Am Ende blieb Roger Federer nicht viel übrig, als artig zu gratulieren. Er sprach noch von seiner Liebe und Leidenschaft für das Spiel und kündigte umgehend an, dass er das New Yorker Publikum im nächsten Jahr wiedersehen werde - es soll ja bloß niemand auf die Idee kommen, er könnte das Racket an den Nagel hängen.
Eigentlich ist dieser Gedanke ja ohnehin absurd. Federer ist derzeit die Nummer zwei der Welt, hat allein in den letzten beiden Jahren fünf Halbfinals und drei Finals bei Grand-Slam-Turnieren erreicht. Er hat in diesem Jahr zudem bereits fünf Titel gewonnen, nur Novak Djokovic - natürlich! - hat mehr.
Bei keinem anderen derart erfolgreichen Spieler würden Rücktritts-Spekulationen überhaupt aufkommen, unabhängig vom Alter. Federer ist mit 34 Jahren immer noch besser als der Rest der Welt, mit einer Ausnahme. Das große Ziel, die magische "18", liegt durchaus im Bereich des Möglichen.
analyse Djoker gewinnt kuriosen Final-Krimi
Sie ist sogar absolut greifbar und war es schon mehrfach seit Wimbledon 2012, seinem 17. Grand-Slam-Erfolg. Das macht die Enttäuschungen umso bitterer, zumal diese eine Gemeinsamkeit aufweisen: Bei seinen größten Chancen stand sich Federer häufig selbst im Weg.
Federer dominiert und verliert
Das war auch im 2015er Finale gegen den ewigen Rivalen Djokovic der Fall, der ihm bei seinen letzten drei Grand-Slam-Finals jeweils den Zahn zog. Djokovic hat ihn im Arthur Ashe nicht physisch überpowert, wie man angesichts des Altersunterschieds vielleicht annehmen dürfte. Er hat ihn auch nicht entzaubert, an die Wand gespielt oder dergleichen.
In vielerlei Hinsicht war Djokovic nicht einmal der bessere Spieler. Der Serbe gewann insgesamt bloß zwei Punkte mehr, schlug schwächer auf und returnierte überraschenderweise sogar weniger effektiv als sein Kontrahent. Besonders eklatant war dies im dritten Satz, den Federer über weite Strecken dominierte.
Dennoch ging der Durchgang und das Match an den Serben, und das lag vor allem an zwei Faktoren. Zum einen an der schier unfassbaren mentalen Stärke, die der Djoker sich in den letzten Jahren angeeignet hat; wie er sich immer wieder aus brenzligen Situationen befreien und Breakball für Breakball abwehren konnte, war wieder einmal enorm beeindruckend.
"Ich war zufrieden mit dem Game-Plan"
Es war aber gleichzeitig auch nur deshalb möglich, weil ihm Federer die Möglichkeiten dazu gab. Wo Djokovic seine Breakchancen im dritten und vierten Satz mit überragender Quote nutzte, ließ FedEx seine Möglichkeiten immer wieder liegen. Er feuerte Vorhand um Vorhand ins Netz oder neben die Linie, er setzte Volleys ins Netz und spielte Schmetterbälle in den Lauf seines Gegners.
Novak Djokovic - Roger Federer: Das Finale im RE-LIVE
"Ich war eigentlich zufrieden mit dem Game-Plan, nur an der Ausführung hat es teilweise gehapert", sagte Federer nach dem Match. "Ich habe seit langem nicht so offensiv gespielt, und das war vielleicht der Grund dafür, warum ich bei den Breakbällen teilweise nicht so sicher war."
Müdigkeit mag eine Erklärung sein, allerdings zeigte er diese Fehler nicht nur in der Schlussphase, sondern das ganze Match über. Natürlich kam diese "Analyse" allerdings auch unmittelbar nach dem Match, als die Enttäuschung noch alles andere überwog.
"Erfahrung kann dich behindern"
Dabei hatte der Maestro in den Wochen zuvor eigentlich durch Effizienz geglänzt, hochkarätige Gegner wie Richard Gasquet oder Stan Wawrinka in kurzer Zeit aus dem Weg geräumt und nicht einen Satz im Turnierverlauf abgegeben. Ein Problem, das er im letzten Jahr selbst bei sich festgestellt hatte, schien gelöst zu sein.
"Ich muss mich manchmal selbst daran erinnern, wie ein jüngerer Spieler zu denken", sagte er damals zu Sports Illustrated. "Erfahrung kann etwas sehr Gutes sein, sie kann dich aber auch behindern. Wenn man nicht so frei spielt und zu viel über Wahrscheinlichkeiten und dergleichen nachdenkt, spielt man nicht so frei. Ich spiele lieber flüssiges Tennis."
In den vorigen Runden hatte er dieses flüssige Tennis gezeigt, doch im Finale schien er wieder deutlich mehr nachzudenken. Lag das nur am Gegner, der bei weitem nicht sein bestes Spiel machte - oder lähmte Federer der Gedanke an die eigene Legende?
Nur Lendl verlor öfter
Es ist schon irgendwie paradox. Federer ist der wohl größte Spieler aller Zeiten, hat gleichzeitig aber auch einige der bittersten Niederlagen der Tennis-Geschichte kassiert. An einige davon erinnert man sich stärker als an die Siege seiner dominantesten Ära von 2003 bis 2009. Die Wimbledon-Finals von 2008 (gegen Rafa Nadal) und 2014 (gegen Djokovic) sind da nur die prominentesten Beispiele.
Die von ihm angesprochene "Erfahrung" hat Federer als Champion, aber eben auch als Verlierer - nach der jüngsten Final-Pleite steht er mittlerweile bei zehn Endspiel-Niederlagen bei den Grand Slams. Nur Ivan Lendl (11) hatte mehr von der Sorte - noch. Die jährlichen Masters-Titel sind schön, für einen wie FedEx zählen am Ende aber eben die großen Vier. Und hier gibt es ein Problem namens Djokovic.
Federer kann noch so gut drauf sein, die Anwesenheit des Djokers auf der Gegenseite lässt ihn sein Spiel unwilkürlich wieder überdenken, zumal dieser eben selbst ständig analysiert und kalkuliert.
Im Kopf des Maestros
Ein Beispiel: In Cincinnati hatte der mittlerweile berüchtigte SABR ('Sneak Attack By Roger') Djokovic noch vor Probleme gestellt: Gegen den zweiten Aufschlag des Gegners stürmt Federer unvermittelt nach vorn, nimmt das Service fast als Halbflugball an - und steht plötzlich wie eine Mauer am Netz, während der Aufschläger seinen Bewegungsablauf kaum beendet hat.
Wenige Wochen später hatte die Nummer Eins in Flushing Meadows aber bereits den perfekten Konter parat. Djokovic ist so schlau und kennt Federer nach 42 Duellen mittlerweile so gut, dass er viele Aktionen des Schweizers besser antizipieren kann als jeder andere Spieler. Und FedEx weiß das. "Es ist schwer gegen ihn. Nach jedem unserer Matches weiß ich mehr über ihn, und er weiß mehr über mich", sagte der Schweizer nach dem Spiel.
Bei "normalen" Turnieren kann er den Djoker immer noch schlagen, wie er kürzlich in Cincinnati unter Beweis stellte. Bei Grand Slams liegt sein letzter Erfolg dagegen drei Jahre zurück (Wimbledon-Halbfinale 2012). Das ist einseitiger, als es die Bilanz von 21:21 zwischen beiden Spielern andeutet.
Das nächste Duell kommt bestimmt
In der Hinsicht hat Federer derzeit natürlich vieles gemein mit dem Rest der Welt. Djokovic hat eine unfassbar starke Saison hinter sich, stand in allen vier Grand-Slam-Finals und musste sich nur bei den French Open Wawrinka geschlagen geben. Er dominiert das Welt-Tennis derzeit fast nach Belieben. Trotzdem wird Federer mehr Aufmerksamkeit und Zuneigung zuteil - aber das kennt der Serbe ja bereits.
Vermutlich verschafft es ihm sogar Extra-Motivation, wenn in Wimbledon oder New York das Publikum so deutlich gegen ihn ist. Ein sehr großer Teil der Tennis-Welt würde Federer am liebsten noch mindestens ein weiteres Major gewinnen sehen - das hat der Djoker schon lange akzeptert. Er weiß schließlich auch, dass die Nummer 18 für Federer in erster Linie durch ihn verhindert wird.
Er ist derjenige, der den Träumereien etlicher FedEx-Jünger nun schon mehrfach ein jähes Ende bereitet hat. Aufgrund seiner spielerischen Klasse und aufgrund der Präsenz, die er in den Gedanken des Schweizers einnimmt, wenn das Geld auf dem Tisch liegt.
Ihm kann es ja ohnehin nur recht sein. Soll sich Federer doch ewig Gedanken darüber machen, wie er noch einmal an ihm vorbeikommt. Vielleicht ja im nächsten Jahr.
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