"Mit diesem Druck konnte ich nicht umgehen"

Stefan Petri
12. Dezember 201609:43
Paris 1989: Michael Chang ist noch immer jüngster Grand-Slam-Champion aller Zeitenimago
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Michael Chang gewann 1989 mit nur 17 Jahren die French Open gegen Stefan Edberg. Es blieb sein einziger Major-Titel, doch noch immer ist der US-Amerikaner jüngster Grand-Slam-Champion der ATP-Tour (LIVE auf DAZN). Dabei stand Chang im legendären Achtelfinale gegen Ivan Lendl bereits mit dem Rücken zur Wand. Im Interview spricht der 44-Jährige über das Match seines Lebens, seinen Glauben und Gegner wie Boris Becker.

SPOX: Michael Chang, wir müssen mit den berühmten French Open 1989 beginnen. Daran denkt man natürlich zuerst, wenn man Ihren Namen hört. Wobei: Sie dürften es ja eigentlich leid sein, darüber zu sprechen.

Michael Chang: Nein, das ist schon okay. Ich habe ja auch sehr schöne Erinnerungen daran, vor allem wenn ich wieder nach Paris komme. Paris ist deswegen immer ein ganz besonderer Ort. Was auch immer ich in meiner Karriere noch erreicht hätte, die Leute würden immer wieder zu diesen French Open zurückkehren, weil sie einzigartig waren. Deshalb ist das kein Problem für mich.

SPOX: Na dann! Sie lagen im Achtelfinale gegen Ivan Lendl 0:2 in den Sätzen zurück, das war noch vor dem berühmten Aufschlag von unten. Wie haben Sie das Match überhaupt drehen können?

Chang: Um ehrlich zu sein: Ich bin mir nicht sicher. Ich habe eigentlich ganz gut angefangen, Ivan war in den ersten beiden Sätzen einfach besser als ich. Dann fand ich in einen noch besseren Rhythmus und konnte mir den dritten und vierten Satz jeweils für mich entscheiden. Aber dann, am Ende des vierten Satzes, gingen die Krämpfe los. Und das stellte mich vor große Probleme. Es war ohnehin ein körperlich sehr herausforderndes Match, mit fast vier Stunden und 39 Minuten dazu auch noch sehr lang. Es hat mir alles abverlangt. Wenn man mich fragt, wie ich das Match letzten Endes gewinnen konnte, dann kann ich das nicht wirklich erklären.

SPOX: Waren Sie kurz davor aufzugeben, als die Krämpfe kamen? Einfach aufzuhören und zu sagen: Ich kann nicht mehr?

Chang: Ich war in der Tat sehr kurz davor. Beim Stand von 2:1 im fünften Satz ging ich beim Seitenwechsel zum Stuhlschiedsrichter, meine Krämpfe wurden immer schlimmer. Da kamen die Gedanken in mir hoch: "Was macht das schon für einen Unterschied, ob ich jetzt aufgebe oder in fünf Sätzen verliere? Das ist doch einerlei. Aber wenn ich jetzt aufgebe, dann kann ich zumindest in die Kabine gehen und mich behandeln lassen, vielleicht werde ich die Krämpfe dann schneller los." Ich sagte zu mir: Ist doch eigentlich gar kein schlechter Tag. Ich habe viel geleistet, vielleicht schreibt die Presse ein paar nette Dinge über mich. Und die anderen Spieler werden sagen: "Wow, toll gemacht, du hast die Nummer eins der Welt in einen fünften Satz gezwungen." Alles in allem also gar nicht so übel. SPOXspox

SPOX: Was hat Sie von einer Aufgabe letztlich abgehalten?

Chang: Als ich zum Stuhlschiedsrichter lief, schenkte mir Gott eine unglaubliche innere Überzeugung. Diese Überzeugung war: Hey, wenn ich jetzt aufgebe, werde ich beim zweiten, dritten, vierten und fünften Mal, wenn ich in einer solchen Lage bin, wieder aufgeben. Ob nun auf dem Tennisplatz oder sonst in meinem Leben. Soll ich wirklich dafür bekannt werden, auch unter meinen Kollegen? Und das sollte mich auf keinen Fall definieren. Also dachte ich mir: Okay, dein Job in diesem Moment ist es nicht, über Sieg oder Niederlage nachzudenken. Sondern dein ganzes Ziel muss es jetzt sein, dieses Match zu beenden.

SPOX: Und dann kam der ikonische Aufschlag von unten. Haben Sie das öfter gemacht?

Chang: Ich habe genau einmal in meiner Karriere von unten aufgeschlagen, und das war gegen Ivan bei den French Open. Ich hatte große Probleme, meinen Aufschlag zu halten, schließlich konnte ich wegen der Krämpfe nicht zu meinem normalen ersten Aufschlag hochgehen. Deshalb war mein erster Aufschlag in dieser Phase vielleicht 110 km/h schnell, was ja eigentlich schon ein sehr langsamer zweiter Aufschlag ist. So war es sogar leichter, ihn zu breaken, als meinen Aufschlag zu halten. Ich war dann auch ein Break vor, 4-3 und 15:30. Aber ich wusste: Ich werde meinen Aufschlag verlieren, wenn ich nichts ändere.

SPOX: Und dann?

Chang: Ich dachte in diesem Moment gar nicht lange nach, sondern schlug kurzentschlossen von unten auf, mit viel Sidespin. Einfach nur um zu sehen, was passiert. Weil das immer noch besser war als das, was ich zuvor serviert hatte. Ivan wurde davon vollkommen überrascht, und der Ball war so kurz, dass er nach vorn kommen musste. Und ich schlug einen Passierball, der zuerst die Netzkante und dann seinen Schläger streifte. Plötzlich war das Match nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Schlacht.

SPOX: Wie reagierte Lendl?

Chang: Man sieht, wie er sich nach diesem Punkt an die Schläfe tippte. Auch er wusste: Das ist jetzt eine mentale Angelegenheit. Ich konnte meinen Aufschlag halten, schlug ein paar unglaubliche Rückhände die Linie runter und hatte dann bei 15:40 zwei Matchbälle. Nachdem er bei seinem ersten Aufschlag einen Fehler machte, schlich ich mich immer näher an die T-Linie heran, weil ich mir sagte: Ich habe zwei Matchbälle, ich kann genauso gut aufs Ganze gehen. Wenn ich nicht treffe, bleibt mir ein Matchball. Wenn ich treffe, ist das Match vorbei. Die Zuschauer wurden immer lauter, wahrscheinlich weil ich so nahe an der T-Linie war. Ivan hat daraufhin angefangen, mit dem Referee zu diskutieren: Die Zuschauer seien zu laut, er wollte einen neuen ersten Aufschlag. Aber der sagte nein. Und dann machte er einen Doppelfehler.

SPOX: Unglaublich.

Chang: Die letzten vier Matches in Paris spielte ich aus einer besonderen Inspiration heraus. Die Leute vergessen oft, dass sich zur gleichen Zeit die Situation am Tian'anmen-Platz abspielte. Die Niederschlagung des Aufstandes war am mittleren Sonntag der French Open - ein Tag vor dem Lendl-Match, glaube ich. Eine ganz besondere Ironie, da ich ja chinesischer Abstammung bin. Ich hatte das Gefühl dass Gott wollte, dass ich gewinne, um den Chinesen einen Grund zum Lächeln zu geben - in einer Zeit, in der es nicht viele Gründe dazu gab.

SPOX: Sie haben gesagt, dass die Zeit nach dem gewonnenen Finale gegen Stefan Edberg die "beste Zeit Ihres Lebens" war. Sie waren der jüngste Grand-Slam-Champion aller Zeiten, jünger noch als Boris Becker. Der sagte, dass sich sein Leben nach dem Wimbledon-Sieg über Nacht veränderte. Aber nicht immer zum Besseren. Wie war es bei Ihnen?

Chang: Ich stimme Boris zu. Das hat zwei Seiten. Es verändert sich zum Besseren, weil ja nicht viele von sich sagen können, dass sie einen Grand Slam gewonnen haben. Sehr gut zu sein und berühmt zu werden bietet ja sehr viel Positives und eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten. Aber es hat auch negative Seiten: Man hat viel mehr Druck, die Erwartungen steigen, und viele Menschen nehmen deine Zeit in Anspruch. Das ist manchmal gut, manchmal aber auch nicht. Wenn man nicht so berühmt ist, ist es leichter zu wissen, wer deine Freunde sind. Aber wenn man berühmt ist, sind irgendwie alle deine Freunde. Das macht es schwer, Prioritäten zu setzen und eine Balance zu finden. Zu wissen, wem man vertrauen kann. Wenn Sie mich fragen, ob ich es irgendwie anders hätte haben wollen: Nein, wahrscheinlich nicht. Aber als Topspieler muss man eine Balance finden zwischen Matches, Training und auf der anderen Seite den ganzen Dingen, die um deine Zeit wetteifern. Das dauerte bei mir definitiv eine Weile.

SPOX: Hat es Sie als Mensch verändert?

Chang: Ich glaube nicht, dass es mich als Persönlichkeit verändert hat, aber meine Einstellung hat sich in gewissen Dingen zum Schlechten verändert. Ich hatte die French Open gewonnen und dachte, ich müsse jetzt alle anderen Turniere natürlich auch gewinnen. (lacht) Was natürlich eine ganz falsche Erwartungshaltung ist. Also setzte ich mich viel zu sehr unter Druck, und mit diesem Druck konnte ich nicht umgehen. Ganz ehrlich: Es hat wahrscheinlich ein Jahr gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, in den Top Ten zu stehen und diese Berühmtheit zu sein, von der alle etwas wollen. Es gehört viel mehr dazu, einer der besten Spieler der Welt zu sein, als nur rauszugehen und gutes Tennis zu spielen.

SPOX: Sie haben Ihren Glauben bereits angesprochen. Sie sind Christ und gehen damit sehr offen um. Hat das Ihre Karriere irgendwie beeinflusst, zum Beispiel in Sachen Werbeverträge oder dergleichen? Heutzutage wird das ja eher als persönliche Angelegenheit angesehen, die man für sich behalten sollte.

Chang: Ich glaube dass mein Christsein die meiste Zeit von allen respektiert wurde. Was mir wichtig ist: Obwohl ich viel über Gott spreche, versuche ich nie, meinen Glauben anderen aufzuzwingen. Das ist nicht meine Aufgabe als Christ. Christ zu werden ist eine persönliche Entscheidung. Wenn ich davon spreche, dann vor allem deswegen, weil ich mich in so vielen Dingen gesegnet fühle, weil ich weiß, wo mein Talent eigentlich herkommt. Und ich möchte, dass auch andere diesen Segen erfahren können. Meine Werbeverträge oder dergleichen hat es ganz sicher nicht beeinflusst.

SPOX: Und auf dem Platz?

Chang: Meine Karriere hat es natürlich beeinflusst, weil es meine Perspektive auf den Sport geprägt hat. Ich wollte jedes Turnier gewinnen - aber gleichzeitig sollte Christus auch in mir zu sehen sein. Das heißt: fair spielen, nach Siegen bescheiden bleiben, nach Niederlagen kein schlechter Verlierer sein, gute Leistungen entsprechend würdigen. Ich habe mein Talent aus einem ganz bestimmten Grund bekommen und will damit so viele Menschen wie möglich positiv beeinflussen. Es gibt Athleten, die sehr egoistisch sind und nur an ihren Ruhm und ihren Trophäenschrank denken. Aber in meinen Augen vergessen sie darüber manchmal, dass es im Sport eigentlich darum geht, Menschen zusammenzubringen und andere zu ermutigen und zu inspirieren. Vor allem junge Menschen. Das ist mir persönlich sehr viel wichtiger, als alle Titel der Welt zu gewinnen, aber darüber hinaus nichts zu bewirken.

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SPOX: War Ihr Glaube bei anderen Spielern manchmal ein Thema? Gab es andere Christen auf der Tour? In der NFL zum Beispiel sind Bibelkreise gang und gäbe.

Chang: Es gibt sehr wenige Christen auf der ATP Tour. Interessanterweise gibt es im Golf auch jede Woche einen Bibelkreis - Bernhard Langer geht zum Beispiel auch sehr offen mit seinem Glauben um. Oder Stephen Curry bei den Golden State Warriors. Ich wünschte, es wäre im Tennis auch so. Aber es gab sehr wenige, mit denen ich wegen meines Glaubens Probleme hatte. Der einzige Spieler an den ich mich erinnern kann, war sogar selbst Christ, wenn auch noch nicht lange. Er sagte immer: "Ich bin auch Christ, aber ich rede nicht immer auf meinen Pressekonferenzen darüber. Ich behalte es für mich, das sollte Michael auch tun." Lustigerweise ging er im Laufe der Zeit dann selbst immer offener damit um. Und heute hat er seine eigene - christliche - Sports Talk Show im Radio. Das finde ich großartig. Ich glaube, es ist allgemein einfach schwierig nicht über Dinge zu reden, die dein Leben positiv beeinflussen. Und so geht es mir eben mit meinem Glauben. SPOXspox

SPOX: Auch deshalb haben Sie eine Stiftung gegründet. Die Einzelheiten können wir auf der Website nachlesen, aber vielleicht können Sie uns Projekt beschreiben, aus dem deutlich wird, worum es Ihnen geht?

Chang: Eines unserer größten Projekte ist ein Tennisturnier, das zu den größten USTA-Turnieren in ganz Kalifornien gehört. Wir haben über drei Tage ungefähr 1.000 Teilnehmer, von High-School-Spielern über Ranglistenspieler bis hin zu Gelegenheitsspielern. Damit bringen wir nicht nur die Tennisgemeinde zusammen, sondern spenden auch einen großen Teil der Einnahmen. In den letzten zwei Jahren haben wir so dabei geholfen, Unterkünfte für Obdachlose zu bauen. Tennis ist unsere Leidenschaft, aber anderen zu helfen ist auch für uns persönlich sehr bereichernd.

SPOX: Seit einiger Zeit sind Sie darüber hinaus Coach von Kei Nishikori. Hatten Sie nach Ihrem Karriereende 2003 schon mit dem Gedanken gespielt, Coach zu werden?

Chang: Nein, überhaupt nicht. Keis Agent rief mich im Sommer 2013 an, als er einen sehr schwachen Sommer hatte und in der ersten Runde der US Open gegen einen Qualifikanten verlor. Wenn mich irgendjemand anders gefragt hätte, hätte ich wahrscheinlich abgesagt, weil das Reisen anstrengend ist und ich mittlerweile drei Kinder habe, das älteste ist gerade fünf Jahre alt. Aber es war eine einmalige Gelegenheit. Kei ist unheimlich talentiert und dazu noch ein junger Spieler aus Asien. Es gab bisher sehr wenige Spieler aus Asien, die sich auf der ATP Tour gut geschlagen haben. Für mich war es die Möglichkeit, in der Karriere eines jungen Mannes einen Unterschied zu machen. Oder es zumindest zu versuchen.

SPOX: Wie muss man sich ihre Arbeit mit ihm vorstellen?

Chang: In den letzten Jahren war ich etwa 25 Wochen pro Jahr mit ihm unterwegs. Er hat mit Dante Bottini noch einen Coach, der mit ihm Vollzeit reist. Ich reise mit zu den Grand Slams und einigen ausgewählten Turnieren. Dazu kommen die Trainingseinheiten in der Offseaon und vor der Hartplatz- oder Sandplatzsaison.

SPOX: Was können wir von Kei Nishikori erwarten?

Chang: Sein Spiel entwickelt sich in die richtige Richtung. Er hat keine großen Schwächen und ist als Spieler und Persönlichkeit reifer geworden. Er hat schon alle großen Spieler geschlagen, kann sich aber immer noch weiter verbessern, was ich als Coach spannend und ermutigend finde. Ich hoffe, dass er den Durchbruch schafft und den nächsten Level erreicht, also die "Big Four" durchbricht. Er war die letzten eineinhalb Jahre konstant die Nummer 4-6 der Welt. Wenn er ein paar große Siege einfahren kann, wird ihm das noch mehr Selbstvertrauen geben. Ich bin gespannt auf seine Zukunft.

SPOX: Es gab zuletzt einige Spieler Ihrer Generation, die als Coach tätig waren. Können Sie sich das erklären?

Chang: Ich bin nicht sicher. Andy Murray hatte großen Erfolg mit Ivan Lendl. Stefan Edberg mag das Reisen auch nicht, aber die Möglichkeit mit Roger konnte er sich nicht entgehen lassen. Boris natürlich. Und dann gab es ja auch noch Milos Raonic, der in Wimbledon mit John McEnroe zusammengearbeitet hat. Es fühlt sich fast an wie in alten Zeiten. (lacht) Jetzt sehe ich alle in der Kabine, die ich sonst nur bei Champion's Events treffe. Ich bin ziemlich sicher, dass die meisten von uns nicht auf der Suche nach einem Trainerjob waren. Aber es ist schwer, einen Coach zu finden, der viel von dem erlebt hat, was die Spieler durchmachen. Es gibt sicherlich großartige Coaches da draußen, die einen tollen Job machen. Aber wenn ein Spieler fragt: "Wie gehe ich damit um, im Halbfinale eines Grand Slams zu stehen? Wie gehe ich mit meinen Nerven um, oder mit den Erwartungen?", können es die meisten Coaches nicht beantworten, weil sie es selbst nicht erlebt haben. Aber Erfolg hat unterschiedliche Gesichter: Es gibt Coaches mit Spielerkarrieren, die teilweise Erfolg haben, teilweise auch nicht. Und es gibt Coaches, die erfolgreich sind, obwohl sie nie auf der Tour gespielt haben.

SPOX: Lassen Sie uns noch ein bisschen über Ihre Karriere sprechen. Haben Sie eigentlich gerne gegen Serve-und-Volley-Spezialisten gespielt? Sie mussten unter anderem gegen Boris Becker antreten.

Chang: Boris war immer sehr schwer zu spielen, vor allem wenn sein Aufschlag funktionierte. Aber da war ich nicht der einzige, der nicht gern gegen ihn spielte. Er hatte die Power, dich aus dem Rhythmus zu bringen: sein Aufschlag, dazu die starke Vorhand, die Rückhand die Linie entlang, und dann deckte er auch am Netz noch alles ab. Besonders schwer war es, in Deutschland gegen ihn zu spielen: Egal wo, der Court war auf jeden Fall sehr schnell. (lacht) Kein Turnier in Deutschland hätte jemals einen langsamen Court aufgelegt und dann Boris eingeladen.

SPOX: Heute sind Serve-und-Volley-Spieler fast ausgestorben.

Chang: Ich finde, dass wir in unserer Generation sehr viel mehr unterschiedliche Spielstile hatten. Das machte es schwerer. Heute ist es durch die modernen Schläger und Saiten für Serve-und-Volley-Spieler sehr viel schwieriger geworden, weil der Ball viel mehr Spin hat. Und wenn man den Ball hart genug schlägt - wie soll man dann ans Netz kommen? Schauen Sie sich Wimbledon an: Ich hätte liebend gerne auf dem Rasen gespielt, der heute zum Einsatz kommt. Der Platz ist um vieles langsamer geworden, und der Ball springt fast so hoch wie auf einem Hartplatz. SPOXspox

SPOX: Ein Kollege hat mir aufgetragen, Sie nach einem Match zu fragen, bei dem er im Publikum saß. Der Grand Slam Cup in München 1992, das Halbfinale gegen Ivan Lendl. Sie machten einen 0:2-Satzrückstand weg, wissen Sie noch?

Chang: Ich erinnere mich an das Match. Merkwürdig: Ich habe gegen Ivan nur zweimal in best-of-five-Matches gespielt. Und beide Male kam ich nach 0:2 Sätzen noch zurück. Einmal bei den French Open und einmal in München. Ich musste damals einen Matchball abwehren und gewann schließlich 9:7 im fünften Satz.

SPOX: Sie haben so einige epische Fünfsatzmatches in Ihrer Karriere gespielt.

Chang: Es gab das Finale gegen Stefan Edberg bei den French Open. Das Match gegen Horst Skoff im Davis-Cup-Halbfinale gegen Österreich 1990, auch da lag ich im letzten Einzel 0:2 in den Sätzen zurück und gewann schließlich noch. Gegen John McEnroe bei den US Open. Und natürlich habe ich auch einige Fünfsatzmatches verloren. Gegen Stefan Edberg zum Beispiel im Halbfinale der US Open 1992, das war ein richtig hartes Match. Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich alle gewonnen habe. (lacht) Aber so funktioniert es eben nicht.

SPOX: Das wollte ich Sie sowieso noch fragen: Die French Open waren der einzige Grand-Slam-Erfolg in Ihrer Karriere. Ist das insgesamt eine Enttäuschung?

Chang: Nicht wirklich. Ich war mehrfach nach dran, habe ein weiteres Finale in Paris erreicht, dazu in Melbourne und in Flushing Meadows. Letztlich geht man raus und versucht sein Bestes. Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich härter hätte arbeiten können oder nicht alles gegeben habe, dann würde ich den Gelegenheiten nachtrauern. Aber wenn man 100 Prozent gibt, dann kann niemand mehr verlangen, weder du selbst, noch Gott oder die Menschen um dich herum. Ob Sieg oder Niederlage: Man sollte immer mit erhobenem Haupt vom Court gehen können.

SPOX: Sie sind sehr früh Profi geworden. Wäre das heute immer noch möglich?

Chang: Der Sport hat sich verändert, heute sind die Spieler viel fitter. Dazu kommen die Rackets. Für einen 16- oder 17-Jährigen ist es sehr viel schwerer, auf diesem Level mitzuhalten, wenn der Ball so hart und schnell unterwegs ist. Mittlerweile gibt es wieder ein paar jüngere Spieler, aber vor einem Jahr etwa gab es nur einen oder zwei Teenager in den Top 100. Zu meiner Zeit gab es eine ganze Menge. Aber wer weiß, vielleicht verschiebt sich das irgendwann wieder.

SPOX: Hatten Sie einen Lieblingsgegner?

Chang: Mein Lieblingsgegner ... Ich weiß nicht, ob ich einen hatte. Ich habe sehr gerne gegen Pete Sampras gespielt, bevor er 1990 die US Open gewann. Als Junior und zu Beginn auf der Tour hatte ich eine sehr gute Bilanz gegen ihn. Ich bin einfach dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, gegen so viele großartige Champions zu spielen. Gegen McEnroe, Jimmy Connors und Lendl. Dann die Generation danach, mit Stefan Edberg und Boris. Meine eigene Generation: Sampras, Andre Agassi, Jim Courier. Die Generation danach: Roger Federer, Lleyton Hewitt, Marat Safin. In unserer Ära gab es so viele tolle Spieler. Manche habe ich besiegt, manchmal wurde ich besiegt, aber insgesamt war es ein großer Spaß, auf allerhöchstem Level gegen die besten Spieler der Welt anzutreten, und das auf den größtmöglichen Bühnen.

SPOX: Sie haben Federer erwähnt. Wussten Sie schon damals: Der wird eines Tages der beste Spieler der Welt sein?

Chang: Nicht unbedingt. Das sagten die Leute ja auch über Pete - was ich nicht verstehen konnte, weil ich ihn anfangs ja jedes Mal besiegte. Ich hätte es bei Pete nicht erwartet, und auch Roger war damals noch ein bisschen zu jung. Aber es war damals schon schwer, als Baseliner gegen ihn zu spielen, weil er hart spielen konnte, mit Topspin, Slice, einem guten Aufschlag und gutem Netzangriff. So bekam man keinen Rhythmus. Komischerweise habe ich gegen ihn auf Sand und auf Hartplatz verloren, aber einmal auf Rasen in Halle gegen ihn gewonnen - dadurch, dass ich bei erstem und zweitem Aufschlag Serve-and-Volley spielte. (lacht)