Tiriac spricht außerdem über seine eigene Karriere als Eishockey- und Tennisspieler und erklärt, warum Guillermo Vilas für ihn der Größte aller Zeiten ist und warum er sich über Alexander Zverev wundert.
(Das Interview wurde erstmals im Mai 2021 veröffentlicht)
Herr Tiriac, viele Fans wissen gar nicht, dass Sie vor Ihrer erfolgreichen Tenniskarriere auch als Eishockeyspieler für Furore sorgten. Wie sind Sie denn in Rumänien zum Eishockey gekommen?
Ion Tiriac: Ich bin in Kronstadt geboren. Kronstadt ist eine von den Karpaten umgebene Stadt in Siebenbürgen. Ich bin in den Bergen aufgewachsen. Zwischen Mitte November und Mitte April hatten wir jedes Jahr einen sehr harten Winter. Zwei Meter Schnee, minus 20 Grad, minus 30 Grad. Und das Eishockeystadion lag nur 100 Meter von meinem Geburtsort entfernt. Schon mit 3 Jahren stand ich zum ersten Mal auf Schlittschuhen. Später bin ich wie viele meiner Freunde auf Schlittschuhen in die Schule gefahren im Winter, das war ganz normal. Eishockey wurde zu einer großen Leidenschaft und ich habe es schon ganz jung, da war ich 17 oder 18 Jahre alt, in die Nationalmannschaft geschafft. Und bevor Sie sagen, dass das in Rumänien nicht so schwer ist - wir waren zu dieser Zeit nicht so viel schlechter als die Bundesrepublik Deutschland. (lacht)
Sie hätten 1960 dann auch an den Olympischen Spielen in Squaw Valley in den USA teilnehmen sollen.
Tiriac: Richtig. Ich hatte sehr viel für diesen Traum investiert, aber es war damals die Zeit des Kalten Krieges. Eine Woche vor Beginn der Spiele entschied Rumänien, auf eine Teilnahme zu verzichten. Für mich persönlich war das ein Desaster. Aber es war eine politische Entscheidung und wir hatten zu gehorchen. Zum Glück konnte ich mir dafür 1964 in Innsbruck meinen Olympia-Traum erfüllen. Leider bekamen wir es in der Ausscheidungsrunde mit den starken Amis zu tun und verloren 2:7. Aber danach spielten wir eine gute Platzierungsrunde und schlugen unter anderem Österreich. Es war eine tolle Erfahrung, dennoch war für mich klar, dass ich nach den Winterspielen nie mehr Eishockey spielen würde. Ich wollte mich danach auf Tennis konzentrieren.
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Das gelang Ihnen sehr gut. Die Höhepunkte Ihrer Tenniskarriere lesen sich wie folgt: Mit Rumänien erreichten Sie dreimal das Davis-Cup-Finale, Sie waren ein herausragender Doppelspieler und gewannen mit Ilie Nastase die French Open. Wie würden Sie Ihre Zeit als Tennisprofi beschreiben?
Tiriac: Ich musste von Anfang an akzeptieren, dass ich nicht mit einem so großen Talent gesegnet war wie ein Nastase oder ein Borg. Ich musste viel härter arbeiten und viel mehr trainieren als diese Jungs. Wenn Nastase am Tag eineinhalb Stunden auf dem Platz stand, stand ich sechs Stunden auf dem Platz. Aber ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Nicht nur im Doppel. 1968 und 1969 stand ich auch im Einzel in den Top 10. Ich erinnere mich noch gut an die French Open 1968, dort führte ich im Viertelfinale mit 2:0-Sätzen gegen den großen Rod Laver. Ein Jahr später sollte Laver zum zweiten Mal den Grand Slam gewinnen und ich hatte ihn am Rande der Niederlage. Leider habe ich es nicht ganz gepackt, genauso wie wir es zwar dreimal ins Davis-Cup-Finale schafften 1969, 1971 und 1972, aber jedes Mal den ganz großen Coup verpassten. Und jedes Mal gegen die USA. Besonders das Finale 1972 war bitter, da spielten wir zuhause in Bukarest, Nastase war ganz oben angekommen, aber wir verloren knapp mit 2:3 gegen Stan Smith und Co. Dennoch kann ich mich insgesamt nicht beklagen.
Tiriac: "Sorry, aber da bin ich ganz unbescheiden"
Zumal Sie sehr früh dann die Seiten gewechselt haben und Coach und Manager wurden.
Tiriac: Ich war fasziniert davon, Spieler von einem ganz frühen Zeitpunkt an zu entwickeln. Ich wollte nie mit einem etablierten Spieler zusammenarbeiten. Ich wollte die Jungs aufbauen, formen und nach oben führen. Heutzutage sind Trainer Leute, die ihren Spielern die Wasserflasche reichen, den Schläger zum Bespannen bringen und einen Trainingsplatz mit einem Hitting-Partner buchen - und dafür einen Haufen Kohle kassieren. Und dann haben die Spieler oft noch einen Psychologen, Physiotherapeuten und was es sonst noch so gibt. Wenn sie heute zu einem Turnier reisen, sitzen da sieben Leute im Flugzeug.
Und damals?
Tiriac: Damals hatten wir niemanden. Der einzige Coach, von dem ich etwas gelernt habe, war Harry Hopman. Ich glaube, ich war nicht so schlecht. Wenn du einen Spieler einmal von ganz unten nach ganz oben führst, kann man vielleicht sagen, dass es Glück war. Aber wenn du das drei- oder viermal machst - über zehn bis 15 Jahre - so wie ich, dann muss ich wohl doch einiges richtig gemacht haben. Sowohl als Coach auch als Manager, was ich ja beides gleichzeitig gemacht habe. Sorry, aber da bin ich ganz unbescheiden. (lacht)
In Deutschland kennt Sie natürlich jeder wegen Ihrer Zeit mit Boris Becker. Auch er kam ganz jung zu Ihnen. Wann haben Sie ihn das erste Mal gesehen?
Tiriac: Das kam über meinen guten Freund Günther Bosch, der wie ich in Kronstadt geboren wurde. Er war zwei Jahre älter und hat nur 100 Meter von mir entfernt gewohnt. Er war damals Nachwuchstrainer beim Deutschen Tennis Bund. Eines Tages kam er zu mir und meinte: Ion, ich habe da einen Jungen, den musst du dir unbedingt anschauen. Ich war aber nicht sonderlich begeistert. Ich hatte den Spruch meines guten Freundes Horst Dassler im Kopf: "Die Deutschen sind richtig gut, wenn sie 13, 14 oder 15 Jahre alt sind. Aber irgendwann trinken sie nicht mehr zwei Bier, sondern vier. Aus vier werden acht und dann kannst du sie eh vergessen."
"Ich sah einen Burschen, der über den Platz gestolpert ist"
Aber am Ende Sie sind doch hingegangen.
Tiriac: Ja, ich habe mir diesen Jungen dennoch angeschaut. Und ich sah einen Burschen, der nur so über den Platz gestolpert ist. Er konnte keinen Fuß vor den anderen setzen, seine Beinarbeit war so schlecht. Er hatte blutige Füße, weil er sich über den Platz geschmissen hat - weil er nicht wusste, wie er sich bewegen sollte. Aber dafür waren seine Schläge unglaublich und ich konnte in seinen Augen diesen unbändigen Willen sehen. Er hatte eine Gier, die nicht gewöhnlich war. Das hat man sofort erkannt.
Wie ging es dann weiter?
Tiriac: Ich fand Boris so interessant, dass ich ihn testen wollte. Ich wollte, dass er zu mir nach Monte Carlo kommt und einen Monat lang gegen Guillermo Vilas spielt. Jeden verdammten Tag. Vier Stunden lang. Ich arbeitete damals mit Vilas zusammen und für mich ist er der größte Spieler aller Zeiten.
Vilas?
Tiriac: Ja, Vilas ist der Größte. Und wissen Sie warum? Weil er nullkommanull Talent hatte. Was er daraus aber machte, war unfassbar. Vilas hat geschuftet wie ein Verrückter und sich jeden seiner Siege und Grand-Slam-Titel erkämpft. Ich wollte, dass Boris einen Monat lang Vilas erlebt und danach war ich mir sicher, dass er seinen Weg gehen würde. Ich bin zu seinen Eltern gegangen und habe ihnen gesagt, dass Boris morgen seinen Rucksack packen soll. Wir stellten ein Trainingsprogramm auf und machten einen Turnierplan. Boris war extrem jung damals, aber er hat zugehört und war bereit. Im Prinzip war das der Moment, als der Tennis-Superstar Boris Becker geboren wurde.