Das Finale der French Open 2011 verlief wie so viele direkte Duelle zwischen Federer und Nadal: Die Leichtfüßigkeit und Eleganz des Schweizers waren über weite Strecken eine Augenweide, doch am Ende des Tages siegte erneut der Spanier.
So mittelmäßig Nadal im Turnier zuvor auch gespielt haben mag, als es gegen seinen großen Rivalen ging, war er wie immer da: nervenstark, kampfstark und mit einer Fehlerquote, die im Grunde gar nicht vorhanden war.
"Was krieg' ich zu Weihnachten?" - Nadal und Federer beim Videodreh
"Er hatte nicht besonders toll gespielt, sein Selbstvertrauen war nicht besonders groß", analysierte auch Legende Andre Agassi. "Aber wenn er Roger auf der anderen Seite sieht, relaxt er und fühlt sich wohl. Weil er einfach weiß, dass er ihn jeder Zeit schlagen kann."
Nadal im direkten Vergleich klar besser
Federer hat zwar durchaus die Mittel, die Nummer eins der Welt in Bedrängnis zu bringen - die Anfangsphase des ersten Satzes zeigte dies -, es gelingt ihm aber nicht konstant, seine vorher geplante Marschroute konsequent durchzuziehen.
Seine einhändige Rückhand passt nicht so recht zum Topspin-Spiel Nadals, seine Vorhand verließ ihn in entscheidenden Momenten, sein Aufschlag war längst nicht so dominant wie in den Spielen zuvor.
Ohne Frage haben die vergangenen direkten Duelle auch in psychischer Hinsicht Spuren hinterlassen: Das Einknicken Federers im vierten Satz belegte dies eindrucksvoll.
Die Folge: Im direkten Vergleich führt Nadal inzwischen überdeutlich mit 17-8, bei den French Open wartet Federer auch nach dem fünften Match noch auf sein erstes Erfolgserlebnis.
Nadal: "Der Druck ist jetzt weg"
"Das ist eine große Genugtuung. Endlich habe ich in diesem Jahr mein bestes Tennis zeigen können, als ich es am dringendsten gebraucht habe", bestätigte Nadal die Eindrücke des Endspiels. "Bei den French Open sind meine Chancen wahrscheinlich besser als bei jedem anderen Grand-Slam-Turnier. Wenn ich hier gewinne, ist meine Saison ein Erfolg. Und der Druck ist für den Rest des Jahres weg."
Federer gilt gemeinhin als bester Spieler aller Zeiten. Er hat auf allen Belägen große Turniere gewonnen, hat nach Pete Sampras die längste Zeit auf Platz eins der Weltrangliste gestanden und hält mit 16 Grand-Slam-Siegen den Rekord vor dem US-Amerikaner (14).
Es gibt also gute Gründe für diese Einschätzung. Aber: An welchem Punkt muss man eigentlich ernsthaft darüber nachdenken, ob Nadal nicht schon jetzt dabei ist, Federer auch in dieser Hinsicht zu überflügeln?
Oder anders gefragt: Wie kann jemand der Größte aller Zeiten sein, wenn er von einem direkten Konkurrenten in nahezu jedem Aufeinandertreffen dominiert wird?
Totale Dominanz - auch in Wimbledon
Denn Nadals Dominanz beschränkt sich bei weitem nicht nur auf die French Open beziehungsweise den Sandbelag allgemein. In Wimbledon, Federers Lieblingsturnier, hat der gerade einmal 25-Jährige seit 2007 nicht mehr verloren.
2008 und 2010 gewann der Spanier, 2009 konnte er aufgrund einer Verletzung nicht antreten. 2006 und 2007 verlor er erst im Finale - gegen Federer.
Nadal - Federer: Das Finale der French Open im Re-Live
Es waren gleichzeitig die einzigen Finalniederlagen, die Nadal jemals bei einem Grand-Slam-Turnier hinnehmen musste. 2010 schnappte er sich darüber hinaus zum ersten Mal auch die US-Open-Krone, bereits ein Jahr zuvor gelang ihm das gleiche Kunststück in Melbourne bei den Australian Open.
Nicht nur Federer, auch Nadal hat also den Career-Grand-Slam in der Tasche - und das in einem Alter, in dem Federer noch weit davon entfernt war.
"Zehn Titel sind eine ganze Menge"
Nach Björn Borg - dessen French-Open-Rekord (sechs Paris-Titel) Nadal am Sonntag einstellte - ist Nadal der jüngste Spieler, der zehn Grand-Slam-Titel einstrich. Federer war ein knappes halbes Jahr älter.
"Zehn Titel sind eine ganze Menge", lobte der Schweizer. "Er weiß das, ich weiß das, jeder weiß das. Ich freue mich für ihn. Denn er hat gut gespielt und sich den Sieg verdient."
In Bezug auf seine eigene Person sagte Federer: "Ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Aber es war ein gutes Turnier für mich." In der Tat zeigte er einmal mehr seine Klasse, und das zu einem Zeitpunkt, als ihn viele Fans und Experten schon abgeschrieben hatten.
Nach Jahren der Dominanz und zwischenzeitlich 23 Halbfinaleinzügen in Folge (20 Mal erreichte er dabei auch das Endspiel) hatten zuletzt vier Grand-Slam-Finals in Serie ohne Federer stattgefunden.
Djokovic und Co. machen Jagd auf Federer
Neben Nadal gilt inzwischen Novak Djokovic als der Topmann der Szene, jüngere Spieler wie Andy Murray, Robin Söderling oder der wieder genesene Juan Martin Del Potro machen Druck von hinten.
Seine Aura der Unbesiegbarkeit hat Federer längst eingebüßt. Aber dass er nicht mehr zur absoluten Weltspitze gehören soll, widerlegte er in Paris eindrucksvoll.
Trotz vieler verpasster Chancen und leichter Fehler bei wichtigen Punkten sah er bei einer Niederlage gegen Nadal auf Sand selten so gut aus. Er wirkte frisch, motiviert und kreativ.
"Ich habe einige Möglichkeiten liegen gelassen, auf der anderen Seite ist mir auch viel gelungen", war Federer hin- und hergerissen zwischen Enttäuschung und Stolz. "Ich konnte Rafa hier und da das Leben schwer machen. In Wimbledon habe ich jetzt Großes vor."
Federer gibt nicht klein bei
Trotz der immer stärker werdenden Konkurrenz seiner inzwischen 29 Jahre ist Federer also längst nicht bereit, klein beizugeben. Nicht gegenüber dem Djoker, Murray und Co. Aber auch nicht gegenüber Nadal, mit dem er sich zumindest selbst weiter auf Augenhöhe sieht.
Fragt man den vorbildlichen Sportsmann Nadal, wer denn nun der beste Spieler aller Zeiten sei, gibt der stets nur eine Antwort: Roger Federer.
Doch eine immer größer werdende Zahl von Fans und Experten wird dagegen halten, dass der Spanier noch viele gute Jahre vor sich hat und eines Tages selbst die größte aller Tennislegenden sein wird.
Und wenn Nadal weiter in dem aktuellen Tempo Titel einstreichen und Federer dabei immer wieder besiegen sollte, wird auch er selbst in einigen Jahren nicht mehr die Augen davor verschließen können, dass er Größeres geleistet hat als sein großes Vorbild.
Tennis: Die aktuelle ATP-Weltrangliste