Eine Niederlage kann befreiend wirken, ist sie auch noch so bitter. Die Enttäuschung über das verpasste Halbfinale im Davis Cup stand Teamchef Carsten Arriens ins Gesicht geschrieben, doch in seinen Worten schwang der Stolz über den gelungenen Neuanfang mit.
Das 2:3 in Frankreich soll der Beginn der Zukunft des deutschen Männer-Tennis sein; einer Zukunft ohne Zoff - und wahrscheinlich auch ohne Philipp Kohlschreiber.
Er werde zur etatmäßigen deutschen Nummer zwei "zeitnah Kontakt aufnehmen", sagte Arriens, der sich zuvor lange gescheut hatte, das Thema Kohlschreiber öffentlich zu erörtern: "Wir werden dann sehen, ob er ein Teil des Teams sein kann. Momentan sehe ich das kritisch." Eine deutliche Aussage - ganz besonders für den harmoniebedürftigen Bundestrainer.
Künftig ohne Haas
Noch deutlicher wurde Arriens bei der Personalie Tommy Haas. Der langjährige deutsche Spitzenspieler - seit kurzem 36 Jahre alt - wird nicht mehr für die DTB-Auswahl auflaufen. Es sei nun die Zeit für jüngere Spieler angebrochen, sagte Arriens in Nancy.
Doch verzichtet der Kapitän mit seinen beiden Top-Spielern nicht auch auf den Erfolg und riskiert damit den Abstieg aus der Weltgruppe? Immerhin steht das Potenzial der streitlustigen Kohlschreiber und Haas außer Frage.
Sind sie gesund, spielen sie (noch) in einer anderen Liga als Peter Gojowczyk und Tobias Kamke, die in Frankreich überrascht haben.
"richtige Mischung finden"
Die "richtige Mischung" im Team sei ein komplexes Thema sagte Arriens im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID). Bis zur nächsten Partie habe er nun fast ein Jahr Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
"Ich muss abwägen: Will ich Spieler haben, die vielleicht ein wenig exzentrisch und Individualisten, aber großartige Sportler sind?", fragt sich Arriens: "Oder mische ich das mit einem Spieler, der vielleicht nicht die allerletzte Qualität hat, aber dafür den Teamgeist fördert?"
Die Antwort auf diese Fragen wird auch über Kohlschreibers Zukunft in Arriens' Auswahl entscheiden. Zuletzt hatte der Augsburger immer wieder erklärt, trotz des öffentlich ausgetragenen Streits mit dem Bundestrainer, bei dem sich beide gegenseitig der Lüge bezichtigt hatten, in Zukunft wieder für die Nationalmannschaft zur Verfügung zu stehen.
Arriens der Schlüssel
Groß war der Spielraum eines Davispokal-Kapitäns nie, das Sagen hatten in Deutschland stets die Spieler. Das war mit den Tennis-Heroen Boris Becker und Michael Stich noch ausgeprägter als in der heutigen Generation. Der Österreicher Thomas Muster definierte die Aufgabe eines Teamchefs einmal so: "Wasser halten, Handtuch halten, Maul halten."
Carsten Arriens hatte diese Rolle spätestens in Nancy verlassen, er war der Schlüssel dafür, dass Gojowczyk und Kamke an einem Tag über sich hinauswachsen konnten.
Dabei gilt das Prinzip: Je schwächer die Spieler, desto stärker der Teamchef. In der knappen Niederlage hat sich Arriens tatsächlich befreit - von seiner Abhängigkeit zu Kohlschreiber und Haas. Der Neuaufbau hat jedoch gerade erst begonnen.
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