Immer wieder hob Victoria Azarenka fragend die Hände, blickte mit großen Augen zu ihrem Team auf der Tribüne und schüttelte ungläubig den Kopf. "Was ist passiert?", rief die 22 Jahre alte Weißrussin ein ums andere Mal, nachdem sie sich aus dem Kniestand wieder erhoben hatte.
Sie konnte nicht realisieren, dass sie in ihrem ersten Grand-Slam-Finale auch gleich den Hauptpreis gewonnen hatte, den mit umgerechnet 1,86 Millionen Euro dotierten Titel der Australian Open. Sie lief zu ihren Betreuern, die ihr sagten: "Das ist deine Zeit." Eine ziemlich treffende Formulierung, denn mit dem 6:3, 6:0-Sieg im Finale gegen die chancenlose Russin Maria Scharapowa ist Victoria Azarenka auch die Nummer eins im Frauentennis.
Als die bisherige Dritte im Ranking von der früheren Weltranglistenersten Martina Hingis aus der Schweiz den silbernen Pokal erhalten hatte, stemmte sie mit einem nicht mehr enden wollenden Lächeln die silberne Trophäe in den Abendhimmel von Melbourne.
"Ein Traum ist wahr geworden", sagte die aus Kiew stammende und in Scottsdale in den USA ausgebildete Spielerin. Sie hatte nur 82 Minuten für seine Realisierung gebraucht. Allein der dritte von fünf Sätzen des Männer-Halbfinales am Abend zuvor zwischen dem späteren Sieger Novak Djokovic und Andy Murray war sechs Minuten länger gewesen.
Fünfte unterschiedliche Grand-Slam-Siegerin hintereinander
Victoria Azarenka, die die Regentschaft der auf Rang vier zurückgefallenen Dänin Caroline Wozniacki übernimmt, ist die fünfte unterschiedliche Siegerin hintereinander bei den vier großen Turnieren. Das spricht für eine breite Spitze im Frauentennis, aber gegen die bei den Männern mit ihren vier herausragenden Spielern herrschende Konstanz auf allerhöchstem Niveau.
Vor einem Jahr hatte die Belgierin Kim Clijsters in Melbourne gewonnen, die vor zwei Tagen im Halbfinale von Azarenka besiegt worden war. In Paris gewann die Chinesin Li Na, in Wimbledon schnappte die Tschechin Petra Kvitova Finalgegnerin Scharapowa den Titel weg, in New York gewann die Australierin Sam Stosur.
Altmeisterin Chris Evert kommentierte: "Wie Kvitova und Stosur hat Azarenka heute das Match ihres Lebens gespielt." Danach hatte es zunächst aber gar nicht ausgesehen. "Ich war super nervös. Die ersten beiden Spiele waren ein Desaster", bekannte Azarenka nach dem Match. Mit zwei Doppelfehlern gab sie gleich ihr erstes Aufschlagspiel ab.
Im Duell der beiden Spielerinnen, die wegen ihres heftigen Stöhnens von den australischen Medien als "Kreisch-Königinnen" bezeichnet wurden, ging die lautstärkere Scharapowa 2:0 in Führung. Doch dann befreite sich Azarenka von dem Druck des großen Ereignisses, fand ihren Rhythmus und glich mit einen Rebreak zum 2:2 aus.
Neun Spiele hintereinander gewonnen
Bis zum 3:3 konnte die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Scharapowa noch mithalten, dann machte sie kein Spiel mehr. "Sie spielte schneller, ihre Schüsse waren härter und ich war nicht aggressiv genug, das ist keine gute Kombination", stellte Scharapowa sarkastisch fest. Azarenka, die in ihrer Karriere bislang acht Turniere gewonnen und das Halbfinale in Wimbledon als größten Erfolg in der Vita stehen hatte, machte mit der 24-Jährigen, was sie wollte.
Scharapowa stöhnte immer intensiver, Asarenka gab den Ton an. Die physisch, technisch, taktisch und mental überlegene Final-Debütantin gewann neun Spiele hintereinander. "Ich habe keine Ahnung, was ich da draußen gemacht habe", bekannte die Titelträgerin.
Beim Matchball produzierte Scharapowa mit ihrer ins Netz geschossenen Rückhand den 30. Fehler, ihre Gegnerin machte nur deren zwölf. Der Russin gehörte das letzte Stöhnen, aber Victoria Azarenka ist jetzt der letzte Schrei.