"Ich muss niemandem mehr etwas beweisen"

Liane Killmann
12. Dezember 201609:42
Angelique Kerber hat bei den US Open den zweiten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere geholtgetty
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Bei den US Open den zweiten Grand-Slam-Titel der Karriere klar gemacht, dazu die Spitze der Weltrangliste erklommen: Angelique Kerber hat in Flushing Meadows einmal mehr für einen Paukenschlag gesorgt. SPOX traf die 28-Jährige nach ihrer Rückkehr aus New York am Münchner Flughafen. Herausgekommen ist ein Gespräch über den Knackpunkt im Finale, den jahrelangen Lernprozess, ihr Team und die neuen Herausforderungen.

SPOX: Frau Kerber, wir müssen zu Beginn noch einmal auf den Knackpunkt im US-Open-Finale gegen Karolina Pliskova zurückschauen. Was hat Ihnen nach dem verlorenen zweiten Satz bei 1:3 im dritten Durchgang den Mut gegeben, so auf die Vorhand longline drauf zu gehen?

Kerber: Ich wusste, dass ich etwas machen muss. Das habe ich in den letzten Finals, die ich verloren habe, gelernt. Ich kann nicht nur darauf hoffen, dass sie die Fehler macht. Ich musste also auf meinen Schlag gehen, der eigentlich immer kommt. Oder wenigstens häufig. (lacht) Also habe ich es riskiert und mir gesagt, ich werde jetzt versuchen, mutig mein Spiel zu spielen und das Finale in meine Hand zu nehmen. Das war am Ende auch der Schlüssel zum Erfolg.

SPOX: Ist das der Unterschied zu den verlorenen Dreisatz-Matches der vergangenen Jahre?

Kerber: Auf jeden Fall. Ich habe beispielsweise aus dem verlorenen Wimbledon-Finale gegen Serena viel gelernt. Obwohl sie an diesem Tag ihr bestes Tennis gespielt hat und alle Aufschläge kamen. Aber ich weiß jetzt, auch da hätte ich einfach mal ein bisschen mutiger sein sollen. Jetzt in New York war mir das bewusst: Du bist im Finale und jetzt nimm' es in deine Hand. Das hätte auch daneben gehen können. Aber dann wäre es für mich okay gewesen, denn ich habe alles gegeben. Ich habe nicht gezögert, wie ich es zuvor schon so viele, viele Male getan habe.

SPOX: Sie haben den Moment erkannt und waren so konzentriert, dass Sie Ihr Spiel ändern konnten. Wie haben Sie das geschafft?

Kerber: Das ist Erfahrung und der Lernprozess lief über Jahre. Ganz speziell in Singapur im letzten Jahr (bei den WTA Finals, d. Red.) wurde mir das klar. Ich war so sehr unter Druck, weil ich wusste, ich muss einen Satz gewinnen, um ins Halbfinale zu kommen. Diesem Druck habe ich nicht standgehalten, ich war mental schwach. So bin ich in den Urlaub gestartet, das war kein schönes Gefühl. Und da wusste ich, das soll mir nie wieder passieren in meiner Karriere. Mit diesem Vorsatz bin ich ins Jahr 2016 gestartet: Wenn ich etwas erreichen will, dann muss ich selber den Schalter umlegen und versuchen, mutiger zu sein.

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SPOX: In Melbourne hat das ja gleich prima geklappt.

Kerber: Stimmt, ich habe es in Australien getan. Und an dieses Finale habe ich in New York vor ein paar Tagen gedacht und ich wusste, ich habe das schon einmal geschafft. Warum nicht noch ein zweites Mal?

SPOX: Nach den Australian Open waren der Rummel und die gestiegenen Erwartungen nicht einfach für Sie. Im Anschluss ging gleich das Fed-Cup-Duell mit der Schweiz verloren. Wird das Glücksgefühl diesmal länger anhalten?

Kerber: Nach Melbourne kam so viel auf mich zu. Ich musste erst einmal damit klar kommen. Mit der Aufmerksamkeit und mit allem, was auch während der Turniere neben dem Platz dazugehört. Jetzt nehme ich das ein bisschen anders wahr. Ich kann das auch besser genießen, als noch vor ein paar Monaten. Ich muss jetzt niemandem mehr etwas beweisen, ich bin jetzt ganz da oben. Dass mein zweiter Grand-Slam-Titel und die Nummer eins zusammenkommen, darauf habe ich mein ganzes Leben gewartet.

SPOX: Caroline Wozniacki hat vor wenigen Wochen in The Player's Tribune einen Brief an ihr 11-Jähriges Ich verfasst. Welchen Rat würden Sie der 11-jährigen Angie mit auf den Weg geben?

Kerber: Ich würde ihr sagen, Du hast alles richtig gemacht. (lacht) Wenn ich so zurückblicke... Es gab viele Auf und Abs in meiner Karriere, ich habe viele Niederlagen eingesteckt, damit ich jetzt da bin, wo ich bin. Ich habe Dinge erlebt und daraus gelernt. Jetzt mit 28 Jahren bin ich auf dem Höhepunkt. Mit 18 hätte ich das nicht so genießen können. Ich als Person habe mich weiterentwickelt, so dass ich jetzt hier so sitzen und ganz entspannt reden kann. Meine Karriere hat sich ruhig aufgebaut. Es gab keinen Absturz. Eigentlich ist alles richtig gelaufen, wie es ist, das würde ich ihr schreiben.

SPOX: Ihr Team wurde völlig zurecht sehr gelobhudelt in den letzten Tagen. Allen voran Trainer Torben Beltz und Physiotherapeutin Cathrin Junker. Wie cool sie da oben in der Box hocken, wenn es unten auf dem Platz richtig an die Nerven geht, ist unglaublich. Warum ist die Crew so wichtig?

Kerber: Torben kennt mich von klein auf, weiß wie ich ticke und wie er mit mir umzugehen hat. Er weiß, wie wichtig es für mich ist, in die Box zu gucken und die Leute zu sehen, denen ich vertraue. Cathrin ist superwichtig geworden, weil sie meinen Körper genau kennt. Sie ist so eine entspannte Person, dass ich jederzeit hinschauen kann und weiß, sie strahlt nur Ruhe aus. Sie ist immer für mich da, egal was passiert. Ich kann meinem Team so sehr vertrauen, das gibt es sicher nicht oft.

SPOX: Gibt es schon Abwerbeversuche? Von den Fed-Cup-Kolleginnen vielleicht?

Kerber: Nee, die gibt es nicht. (lacht) Das wäre auf jeden Fall auch nicht einfach, mein Team steht voll hinter mir.

SPOX: Aber ernsthaft gefragt: Auch einige der deutschen Spielerinnen suchen immer wieder Trainer, da gab es zuletzt wenig Konstanz. Was raten Sie denen, die nicht so viel Glück mit einem vertrauenswürdigen und ruhigen Umfeld haben?

Kerber: Das ist nicht so einfach. Man muss auch ein bisschen Glück haben, um die Menschen zu finden, die zu einem passen. Ich reise so oft und so lange mit Ihnen und wir haben Spaß auch außerhalb des Tennisplatzes. Tennis ist die eine Sache, aber wenn man so oft aufeinanderhockt, muss man sich auch gut verstehen. Da muss man Geduld haben und immer wieder versuchen, neue Leute kennen zu lernen, miteinander zu sprechen und dann hoffentlich auch den Richtigen zu finden. Als Trainer.

SPOX: Haben Andrea Petkovic oder Sabine Lisicki Sie schon um Erfolgstipps gebeten?

Kerber: Nee. (lacht) Sie haben mir geschrieben und gratuliert. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Aber jeder von uns geht seinen eigenen Weg.

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SPOX: Was ist Ihr Plan für den Neustart nach dem Urlaub, wenn Sie in Wuhan und Peking als Nummer eins antreten?

Kerber: Für mich ist erst einmal wichtig, dass ich zur Ruhe und wieder zu Kräften komme. Und dann geht es wieder von vorn los. Hoffentlich wieder mit meinem besten Tennis. Und trotzdem ist es eine neue Situation. Ich bin jetzt die Nummer eins, der Druck liegt auf jeden Fall auf meinen Schultern.

SPOX: Haben Sie Respekt davor?

Kerber: Ich glaube, ich werde das alles ein wenig entspannter angehen. Besser hätte das Jahr nicht laufen können. Und nächstes Jahr werde ich versuchen, es genauso zu machen. Und ich werde alles dafür tun, so lange wie möglich da oben zu bleiben. Ich bin bereit für diese Herausforderung.

SPOX: Wer ist aus Ihrer Sicht die größte Konkurrentin im nächsten Jahr, wenn Sie Ihre Position an der Spitze der Weltrangliste verteidigen wollen?

Kerber: Da gibt es einige. Es wird jedenfalls nicht einfach, denn jede will mich jetzt natürlich schlagen. Jede möchte das Gleiche schaffen. Aber ich habe es schon erreicht, das kann mir keiner mehr nehmen.

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