"Ich sehe den Ball fliegen, und er ist so groß wie eine Wassermelone. Es ist für mich praktisch unmöglich, ihn nicht optimal zu treffen." So sprach der neue Weltranglistenzweite Novak Djokovic nach seinem Turniersieg in Indian Wells vom vergangenen Wochenende.
Lange Zeit kämpften Roger Federer und Rafael Nadal um die Vorherrschaft im Tennis-Universum. Novak Djokovic war zwar auch immer da, aber gegen die beiden Großen war selten mehr als ein Achtungserfolg für den Serben drin. Im Jahr 2011 hat sich die Lage etwas geändert. Djokovic hat bisher an vier Turnieren - den Australian Open, Dubai, Indian Wells und Miami - teilgenommen und alle vier gewonnen.
Federer phasenweise vorgeführt
Man könnte jetzt Losglück oder ähnliche Umstände vermuten, aber weit gefehlt. Bei den 24 Matches, die der Djoker 2011 gewonnen hat, setzte er sich achtmal gegen Spieler aus den Top Ten durch. Darunter zweimall gegen Nadal und gar dreimal gegen Federer, dem Nole inzwischen in seinen Albträumen erscheinen dürfte. In Indian Wells konnte der Schweizer Djokovic immerhin einen Satz abringen, aber im Finale von Dubai führte Djokovic den Rekord-Grand-Slam-Champion Federer phasenweise regelrecht vor.
Zumindest darf sich Federer damit rühmen, Djokovic die letzte Einzel-Niederlage in einem offiziellen Match auf der ATP Tour zugefügt zu haben. Im November 2010 besiegte der Schweizer Nole im Halbfinale des Masters-Cups in London.
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Warum ist Djokovic derzeit der große Dominator auf der Tour? Zum Glück gibt es ja zu jeder Bewegung eines Spielers auf dem Tennisplatz eine Statistik. Auf der Homepage der ATP kann man dann ablesen, mit welcher Häufigkeit der erste Aufschlag ins Ziel findet, wie viele Breakbälle ein Spieler zugelassen und welchen Prozentsatz davon er abgewehrt hat.
Der Return als größte Waffe
Vergleicht man auf Basis dieser ganzen Statistiken die "großen Drei" Nadal, Djokovic und Federer, gelangt man schnell zu einer bahnbrechenden Erkenntnis: Mit einer Ausnahme sind die drei Tennis-Koryphäen 2011 bei allen Erhebungen nahezu gleichauf. Djokovic hat aber eine Waffe, die seinen unglaublichen Lauf erklärt: den Return.
Djokovic gewinnt sage und schreibe 43 Prozent seiner Returnspiele. Das bedeutet, er breakt seine Gegner statistisch gesehen in fast jedem zweiten Aufschlagspiel. Bei Nadal sind es immerhin noch 35 Prozent, bei Federer gar nur 30 Prozent. Gleiches Bild bei den verwandelten Breakbällen: Djokovic nutzt 50 Prozent seiner Breakmöglichkeiten, bei Nadal sind es 44 Prozent. Federer ist auch hier Schlusslicht mit 40 Prozent genutzter Breakchancen.
"Training zahlt sich aus"
Ein weiterer Aspekt in Djokovics Spiel ist seine unglaubliche Physis. Der Serbe hat das Ausrutschen der Bälle - früher nur auf Sand praktiziert - auf den Hardcourts dieser Welt praktisch erfunden. Trotzdem ist er bei weitem nicht so verletzungsanfällig wie beispielsweise Nadal. Die Erklärung ist auch hier so einfach wie banal: Training. "Ich habe in den letzten zehn Monaten sehr hart an meiner Kondition und meiner Beweglichkeit gearbeitet. Jetzt scheint sich das auszuzahlen", sagte der Serbe nach seinem Australian-Open-Sieg im Interview mit "atpworldtour.com".
Trotzdem geht es natürlich auf dem Niveau, auf dem sich Djokovic, Nadal und Federer bewegen, in erster Linie um Tagesform, Selbstvertrauen und das berühmte Momentum. Denn wie groß ein Tennispatz ist und was man darauf alles anstellen kann, das wissen sicherlich alle drei gleichermaßen.
Gerade der mentale Aspekt scheint bei Djokovics Siegen gegen Federer und Nadal eine wichtige Rolle zu spielen. Djokovic weiß jetzt, dass er jeden schlagen kann und dieses Selbstbewusstsein strahlt er auch auf dem Platz aus. "In meinem Kopf hat es klick gemacht", wird Djokovic bei "tennis.com" zitiert.
"Ein bisschen besser als der Rest"
Auf der anderen Seite sind Federer und Nadal natürlich inzwischen gewarnt, wenn auch beide in aktuellen Interviews nur lobende Worte für Djokovic finden. "Ich glaube, dass ich wirklich gutes Tennis spiele, aber momentan ist Novak einfach ein bisschen besser als der Rest", gestand Federer in der Pressekonferenz nach seiner Halbfinal-Niederlage in Indian Wells ein. Auch Nadal sparte nicht mit Lob: "Er ist ein großartiger Spieler und kommt auf allen Belägen zurecht."
Die verschiedenen Beläge sind ein gutes Stichwort. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass Hartplatz Djokovics bevorzugter Belag ist, wie könnte also die Sandplatz- oder die Rasensaison verlaufen? Djokovic stand sowohl in Roland Garros als auch in Wimbledon bereits zweimal im Halbfinale. Nimmt er das Selbstvertrauen aus der US-Hartplatzsaison mit nach Europa, wird er auch auf den anderen Belägen nur ganz schwer zu stoppen sein.
Klare Worte an die Konkurrenz
Nole weiß jetzt endgültig um seine herausragenden Fähigkeiten und hatte nach seinem Sieg in Indian Wells sogar eine Kampfansage an die Konkurrenz parat: "Ich will weiterhin jedes Mal gewinnen, wenn ich auf den Tennisplatz gehe. Das wird hier nicht aufhören, defnitiv nicht."
Man darf trotzdem nie vergessen, dass Tennis ein schnelllebiges Geschäft sein kann. Wer heute ganz oben steht, kann morgen schon wieder abgelöst werden. Aber im Moment hat der Djoker die Vorherrschaft in Gotham City übernommen und Batman Nadal und Robin Federer aus der Stadt gejagt.
Die aktuelle ATP-Weltrangliste