Mit den Australian Open (im LIVETICKER) steht das erste Highlight des Jahres steht vor der Tür. Vor dem Turnierstart blickt SPOX durchs Hawk-Eye und nimmt die Herrenkonkurrenz unter die Lupe. Novak Djokovic will den Titel bei seinem Lieblingsturnier verteidigen, Lleyton Hewitt verabschiedet sich von der großen Bühne. Bei den Deutschen herrscht dagegen Tristesse pur.
Der Topfavorit
Machen wir uns nichts vor: Alles andere als ein erneuter Siegeszug von Novak Djokovic wäre eine faustdicke Überraschung. Der Djoker kann auf ein beängstigend gutes Jahr 2015 voller Rekorde zurückblicken. Als erst vierter Spieler der Open Era stand er bei allen vier Majors im Finale, neben den drei Grand-Slam-Titeln spielte er die Konkurrenz auch in der Masters Series in Grund und Boden. Der Serbe gewann sechs der neun 1000er-Turniere und stellte damit eine neue Bestmarke auf. Mit seiner aberwitzigen Saisonbilanz von 82:6 Siegen trug er sich natürlich auch in die Geschichtsbücher ein und beendete das Jahr mit 16.785 Punkten (ebenfalls Rekord) zum vierten Mal in Folge als Nummer eins.
Die Herrschaft der "Big Four" (Djokovic, Nadal, Federer, Murray) ist spätestens seit dem letzten Jahr Geschichte, stattdessen grüßt der König einsam von der Spitze. Mit der Mischung aus Talent und eisernem Willen hat Djokovic den nächsten Schritt in Richtung Perfektion gemacht. Mit der Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung, an die sich inzwischen sogar sein Hund halten muss, hat er seine Probleme mit der Atmung endgültig in den Griff bekommen. Die anfangs belächelte Verpflichtung von Boris Becker hat sich ebenfalls ausgezahlt. Unter Becker hat Djokovic vor allem mental nochmal deutlich zugelegt.
Zu allem Überfluss handelt es sich bei den Australian Open um das Lieblingsturnier des Serben. In Melbourne hat er fünf seiner zehn Major-Titel geholt, in den letzten fünf Jahren krönte er sich vier Mal zum König Down Under. Die beeindruckende Verfassung zum Jahresgebinn ist zu einem der Markenzeichen des Djokers geworden. Während der Rest der Weltspitze noch nach seiner Form sucht, ist Djokovic bereits auf seinem Toplevel. Anders gesagt: Wenn die anderen aufstehen, hat Nole schon gefrühstückt. Die Frühform stellte er in der Vorbereitung bereits eindrucksvoll unter Beweis. In Doha war gegen Djokovic kein Kraut gewachsen, im Finale wurde der überforderte Rafael Nadal mit 6:1, 6:2 überrollt.
Nach dem knapp verpassten Grand Slam kann das Motto in dieser Saison nur heißen: Jetzt erst recht. Im olympischen Jahr 2016 ist sogar der im Herrentennis bisher unerreichte Golden Slam möglich. Holt sich Djokovic in Melbourne seinen Titel Nummer elf, zieht er in der ewigen Bestenliste mit Rod Laver und Björn Borg gleich. Der fünfte Platz wäre aber bestenfalls eine Zwischenetappe, langfristig kann sein Ziel nur lauten, Roger Federes Rekord von 17 Titeln anzugreifen.
Der Titelverteidiger
Wagen wir schonmal einen Blick auf mögliche Falltüren im Draw des Jokers. Sucht man nach seinem Kryptonit, bleibt im Grunde nur ein Name übrig: Stan Wawrinka. Der direkte Vergleich spricht mit 18:4 zwar eine deutliche Sprache, jedoch fügte ihm der Schweizer sowohl die einzige Grand-Slam-Niederlage 2015 bei, als auch seine letzte Niederlage bei den Australian Open (2014). Im vergangenen Jahr lieferten sich die beiden in Melbourne ebenfalls eine epische Schlacht, nach hartem Kampf ging Wawrinka im fünften Satz schließlich die Luft aus. Beim Blick auf die Auslosung wird der Serbe daher tief durchgeatmet haben, denn ein weiteres Duell mit Wawrinka könnte es erst im Finale geben.
Zum Auftakt bekommt es Djokovic mit dem relativ unbekannten Hyeon Chung zu tun, der mit seinen 19 Jahren bereits auf Platz 51 der Weltrangliste geklettert ist. Nach einem eher leichten Zweitrundenmatch (Halys oder Dodig) wartet mit Andreas Seppi ein alter Hase, gegen den Nole noch nie verloren hat. Eine echte Prüfung steht wohl erst im Viertelfinale an, wo mit Tsonga oder Nishikori der erste Top-Ten-Spieler wartet. Im Halbfinale könnte es zur Neuauflage des US-Open-Finals gegen Federer kommen, während er neben Wawrinka auch auf Andy Murray, Nadal oder den formstarken Milos Raonic erst im Finale treffen könnte.
Letztes Jahr
Die deutschen Herren brachten im vergangenen Jahr das Kunststück fertig, das maßlos enttäuschende Abschneiden der Frauen sogar noch zu unterbieten. Nicht ein Spieler erreichte die zweite Woche, einzig Benjamin Becker bot eine für seine Verhältnisse starke Vorstellung. Gegen Altmeister Lleyton Hewit drehte er einen 0:2-Satzrückstand. In der dritten Runde war aber auch für Becker Endstation, im Duell mit Milos Raonic war der Kanadier gleich mehrere Nummern zu groß.
Die Überraschung des Turniers war eindeutig das frühe Aus von Federer. Der Schweizer scheiterte schon in der dritten Runde an Seppi. Ansonsten blieben die großen Sensationen aus, bis auf Fed-EX erreichten die ersten acht der Setzliste geschlossen das Viertelfinale.
In den Halbfinals hatte Murray mit Tomas Berdych, der zuvor Nadal überraschenderweise nicht den Hauch einer Chance gelassen hatte, wenig Mühe. Im Finale lieferte sich der Djoker gegen Murray ein Duell auf Augenhöhe. Nach zwei Tie-Breaks in den ersten beiden Sätzen drückte die Nummer eins dann das Gaspedal durch und schoss letzlich souverän über die Ziellinie
Die Deutschen
Als wäre die Situation im deutschen Herrentennis nicht schon deprimierend genug, kam es bei der Auslosung auch noch knüppeldick. Philipp Kohlschreiber genießt nach Verletzungen und schwachen Ergebnissen nicht mehr den Luxus, auf der Setzliste zu stehen. Mit dem Nishikori bekommt "Kohli" auch gleich in der ersten Runde die Quittung, ein Sieg gegen den Japaner wäre eine große Überraschung.
Alexander Zverev reist als einziger echte Hoffnungsträger nach Melbourne, auf seinen großen Durchbruch wird der 18-Jährige aber noch warten müssen. Ihn erwischte es noch schlimmer, gleich in Runde eins wartet mit Murray die Nummer zwei des Rankings. Darüber hinaus war der Youngster wegen einer Schulterentzündung zuletzt nicht im Vollbesitz seiner Kräfte.
Tommy Haas hat den Kampf gegen seinen Körper leider ein weiteres Mal verloren, wieder mal hat ihn seine Schulter in die Knie gezwungen. Aufgeben will der 37-Jährige aber noch nicht: "Die Birne hat noch Lust auf Tennis. Mein Traum ist es, bei einem großen Turnier tschüss zu sagen." Tschüss sagen musste leider auch Dustin Brown. Bereits in der Ersten Quali-Runde verlor "Dreddy" überraschend gegen den Österreicher Dennis Novak.
Upset Alert
Nach seinem sensationellen Triumph bei den US Open 2014 ist es um Marin Cilic inzwischen ein wenig ruhiger geworden. Die Vorfreude auf das erste Major des Jahres dürfte nach einem Blick auf die Auslosung nicht gerade gestiegen sein, schon in der zweiten Runde könnte der Kroate auf seinen zum "Wunderkind" gehypten Landsmann Borna Coric treffen.
Coric gilt als das größte Talent auf der Tour, mit seinen 19 Jahren ist er bereits die Nummer 40 der Welt. Auf den ganz großen Wurf wartet der Schützling von Miles Maclagan trotz zweier Finalteilnahmen noch immer, sein Durchbruch in die Weltspitze ist aber nur noch eine Frage der Zeit.
All eyes on
Ein letztes Mal wird die Rod Laver Arena zur Bühne für einen ganz Großen: Nach 20 Jahren auf der Tour nutzt Lleyton Hewitt sein Heimturnier, um sich von der Tenniswelt zu verabschieden. Der 34-Jährige kann auf eine einzigartige Karriere inklusive zwei Grand-Slam-Titeln zurückblicken. Nur ein Sieg in seinem Wohnzimmer war ihm leider nicht vergönnt. 2005 reichte es zumindest für die Finalteilnahme, nachdem er zuvor in zwei epischen Schlachten David Nalbandian und den damals 18-jährigen Nadal niedergekämpft hatte.
Sein Debüt in Melbourne feierte "Rusty" bereits 1997 als 15-Jähriger. Zwei Jahrzehnte und insgesamt 80 Wochen als Nummer eins später ist Hewitt zwar nicht einmal mehr in den Top 300, zu einem großen Kampf ist er aber noch immer in der Lage. Im vergangenen Jahr stellte er eindrucksvoll unter Beweis, warum ihn nicht nur in seiner Heimat die Fans lieben: Im Generationenduell mit Bernard Tomic holte er einen 0:2-Satzrückstand auf und musste sich am Ende nur äußerst unglücklich mit 5:7 im fünften Satz geschlagen geben.
Zum Auftakt bekommt es Hewitt ebenfalls mit einem Landsmann zu tun. Gegen den elf Jahre jüngeren James Duckworth (ATP: 134) ist für den Altmeister auch durchaus ein Sieg drin. Danach wird die Reise wohl zu Ende gehen, in der zweiten Runde wartet der an Position acht gesetzte David Ferrer. Die Konstellation gegen den spanischen Grundlinienwühler verspricht allerdings noch ein letztes großes Gefecht.
Das Baby des Turniers
Wenn es der Zufall so will, könnte es im Verlauf des Turniers zu äußerst kuriosen Szenen kommen. Grund dafür ist das Baby, welches Adny Murray und seine Frau Kim erwarten. Die hochschwangere Gattin des Schotten bereitet sich in der Heimat auf die Geburt vor, die für Anfang Februar erwartet wird.
Da eine Geburt natürlich nur schwer planbar ist, könnte es auch während des Turniers bereits so weit sein. "Ich werde nach Hause fliegen, wenn es losgeht. Das steht fest", ließ Murray die Presse vor wenigen Tagen wissen. Soll heißen: Kommt das Kind, setzt er sich in den nächsten Flieger nach Hause - koste es, was es wolle. Wir freuen uns schon mal auf die Szene: Aufschlag Murray zum Matchgewinn, ein Handy klingelt: "Sorry guys, that's it for me!"
Einfachster Draw
Sollte Murray im ganzen Trubel um die Geburt die Zeit finden, auf die Auslosung zu blicken, wird er sich mit Sicherheit freuen. Den meisten der Big Names geht der Schotte bis kurz vor Schluss aus dem Weg. Nach dem Auftakt gegen Zverev wartet mit Mannarino oder Groth zwar kein Fallobst, ernsthafte Gefahr ist aber auch nicht zu erwarten. Joao Sousa wäre in Runde drei der erste gesetzte Gegner, mit dem Portugiesen hatte Murray aber in der Vergangenheit nahezu keine Probleme.
In der Runde der letzten 16 wäre Bernard Tomic eine ebenso angenehmer Worst Case, wie Ferrer oder John Isner im Viertelfinale. Falls sich das Baby bis dahin in Geduld übt, könnte Murray auf Dominator Djokovic erst im Finale treffen.
Schwerster Draw
Nach einem verhältnismäßig leichtem Start kommt es für Tomas Berdych knüppeldick: In Runde drei könnte dem Tschechen mit Bad Boy Nick Kyrgios bereits ein echtes Schwergewicht gegenüberstehen, anschließend wird es mit mit Cilic, Coric oder dem auf Hardcourt gefährlichen Bautista Agut nicht einfacher.
Um ins Finale zu kommen, müsste der 30-Jährige auf dem Weg auch noch Federer und Djokovic aus dem Weg räumen. Bevor man den Wimbledon-Finalisten von 2010 schon vorzeitig abschreibt, sollte man allerdings bedenken, dass er in den letzten fünf Jahren immer mindestens im Viertelfinale stand.
Geschichtsstunde
Es war das Turnier seines Lebens: Im Jahr 2003 mischte der damals 26-jährige Rainer Schüttler das Turnier auf und spielte sich bis ins Finale. Zuvor hatte der "Shaker" bis auf eine Achtelfinalteilnahme noch nie die zweite Woche eines Grand Slams erreicht, die Erwartungshaltung war für den an 31 gesetzten Korbacher entsprechend gering.
Schüttler, auf dem Court eher Arbeiter als Ästhet, startete gegen Albert Portas gleich stark ins Turnier und ließ dem Spanier keine Chance. Nach einem ebenfalls glatten Sieg über den Aufschlag-Gott Richard Krajicek profitierte der Deutsche von der verletzungsbedingten Absage Safins. Was Schüttler im Anschluss an den Walkover auf den australischen Hardcourt zauberte, war nicht weniger als das mit Abstand beste Tennis seiner Karriere.
Im Achtelfinale fegte er zunächst James Blake vom Platz und war im anschließenden Viertelfinale gegen den an zehn gesetzten Nalbandian klarer Außenseiter. So richtig in Fahrt gekommen konnte sich Schüttler sogar noch einmal steigern und nahm den Argentinier ebenso in vier Sätzen aus dem Turnier wie den damals aufstrebenden Shootingstar Andy Roddick im Halbfinale. Zur ganz großen Sensation reichte es letztlich aber nicht. Der sichtlich nervöse Schüttler fand ausgerechnet im Finale einfach nicht zu seinem Spiel und wurde von Andre Agassi beim 2:6, 2:6 und 1:6 phasenweise auseinandergenommen. Unter dem Strich stand am Ende trotzdem der größte Erfolg seiner Karriere.
Die Weltrangliste der Herren im Überblick