"Wir nehmen keine Rücksicht!"

Von Interview: Bärbel Mees
Jörg Fischer gründete 1997 mit weiteren Spielern den Verein "Munich Rugbears"
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1997 gründete Jörg Fischer (47) den Rollstuhlrugby-Verein Munich Rugbears mit. Seit zehn Jahren spielt er in der Bundesliga, holte 2000 als Gastspieler für Ulm den deutschen Meistertitel und war in den folgenden Jahren im erweiterten Kader für die EM und die Paralympics. Bei SPOX erzählt Fischer von dem Unfall, der sein Leben verändert hat, und spricht über das Training, in dem es manchmal richtig hanebüchen zur Sache geht.

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SPOX: Sie sitzen seit dem 19. Lebensjahr im Rollstuhl. Was ist damals passiert?

Jörg Fischer: Ich habe einen Kopfsprung in ein Gewässer gemacht, das nicht tief genug war. Mit dem Kopf bin ich auf den Boden aufgeprallt und habe mir ganz klassisch das Genick gebrochen. Bei vollem Bewusstsein.

SPOX: Was ging Ihnen nach dem Unfall durch den Kopf?

Fischer: Als ich wieder halbwegs klar denken konnte, hatte ich auf meine Situation natürlich nicht wirklich Bock. Aber ich war in einer Unfallklinik, die eine eigene Querschnittabteilung hatte. Dort arbeiten Leute, die solche Schicksale tagtäglich sehen. Die behandelten mich als ganz normalen Mensch, ohne großes Mitleid. Das ist den Mitarbeitern dort scheißegal. Sie sagten immer: "Sieh zu, dass Du Deine Möglichkeiten ausschöpfst und hier bald raus kommst".

SPOX: Will man das überhaupt hören?

Fischer: Das ist tagesformabhängig. Du siehst Leute, die damit gut umgehen, und suchst dir als Anhaltspunkt immer gleichwertig Behinderte. Sicher ist es plötzlich ein völlig anderes Leben. Nach meinem Unfall war ich acht Monate in der Klinik, habe dann die Schule abgebrochen und eine Ausbildung gemacht. Aber richtig gut ging es mir erst, als ich danach von zuhause weggegangen und nach München gezogen bin. Hier kennen mich die Leute nur im Rollstuhl, sie vergleichen mich nicht mit früher. Das ist einfacher.

SPOX: Inwiefern verschieben sich durch so einen Unfall die Prioritäten?

Fischer: Man muss sein Leben total umstellen. Ich werde beispielsweise nie selbständig sein, dazu fehlen mir zu viele Funktionen. Neben einem sozialen Netz ist aber auch die Persönlichkeit wichtig. Der eine verzweifelt und gibt sich auf, der andere denkt sich: "Scheiße, aber irgendwie geht's schon weiter."

SPOX: Warum spielen Sie ausgerechnet Rugby?

Fischer: Ich habe immer etwas Tischtennis gespielt, aber das war mir zu mau. Über Bekannte bin ich dann zum Rugby gekommen, und wir haben hier in München den Verein gegründet. Es war das erste Mal, dass ich mich so richtig ausgepowert habe. Ich war danach richtig im Arsch, denn man kann sich völlig verausgaben. Das ist grandios, ein richtiger Kick.

SPOX: Es scheint aber nicht jeder zu wissen, denn nur 330 Menschen in Deutschland spielen Rollstuhl-Rugby. Warum so wenige?

Fischer: Mir kommt es ziemlich viel vor. In den letzten Jahren ist das Rugby deutlich bekannter geworden. Viel mehr Leute haben angefangen, es zu spielen. Trotzdem ist es sehr schwer, jemanden dafür zu motivieren. Jeder unserer Spieler versucht auf der Straße andere Rollstuhlfahrer dazu anzuhalten, mal bei uns vorbeizuschauen.

SPOX: Viele von Ihnen spielen auf hohem Niveau. Was wird konkret trainiert?

Fischer: Früher haben wir Krafttraining gemacht. Der Schwachpunkt ist, dass wir keinen Trainer haben, der uns genau sagt, was wir tun sollen. Vor Turnieren trainieren wir deshalb Spielsituationen und üben Fahrtwege ein. Da werden die ganzen Basics noch einmal wiederholt. Mit dem Rollstuhl können wir ja alle umgehen. Mittlerweile spielen wir auf zwei Feldern, allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau. Einige sind sehr ehrgeizig, andere wollen einfach Spaß haben. Manche betreiben es als Amateursport, andere als Leistungssport. Bei uns ist es sehr schwer, diese Leistungsspanne unter einen Hut zu bekommen.

SPOX: Wie werden die Teams zusammengesetzt?

Fischer: Es sind vier Spieler, die je nach Grad der Behinderung eingestuft und mit 0,5 bis 3 Punkten klassifiziert werden. International darf ein Team acht Punkte aufweisen, in Deutschland gilt derzeit noch die Sieben-Punkte-Regel. Frauen haben dieselbe Klassifizierung, doch national gibt es einen halben Punkt als Bonus für die ganze Mannschaft, denn die Teams sind gemischt. Die Klassifizierungen im Rugby und im Basketball ähneln sich.

SPOX: Dennoch ist Rollstuhlrugby wesentlich unpopulärer als Rollstuhlbasketball. Warum?

Fischer: Rugby gibt es noch nicht so lange. Unseren Verein haben wir 1997 gegründet. Da gab es deutschlandweit erst fünf Mannschaften. Mittlerweile sind es um die 40. Das Problem ist, dass es für die Tetraplegiker, die kein Basketball spielen können, keine andere Mannschaftssportart als Rugby gibt. Aber es wird noch lange dauern, bis Rugby den Bekanntheitsgrad von Basketball hat. Wir tun uns auch sehr schwer, Zuschauer zu finden. Wenn wir alle Bekannte und Freunde zusammentrommeln, sind es vielleicht um die 50.

SPOX: Wie sehr ist Ihr Verein auf persönliches Engagement angewiesen?

Fischer: Sehr stark. Es ist beispielsweise recht teuer, auf einen Spieltag der Bundesliga zu fahren. Da sind locker 1200 Euro nur für das Hotel weg. Das zahlt der Verein aus der Kasse, die Fahrtkosten müssen die Spieler aber selber übernehmen. Fahrgemeinschaften sind durch das viele Material schwierig: Jeder hat zwei Rollstühle, mehr als zwei Leute passen also nicht in ein Auto rein. Es ist also immer ein Riesenact, und dabei haben wir nur 14 feste Mitglieder.

SPOX: Warum ist es so schwer, neue Mitglieder zu finden?

Fischer: Nicht jeder von den Fußgängern macht Sport. Genauso ist das bei den Rollstuhlfahrern. Wenn man allein die Hälfte derer erreicht, die überhaupt zum Rugby in der Lage sind, ist das schon sehr viel.

SPOX: Liegt es vielleicht daran, dass einige Menschen mit Behinderung eine Scheu haben, in den Behindertensport einzutreten?

Fischer: Das kommt bei ganz wenigen vor. Eigentlich sind diejenigen, die Sport treiben, ziemlich aufgeschlossen. Es gibt gar nicht mehr so viele Rollstuhlfahrer, die nur noch zu Hause sitzen und nichts mehr machen. Aber einige, die bei uns vorbeigeschaut haben, haben wieder  aufgehört. Die haben wir irgendwie verschreckt.

SPOX: Ist der Sport manchen Neuen zu hart?

Fischer: Zu hart kommt selten vor. Eigentlich sind alle, die kommen, überrascht, dass bei uns richtig was passiert, und sind heiß auf die Herausforderung. Auch der sportliche Ehrgeiz ist Horror. Manchmal geht es bei uns im Training richtig hanebüchen zu. Wir neigen dazu, die Leute zu überfordern und zu hart ranzunehmen. Allerdings bitten wir die Neuen jedes Mal, uns Bescheid zu geben, wenn es ihnen zu viel wird. Aber Rücksicht nehmen wir nicht wirklich.

SPOX: Ist das der Grund, warum nur eine Frau im Team ist?

Fischer: Zum einen sind deutlich weniger Frauen als Männer Tetraplegiker. Zum anderen hören Frauen schneller auf, wenn sie mal was abbekommen. Die Frauen, die deutschlandweit spielen, sind ziemlich tough. Schon noch weiblich, aber auch ziemlich hartgesotten.

SPOX: Sind die meisten Spieler eher von Geburt an behindert oder durch einen Unfall?

Fischer: Eigentlich hatten alle von uns einen Unfall. Eine unsere Quellen für Nachwuchs ist die Unfallklinik in Murnau. Der dortige Sportlehrer bringt ab und zu ein paar Leute zu unserem Training vorbei.

SPOX: Wie sehr hilft die Gemeinschaft so kurz nach dem Unfall?

Fischer: Das ist der Hauptgrund, warum ich versuche, Leute zum Rugby zu bewegen. Als wir angefangen haben, war ich der Meinung, ich sei recht fit für meine Behinderung und ganz gut rehabilitiert. Aber durch das Rugby kann man sich von den anderen Tricks abschauen, auch für den Alltag. Außerdem legt man noch einmal brutal an Fitness zu. Der Austausch ist immens.

SPOX: Wie hat Ihnen Rugby geholfen?

Fischer: Eigentlich habe ich mich vorher auch gut gefühlt. Es ist nicht so, dass ich scheiße drauf war und jetzt durch das Rugby total aufgeblüht bin. Aber es ist eine wahnsinnige Bereicherung in meinem Leben. Als wir den Verein gegründet haben, waren alle richtig geil drauf, was zu machen. Wir sind auf internationale Turniere nach Schweden, Belgien, Wales und in die Schweiz gefahren. Wir sind fett rumgekommen und hatten sehr viel Spaß. Inzwischen sind wir etwas ruhiger geworden. Man braucht auch die Zeit für solche Reisen. Das ist bei einem Fulltime-Job auf die Dauer schwer.

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