Am 2. November ist es wieder soweit: Der größte Marathon der Welt öffnet seine Pforten in New York City: Rund 50.000 Teilnehmer werden die 42,192 Kilometer auf sich nehmen, von Brooklyn über Queens und die Bronx zum Central Park in Manhattan.
Mit dabei wird diesmal auch eine 24-jährige Dänin sein, blond, 1,77 Meter groß - und nebenbei eine der besten Tennisspielerinnen auf diesem Planeten.
Dabei hatte sie eigentlich etwas ganz anderes vor.
Zugegeben, es hat etwas von "Bunte" und "Gala", einen Artikel über Caroline Wozniacki mit der bereits über die Maßen ausgeschlachteten Trennung von Golf-Superstar Rory McIlroy zu beginnen. Das Sport-Traumpaar schlechthin, Verlobung an Silvester 2013, und dann im Mai plötzlich der Hammer: McIlRoy macht Schluss. Am Telefon, kurz und bündig, sie denkt zuerst an einen schlechten Scherz.
Doch wenn man über Wozniacki spricht, über ihr Jahr 2014 und ihre Teilnahme an den WTA Finals in Singapur, kommt man an dieser Thematik nicht vorbei. Es ist die entscheidende Zäsur dieser Saison, und, das wird die Zukunft zeigen, vielleicht sogar die entscheidende Zäsur in ihrer Karriere.
Waffenlos auf Platz eins
Rückblick: Als sie mit dem Nordiren 2011 zusammenkommt, hat sie das Jahr zuvor als Weltranglistenerste beendet. Wozniacki, die sich im Interview mit Spox.com selbst als klassische Counter-Puncherin bezeichnete, ist eine Vielspielerin. Unglaublich solide, laufstark, clever. Sie bringt alles zurück, ein Journalist tauft sie "Golden Retriever". Für die meisten Gegnerinnen reicht das, so fährt sie Turniersiege ein, klettert die Weltrangliste hinauf.
Aber gleichzeitig fehlen ihr die ganz großen Waffen. Die krachenden Gewinnschläge, der donnernde Aufschlag, der ihr Spiele im Alleingang gewinnen kann. Dass sie es doch zur Nummer eins bringt, verdankt sie auch einer Phase im Damentennis, in der den großen Namen entweder die Konstanz oder die Gesundheit fehlt: Neben ihr steigen so etwa auch Dinara Safina oder Jelena Jankovic auf den Platz an der Sonne.
Abseits des Platzes liegt der Schönheit mit dem strahlenden Lächeln die Welt mitsamt den Sponsoren zu Füßen. Die Tochter polnischer Immigranten kann sich in insgesamt acht Sprachen verständigen, kommt ohne Skandale aus, und hat sogar in der eisigen WTA-Umkleidekabine keine Schwierigkeiten, Freundinnen zu finden.
Absturz wegen Rory?
Und dann die drei Jahre mit dem Mann, den die Golf-Welt als Nachfolger von Tiger Woods auserkoren hat. Wirbelwind. Sie besucht seine Turniere, er besucht ihre, sogar den Caddy spielt sie für ihn. Und stürzt nach 67 Wochen auf der eins bis auf Platz 18 der Weltrangliste ab, ihre schlechteste Platzierung seit 2010.
Daran muss die Beziehung schuld sein, ganz klar! Kaum etwas ist so populär wie verkürzte Schlussfolgerungen: Sie scheidet früh aus - er ist nicht gut für sie. Er verpasst einen Cut - sie ist nicht gut für ihn. Im Hintergrund stets die unausgesprochene Forderung, man habe den sportlichen Erfolg doch bitteschön über das private Glück zu stellen. Als ob es so einfach wäre.
Hinter ihrem "Absturz" stehen nämlich zuallererst ganz profane Gründe. Die kraftraubenden Jahre auf der Tour fordern ihren Tribut: Das Knie, der Knöchel, das Handgelenk, dann wieder das Knie. Auf der WTA-Tour tummeln sich neben den großen Namen wie Serena Williams und Maria Sharapova plötzlich Aufsteiger wie Simona Halep, Sara Errani oder Eugenie Bouchard, die Konkurrenz ist also schlicht und ergreifend besser geworden.
Soul-Searching mit Serena
Als McIlroy sie aus heiterem Himmel abschießt, wird ihr nach dem sportlichen Niedergang nun also auch noch im Privatleben der Boden unter den Füßen weggezogen. "Als wäre direkt vor meinen Augen jemand gestorben", gibt sie später zu. Wer will es ihr verdenken, dass sie, ohnehin angeschlagen, bei den French Open in Runde eins ausscheidet.
So beschließt sie, erst einmal den Kopf freizubekommen - und zwar mit niemand Geringerem als Serena Williams. "Ich bin nach Miami geflogen, habe gesehen, dass sie ebenfalls raus ist, und sagte 'Hey Serena, mach, dass du hierherkommst", schildert sie im August. Dass die beiden es krachen lassen, beweisen jede Menge Bilder auf Twitter und Instagram: Strand, Hochzeiten, Clubs, NBA Finals.
Neue Konzentration aufs Tennis
Danach stürzt sie sich wieder ins Training. So wie sich andere Menschen nach einer Trennung in die Arbeit stürzen. Ablenken, abhaken, vergessen. In dieser Zeit reift der Plan, den Marathon zu laufen. Aber nicht erst nach der Karriere, wie es etwa Andy Murray vorhat. Nein, in diesem November, in dem sie eigentlich heiraten wollte. "Ich war nur noch im Kraftraum, bin nur noch gelaufen", sagt Wozniacki vor den US Open. "Das hat meine Stimmung verbessert.
Es ist ihr Vater und Trainer Piotr, der ihren Neuanfang bestätigt - und zugibt, dass die komplizierte Fernbeziehung zu einem anderen Spitzensportler keine positiven Auswirkungen auf ihr Tennis hatte. Sie trainiere wieder wie noch im Jahr 2011. "Die Situation mit Rory ist nicht einfach für sie. Jetzt schaut sie nur noch auf Tennis. Sie trainiert sehr gut und spielt aggressiver."
Das Resultat: Die mittlerweile in Monte Carlo lebende Rechtshänderin erreicht das zweite Grand-Slam-Finale ihrer Karriere in Flushing Meadows, lediglich Freundin Serena ist zu stark. Ihr Kommentar: "Serena muss heute Abend die Drinks ausgeben." Ein Dreisatzerfolg über Sharapova allerdings beweist: Mit Wozniacki ist wieder zu rechnen. Der Babyspeck vergangener Jahre ist verschwunden, die vielen Laufeinheiten haben sie schon fast hager werden lassen. Lauffreudig war sie schon immer, aber noch nie so fit wie heute.
Der Auftritt in Singapur ist eine Bestätigung ihrer stark ansteigenden Form. Doch wer ihre Beiträge in den sozialen Medien verfolgt, bekommt den Verdacht, dass ihr der Termin in New York eine Woche später wichtiger ist.
Per Marathon zum Major?
Warum also die 42 Kilometer im Big Apple? Obwohl ihr Vater und Management abrieten, und die Auswirkungen auf ihren Beruf eher negativ als positiv ausfallen könnten. "Tennis besteht aus Sprints unterschiedlicher Länge in unterschiedliche Richtungen", so Ex-Spielerin Mary Carillo. "Sie macht es für eine Wohltätigkeitsorganisation, aber trotzdem ist es komisch."
Natürlich spielt ihre Charity (Team for Kids) eine Rolle. Ebenso der eher profane Grund, dass nun "ein Termin frei ist", wie sie sagt. Aber gleichzeitig ist es die logische Schlussfolgerung, der krönende Abschluss eines turbulenten Jahres. Laufen war ihre Medizin. "Das hat auf jeden Fall geholfen", erklärte sie "CNN". "Ich hatte eine schwere Zeit in meinem Privatleben. Durch das Laufen bekam ich den Kopf frei, man fühlt sich einfach besser, irgendwie frei."
Auch auf dem Tennisplatz soll ihr diese Grenzerfahrung eine Hilfe sein. "Es ist ein innerer Kampf gegen sich selbst, und so ist es auch im Tennis", betont sie. "Manchmal läuft man da draußen gegen die sprichwörtliche Wand und kann die Punkte einfach nicht machen. Dann muss man sich konzentrieren, die Punkte nacheinander spielen und das Spiel herumreißen. So ist das auch bei einem Marathon."
Vielleicht helfen ihr also diese 42 Kilometer in den nächsten Monaten und Jahren dabei, wenn es um die entscheidenden Punkte geht. Die, die ihr bislang verwehrt geblieben sind. Die, die man braucht, um einen Grand Slam zu gewinnen. Noch nie gewann eine Spielerin so viele Turniere (22), ohne in einem Major zu triumphieren.
Kritiker noch einmal Lügen strafen
Caroline Wozniacki geht mit diesem weißen Fleck auf ihrem Resümee bewundernswert um. Das Publikum hat sie auch so in der Hand: Während andere Stars wie Sharapova ihren Ruf als "Ice Queen" kultivieren, lässt die blubbernde Dänin ihre Fans ganz nah dran - und beweist Bodenständigkeit.
Da vergisst sie nach dem US-Open-Finale mal eben ihren Siegerscheck im Stadion. Da werden "Size Zero"-Designerstücke abgelehnt mit den Worten "Ich esse. Und ich habe Oberschenkel. Ich spiele Tennis!" Da wechselt sie von Nike zurück zu Adidas, weil der Konzern aus Herzogenaurach als erster an sie glaubte, als sie sich im Alter von gerade einmal zehn Jahren vorstellte. Und beweist im Angesicht einer schockierenden Trennung bemerkenswerte Reife: Schmutzige Wäsche - Fehlanzeige. Sie ist die Jennifer Aniston der WTA.
Eine Power-Hitterin, die als Titelfavoritin in Grand-Slam-Turniere geht, wird sie nie sein. Aber vielleicht kitzelt dieser Marathon am 2. November doch noch das entscheidende Prozent aus ihr heraus, ob nun physisch oder mental. "Ich habe meine Kritiker schon so oft Lügen gestraft. Ich hätte keine Chance auf die Top 100, dann auf die Top 50, dann die Top 30. Jedes Mal habe ich ihnen das Gegenteil bewiesen."
Vielleicht gelingt ihr das im kommenden Jahr. Vielleicht auch schon in Singapur. Und vielleicht gibt sie Serena dann einen aus.
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