich der deutsche Schwimmstar gewaltig verzockt und über 400 m Freistil um sieben Hundertstelsekunden seine erste Chance auf eine Medaille verpasst.
Geschockt und sprachlos flüchtete der 28-Jährige aus dem Berliner Velodrom. Erst eine halbe Stunde später ließ er über den DSV-Pressesprecher ausrichten: "Ich bin selber schuld. Ich habe das Rennen falsch eingeschätzt." An der Seite des Doppel-Olympiasiegers Yannick Agnel hatte der Titelverteidiger in seinem hochkarätig besetzten, aber langsamen Vorlauf nach 3:50,42 Minuten den dritten Platz belegt - 39 Hundertstel vor seinem französischen Rivalen.
"Ein bisschen verschätzt"
"Ganz zufrieden" sei er damit, "ich will im Finale meine beste Leistung zeigen", sagte er - ehe im letzten Vorlauf noch sechs Schwimmer schneller waren. "Fehlende Wettkampfkilometer und fehlende Sicherheit" machte sein Heimtrainer Frank Embacher als Grund aus, "dadurch ist es passiert, dass er seine Geschwindigkeit nicht richtig einschätzen konnte."
Auch Bundestrainer Henning Lambertz gab zu, dass Biedermann sich "ein bisschen verschätzt" habe. Eine dreiwöchige Krankheitspause in der EM-Vorbereitung hatte den Doppel-Weltmeister von 2009 aus dem Tritt gebracht. Viel Zeit, über den Fehlstart nachzudenken, hat der Hallenser nicht. Bereits am Dienstagmorgen geht er über seine Lieblingsstrecke 200 m Freistil an den Start - ebenfalls als Titelverteidiger und Medaillenkandidat.
"Alle Körner reinlegen"
"Ich konzentriere mich jetzt ganz auf die 200", ließ Biedermann ausrichten. Und Lambertz riet ihm: "Alle Körner reinlegen und dann Vollgas." Eine ähnliche Enttäuschung wie zum Auftakt erwartet Heimtrainer Embacher nicht: "Alle Paramater zeigen: Da geht noch was."
Einer, der Biedermann aus dem Finale drängte, war Clemens Rapp. Der Heidelberger schwamm die viertbeste Zeit. Über einen Endlaufverzicht wie bei der WM 1994 von Dagmar Hase zugunsten der späteren Weltmeisterin Franziska van Almsick dachte er nicht eine Sekunde nach: "Nein, das mache ich nicht. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Aber ich freue mich für mich."
Erinnerung an London
Mit dem Vorlauf-Aus über 400 m wurden Erinnerungen an Olympia 2012 wach. Auch in London hatte Biedermann am ersten Tag überraschend das Finale verpasst, am Ende blieb er wie die gesamte deutsche Becken-Mannschaft ohne Medaille. Im Vorfeld der Heim-EM hatte sich der Weltrekordler, der wegen gesundheitlicher Probleme die komplette Saison 2013 ausgelassen hatte, als "kleine Wundertüte" bezeichnet.
Die anderen DSV-Schwimmer ließen sich von Biedermanns Fehlstart nicht anstecken. "Es gibt mehr lachende als traurige Gesichter", stellte Bundestrainer Lambertz nach den ersten Rennen fest. Vize-Europameisterin Jenny Mensing (Wiesbaden) als Schnellste über 200 m Rücken und Kurzbahn-Weltrekordler Steffen Deibler (Hamburg) als Dritter über 50 m Schmetterling zogen problemlos in ihre Halbfinals ein - wie fünf weitere DSV-Schwimmer auch.