Die Ultimate Fighting Championship wirbt immer stolz damit, dass über 80 Prozent der Kämpfer unter Vertrag über ein Studium oder eine vergleichbare Ausbildung verfügen. Der Kalifornier Nick Diaz gehört zu den anderen 20 Prozent.
Im Alter von 16 Jahren brach er seine Schulausbildung ab und konzentrierte sich voll und ganz auf den Kampfsport. Diaz ist keineswegs dumm, aber er wird gern so empfunden, weil ihm der verbale Schliff fehlt, um sich mit anderen, gebildeteren Menschen Wortgefechte liefern zu können.
Wer Nick Diaz nur vom Fernsehen her kennt, würde ihn als einen typischen Kriminellen mit Gangvergangenheit einsortieren: ständig wütend, die Mittelfinger gern zum Gruß erhoben, und seine Blicke können töten. Doch das ist nur sein Schutzschild. Weil er meint, sich nicht richtig artikulieren zu können, setzt er eine Fassade auf, um von Fremden in Ruhe gelassen zu werden.
Zuflucht Latino-Gang
Lässt Diaz die Deckung jedoch einmal fallen, erlebt man ihn von einer ganz anderen Seite. Bildung im klassischen Sinne hat ihn nie interessiert. Er erkannte früh sein ausgeprägtes kämpferisches Talent und investierte seine Zeit lieber darin, sich mit den Fäusten ausdrücken zu können als mit Worten.
Der Kampfsport war Diaz' Zuflucht, um nicht - wie es sonst in seiner Altersgruppe üblich war - in einer Latino-Gang zu landen. Und er nutzte diese Zuflucht, um seinen kleinen Bruder Nate ebenfalls auf dem rechten Pfad zu halten. Diaz ist überzeugter Vegetarier und hat seit seiner Kindheit kein Fleisch mehr angefasst - seitdem ihm bewusst wurde, dass dafür Tiere sterben müssen.
Anders als es sein Verhalten im Käfig vermuten lassen würde, ist Nick Diaz nicht vorbestraft. Er unterrichtet Kinder aus unterprivilegierten Familien im Kampfsport, um auch ihnen das Schicksal zu ersparen, vor dem ihn der Kampfsport gerettet hat.
Er ist ein Mensch, der gern lacht... ein Mensch wie du und ich. Doch davon wird sein Gegner Carlos Condit in der Nacht auf Sonntag wenig sehen, denn im Octagon kennt Diaz nur einen Gang: Zerstören, zerstören, zerstören.
Like Anderson Silva
Wer dieses Wort hört, wird gleich an Kämpfer wie Junior Dos Santos, Wanderlei Silva oder Anderson Silva denken, Männer also, die einen mit feinster Technik oder auch rohem Siegeswillen überrollen. Nick Diaz ist anders. Er nutzt seinen Jab hundertfach im Laufe eines Kampfes, um den Gegner auf Distanz zu halten.
Sein Ziel war es noch nie, schnell zu gewinnen. Sein Ziel war es dagegen immer, den Gegner zu demoralisieren und seinen Siegeswillen zu brechen. Diaz lässt sich Zeit -alle Zeit der Welt, wenn es sein muss.
Als Zuschauer hat man immer das Gefühl, dass sein Kampfstil nicht sonderlich effektiv ist und dass der Gegner einen einzigen Kontertreffer vom Sieg entfernt sein muss. Doch der Erfolg gibt ihm Recht: Elf Siege in Folge, der Gewinn der Weltmeisterschaft von Strikeforce, eine völlige Zerstörung von UFC-Legende BJ Penn in Diaz' ersten Kampf zurück in der Liga.
Wer nun allerdings meint, dass Diaz ähnlich wie Jon Fitch nur darauf aus ist, Kämpfe sicher nach Hause zu fahren, der täuscht sich: Nur zwei dieser elf Siege gingen über die Distanz, nur in vieren musste Diaz in die dritte Runde. Ex-Gegner wie Frank Shamrock und Scott Smith attestieren Diaz, dass seine vielen Mini-Schläge nicht nach viel aussehen mögen, den Rhythmus des Gegners jedoch so stören, dass selbst seine Atmung in Mitleidenschaft gezogen wird, was der Ausdauer nicht zuträglich ist.
Einer der besten der Welt
Nick Diaz ist ein Ausnahmeathlet und vermutlich einer der fünf begabtesten MMA-Kämpfer der Welt. Er hat das Zeug dazu, bei UFC 143 Carlos Condit zu besiegen und der neue Interimsweltmeister zu werden.
Der verletzte tatsächliche Weltmeister, Georges St-Pierre, drückt ihm die Daumen, damit er Diaz selbst später in die Finger bekommt. Es ist kein Geheimnis, dass St-Pierre wenig für den Kalifornier übrig hat. Er hält Diaz für einen Psychopathen und will ihm seine Grenzen aufzeigen.
Man sollte jedoch nicht den Fehler machen, Diaz' Gegner bei UFC 143, Carlos Condit, zu unterschätzen. Condit mag zwar kein Wunderkind sein wie Nick Diaz, aber er ist ein harter Arbeiter, der seine Stärken und Schwächen genau kennt und in den letzten fünfeinhalb Jahren deswegen genau eine Niederlage einstecken musste.
Selbst diese war eine hauchdünne Punktrichterentscheidung, die genauso gut für ihn hätte ausgehen können. Condit und sein Gegner bei UFC 143 könnten nicht gegensätzlicher sein.
Condit, der Mann aus gutem Hause
Während Nick Diaz aus einfachen Verhältnissen kommt und in einer der schlimmsten Städte der USA aufwuchs, kommt Carlos Condit aus gutem Hause, und es hat ihm in seinem ganzen Leben an nichts gefehlt. Condits Vater Brian war der Stabschef des früheren Gouverneurs von New Mexico und Präsidentschaftskandidaten Bill Richardson.
Während er seinen Sohn lieber in der Politik gesehen hätte, unterstützte er Carlos mit aller Konsequenz auf seinem Weg, ein kompletter Kämpfer zu werden.
Condit ist frischgebackener Familienvater und hat gefühlt nie einen Moment, in dem er zu Dritten unfreundlich ist. Anders als Diaz, dessen Striking auf Zermürbung abzielt, landet Condit Wirkungstreffer. Diaz ist Boxer, Condit Kickboxer in Vollendung, und seine beste Waffe sind seine Schienbeine, die er bevorzugt aus sicherer Distanz zum Kopf abfeuert.
Ein Kampf ohne Favorit
Stilistisch wird der Fight damit sehr interessant, denn des Kaliforniers typische Taktik, den Gegner auf Distanz zu halten, wäre gegen Condit gefährlich. Mit Abstand zündet er seine Kicks und seine Flying Knees, doch auch im Infight ist mit ihm nicht zu spaßen, wie der Brite Dan Hardy feststellen musste.
Man findet gute Argumente, warum Nick Diaz Carlos Condit besiegen wird. Man findet aber ebenso gute Argumente für Condit. Der Hauptkampf von UFC 143 wird einer der seltenen Fights, bei denen man eine Münze werfen könnte, und es gilt als gesichert, dass den Sieger und den Verlierer Millimeter trennen werden.
Diaz gehört die Zukunft
Auf mittlere Sicht wäre ein Sieg von Diaz aber interessanter. Champion Georges St-Pierre setzt sehr stark darauf, den Gegner zu kontrollieren und ihm den eigenen Kampfstil aufzuzwängen.
Er geht keine Risiken ein und ist damit in den letzten Jahren gut gefahren. Die Fachwelt ist sich einig, dass Nick Diaz ihn vor ganz neue Probleme stellen würde, denn während sich Kämpfer wie Dan Hardy und Josh Koscheck vorhersehbar waren, ist es völlig unmöglich, Diaz einzuschätzen. Er würde GSP dazu zwingen, in den Infight zu gehen - mit offenem Ausgang.Die Presse hat sich schon auf das Duell zwischen Diaz und GSP eingeschossen. Es gibt einen Menschen, dem es schon immer in die Karten gespielt hat, übersehen und nicht ernst genommen zu werden. Seine Name: Carlos Condit.
UFC 143: Diaz vs. Condit wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag ab 4 Uhr auf SPOX.com und UFC.tv übertragen. Die ersten beiden Vorkämpfe starten um 1 Uhr auf facebook.com/UFC, ab 2 Uhr geht es dann weiter auf SPOX.com und UFC.tv.