Am Montagabend hielt Jannik Sinner in Cincinnati die nächste Siegertrophäe hoch, am Dienstagmorgen holte den Weltranglistenersten seine Vergangenheit ein. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der Italiener im März gleich zweimal positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet und anschließend durch ein unabhängiges Gericht von jeder Schuld freigesprochen worden.
Das gab die International Tennis Integrity Agency (ITIA) in einer Mitteilung bekannt. Auch Fahrlässigkeit sei dem Tennisstar in den betreffenden Fällen wegen einer angeblich glaubwürdigen Begründung für die Testergebnisse nicht vorzuwerfen.
"Ich werde diese herausfordernde und zutiefst unglückliche Zeit jetzt hinter mir lassen", teilte Sinner in einer Erklärung bei X mit. Er werde "weiterhin alles tun, um sicherzustellen, dass ich das Anti-Doping-Programm der ITIA einhalte".
Von der Konkurrenz gab es teils kritische Töne. "Lächerlich, ob es nun ein Unfall war oder nicht", schrieb etwa der Australier Nick Kyrgios im Sozialen Netzwerk X: "Du solltest für zwei Jahre gesperrt werden. Deine Leistung hat sich verbessert." Auch der Kanadier Denis Shapovalov ist nicht begeistert: "Ich kann mir nicht vorstellen, was andere wegen Kontamination mit verbotenen Substanzen gesperrte Spieler derzeit fühlen."
Janik Sinner im März zweimal positiv getestet - und freigesprochen
Eine "unwissentliche transdermale Kontamination" soll Ursache für die positiven Proben sein, die beim Masters in Indian Wells (10. März) und acht Tage später in einer Trainingsphase genommen wurden. Sinner hat laut ITIA erklärt, die Substanz könne während Behandlungen in seinen Körper gelangt sein. Ein Mitglied seines Betreuerteams habe ein in Italien rezeptfrei erhältliches Spray mit Clostebol zur Wundbehandlung auf seine eigene Haut aufgetragen. Da diese Person ihn vom 5. bis 13. März täglich massiert und sporttherapeutisch behandelt habe, könne es zu einer Übertragung gekommen sein.
Für die ATP ist der Prozess zufriedenstellend verlaufen. "Es ist ermutigend für uns, dass Jannik Sinner kein Verschulden oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte", teilte die Spielervereinigung in einer Reaktion mit. Man würdige die "unabhängige Bewertung der Fakten im Rahmen des Tennis-Anti-Doping-Programms (TADP)", die es dem 23-Jährigen ermöglicht hätte, "weiterhin an Wettkämpfen teilzunehmen".
Bei Sinner, der in der Nacht zum Dienstag beim Masters in Cincinnati seinen fünften Titel in diesem Jahr gewonnen hatte, wurden laut ITIA zweimal geringe Mengen Clostebol festgestellt. Gegen den Australian-Open-Champion sei jeweils eine vorläufige Sperre verhängt worden. In beiden Fällen habe Sinner erfolgreich Berufung eingelegt.
Nach Rücksprache mit Experten, für die Sinners Erklärung glaubwürdig gewesen sei, hat die ITIA laut Mitteilung den Einsprüchen des Spielers zur Aufhebung der vorläufigen Sperren nicht widersprochen. Die Agentur verwies den Fall an ein unabhängiges Gericht, "um die spezifischen Fakten zu prüfen, vergleichbare Anti-Doping-Entscheidungen zu überprüfen und festzustellen, welche Schuld der Spieler gegebenenfalls trug und welches Ergebnis angemessen war". Am 15. August sei schließlich eine Anhörung einberufen worden, "bei der das unabhängige Gericht feststellte, dass in dem Fall kein Verschulden oder keine Fahrlässigkeit vorlag, was zu keiner Sperre führte".
"Wir nehmen jeden positiven Test äußerst ernst und werden immer die strengen Verfahren der WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur, d.Red.) anwenden. Die ITIA hat eine gründliche Untersuchung der Umstände durchgeführt, die zu den positiven Tests geführt haben, bei der Herr Sinner und seine Vertreter uneingeschränkt kooperierten", sagte ITIA-Geschäftsführerin Karen Moorhouse: "Nach dieser Untersuchung akzeptierte die ITIA die Erklärung des Spielers. Dies wurde auch vom Gericht akzeptiert."
Trotz des doppelten Freispruchs werden Sinner gemäß der Anti-Doping-Regeln das Preisgeld und die Ranglistenpunkte von Indian Wells aberkannt. Völlig ausgestanden ist die Angelegenheit für Sinner aber nicht unbedingt. Die WADA und die italienische Anti-Doping-Agentur (NADO Italia) können gegen die Entscheidung Berufung einlegen.