UFC

Nur ein Mensch

Ronda Rousey galt nach ihrem Aufstieg als unbesiegbar
© getty

MMA-Königin, Filmstar, Vorbild: Ronda Rousey stand sinnbildlich für Erfolg. Die US-Amerikanerin revolutionierte nicht nur die Wahrnehmung von weiblichen Kämpferinnen in der UFC, sondern im gesamten Kampfsport. Ein Tritt von Holly Holm stellte ihre Welt auf den Kopf. Zum Vorschein kamen ein Mensch, tiefe Abgründe und vor allem eine unerschütterliche Gewissheit.

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Erfolg bringt stets die Gefahr mit sich, einen Menschen zu verändern. Was er jedoch auf jeden Fall wandelt, ist die Wahrnehmung der betreffenden Person durch andere. Erfolg schafft Anerkennung und Missgunst gleichermaßen, kann vereinen oder spalten. Erfolg hat Schattenseiten.

Ronda Rousey hatte großen Erfolg.

Als Rousey bei UFC 193 im November 2015 nach 995 Tagen als ungeschlagene Weltmeisterin im Bantamgewicht in Melbourne im Etihad Stadium auf Holly Holm traf, sollte das nächste Kapitel ihrer Geschichte geschrieben werden. Keine dreieinhalb Monate nach der Machtdemonstration in Rio de Janeiro, als sie im Rahmen von UFC 190 Bethe Correia innerhalb von nur 34 Sekunden aus dem Weg geräumt hatte, war die US-Amerikanerin auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.

Rousey galt als unverwundbar, war in den Medien allgegenwärtig und längst über die Grenzen der Promotion von Präsident Dana White hinausgewachsen. Sie schmückte unzählige Magazine, hatte für das Body Issue von ESPN gar die Hüllen fallen lassen und war in Hollywood-Blockbustern wie The Expendables 3 oder Fast & Furious 7 zu sehen. Rousey wurde verehrt wie ein Popstar, war das Vorbild einer neuen Generation - stark und sexy. Ihr Name stand für Erfolg.

Ein Tritt ändert alles

All das interessierte Holm jedoch wenig. Das Ausrufezeichen hinter eine starke Leistung setzte die ehemalige Weltmeisterin im Boxen in der zweiten Runde. Ein gezielter Tritt an die Seite des Kopfes ihrer Landsfrau aus den Vereinigten Staaten war es, der das Ende des Kampfes einleitete und Rousey innerhalb von Sekunden des Nimbus der Unbesiegbarkeit beraubte. Es war ein Tritt, der die Sport-Welt auf den Kopf stellte, vor allem aber die der bis dato unbestrittenen Königin des Octagons.

Alles was Rousey über Jahre hinweg aufgebaut hatte, schien in sich zusammenzufallen. In Sekundenbruchteilen wurde ein Image zerstört, um das sich die Frau aus Kalifornien zwar nie gerissen hatte, in das sie jedoch hineingewachsen war und welches sie mit zunehmender Dauer immer selbstverständlicher ausgefüllt hatte.

Aus dem Liebling der Massen war in den Augen vieler Fans schon lange der Wolf im Schafspelz geworden. Einige Menschen lieben es einfach, Giganten zu erleben - und sie stürzen zu sehen.

"Was bin ich noch, wenn ich nicht mehr Champion bin?", sei ihr sofort durch den Kopf geschossen, gestand Rousey später gegenüber NBC-Moderatorin Ellen DeGeneres in deren gleichnamiger Talkshow. Der Wettkampf war schon lange zu ihrem zentralen Lebensinhalt geworden und definierte für sie zugleich ihren Wert als Menschen. Nicht als beiläufiger Faktor einer langen Gleichung, sondern als einziger.

Schmerz ist nur eine Information

Als Konsequenz hatte Rousey eine Besessenheit entwickelt, gewann unter anderem eine Bronzemedaille im Judo bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Sie ordnete dem sportlichen Erfolg alles unter, bezahlte dafür aber einen Preis. An eine weiterführende Ausbildung war nicht zu denken, sie hatte durch das Gewichtmachen für Wettkämpfe Essstörungen und wurde aufgrund ihrer Muskeln gehänselt.

Einen großen Anteil daran, dass die 30-Jährige abseits des Kampfsports immer wieder Probleme hatte, hat ihre Mutter. Unter AnnMaria De Mars' strengen Augen wurde ein Scheitern nie akzeptiert, ihre Tochter von Kindesbeinen an auf Erfolg gedrillt. Selbst ein gebrochener Knöchel galt nicht als Ausrede.

"Schmerz ist nur eine Information. Diese Information kann man zur Kenntnis nehmen oder sie einfach ignorieren", sei ihr immer eingetrichtert worden, sagte Rousey einst. Es ist eine geradezu heroische Sichtweise, die allerdings einen entscheidenden Faktor außer Acht lässt. Gibt es doch nicht nur den physischen Schmerz, sondern auch den, der einen von innen heraus zerfressen kann.

"Ich dachte daran, mich umzubringen", gestand Rousey, für die ihr Erfolg auch immer die Verdrängung von Problemen beinhaltete. "Ich dachte, ich bin ein Nichts. Was soll ich noch tun? Niemand interessiert sich mehr für mich."

Es waren alarmierende Worte vor dem Hintergrund einer sportlichen Niederlage. Als nichts anderes ist der Knockout gegen Holm einzuordnen.

Ein Schatten der Vergangenheit

Nicht minder erschreckend waren jedoch die Reaktionen auf das Geständnis. Verdeutlichten jene doch, dass Rousey in der öffentlichen Wahrnehmung schon lange nicht mehr als Mensch, sondern als Marke gesehen wurde. Es gehe der Gefallenen um das Sammeln von Sympathien, war zu hören. Rousey wolle mit dem Geständnis von ihrer Niederlage ablenken und Aufmerksamkeit erhaschen.

Angesichts der Thematik muss jede dieser Aussagen wie ein Schlag in die Magengrube gewesen sein.

Als Rousey acht Jahre alt war, hatte sich ihr Vater das Leben genommen. Ein Unfall hatte zuvor sein Rückgrat nachhaltig geschädigt. An den Schmerzen und Nachwirkungen verzweifelnd, beging er schließlich Selbstmord. In der Garage, während Rousey mit ihrer Schwester Jennifer wenige Meter weiter TV schaute. Auch ihr Großvater hatte diesen Weg, aus dem Leben zu scheiden, gewählt.

Ronda Rousey im SPOX-Porträt: Sekundenkillerin als Superstar

"Sie ist auch nur ein Mensch. Sie hat jedoch das Pech, dass sie als Goliath gesehen wird", brachte es Box-Legende Mike Tyson auf den Punkt, der in seinem Leben selbst mit Dämonen zu kämpfen hatte.

Dass der Mensch hinter einem großen Namen oft aus dem Gedächtnis verschwindet, ist nicht neu. Der Fall Rouseys zeigt aber einmal mehr die Dimensionen, die diese Denkweise inzwischen angenommen hat. Wer gut verdient, muss liefern. Geld heilt alle Wunden. Das Recht auf Menschlichkeit? Ist der Preis.

Um das Finanzielle ging es für Rousey, die vor ihrem steilen Aufstieg in der UFC als Barkeeperin gejobbt, ein Alkohol- und Drogenproblem und dabei stellenweise nicht mal ein festes Dach über dem Kopf hatte, schon lange nicht mehr. Im Jahr 2015 rangierte sie auf der Forbes-Liste der Spitzenverdienerinnen auf Rang drei. Die Zeiten, in denen sie im Auto schlafen musste, sind vorbei. Rousey hat ausgesorgt.

Vor ihr liegt ein Leben, welches sich viele wünschen würden. Rousey gehört nicht dazu. Noch nicht.

Selbstvertrauen weicht Angst

An einer Rückkehr gab es für sie - zumindest nach außen - keinen Zweifel. "Ich will in der Lage sein, mit erhobenem Haupt zurückzutreten", erklärte Rousey. Dass sie dies auch ohne einen Kampf gekonnt hätte, dafür war in ihrem Kopf kein Platz.

Rousey ließ sich überraschend viel Zeit. Knapp 13 Monate gingen ins Land, ehe sie einem Kampf gegen Amanda Nunes UFC 207 zustimmte. Aufbaukämpfe, wie sie nach einer langen Pause üblich sind, kamen nicht in Betracht. Der Grund war rückblickend wohl weniger das eigene Selbstvertrauen, sondern falscher Stolz.

Der Kampf in Las Vegas sollte ihre Wiederauferstehung werden. Rousey, die praktisch im Alleingang dafür gesorgt hatte, dass ihr Geschlecht nicht nur in der UFC akzeptiert wurde, sondern die auch die Rolle von Frauen im gesamten Kampfsport revolutioniert hatte, wollte ihren Platz an der Spitze zurückerobern.

In Nevada wurde aber schnell klar, was sie zuvor nicht wahrhaben wollte: Holms Tritt hatte sie verändert.

All das Selbstvertrauen vergangener Tage war ebenso verschwunden wie ihre Furchtlosigkeit. Ihre taktische Ausrichtung durch Trainer Edmond Tarverdyan war, wie bereits gegen Holm, katastrophal. Rousey wirkte von Beginn an ängstlich und ratlos. Früher hatte sie ihre Kämpfe auf psychologischer Ebene für sich entschieden und ihre eigentliche Limitierung im Octagon so kaschiert. Das ist Vergangenheit.

Der schwerste Schritt

Die Konsequenz war eine 48-Sekunden-Demontage und die Bestätigung dafür, dass das Niveau der Konkurrenz ihr offensichtlich über die Jahre einfach über den Kopf gewachsen zu sein scheint. Nunes, Holm, Cristiane "Cyborg" Justino und Co. sind inzwischen technisch vielseitiger, athletischer und austrainierter. Die Vorteile, die Rousey durch ihren Judo-Hintergrund hatte, sind längst negiert.

Rousey hat sich bislang nicht geäußert. Ein erneuter Anlauf scheint aber unwahrscheinlich und er wäre auch aussichtslos, würde sie sich nicht ein neues Gym und nach Tarverdyan einen Coach auf ihrem Niveau suchen. Die 30-Jährige müsste von null beginnen, sich Selbstvertrauen gegen schwächere Gegnerinnen aneignen. Es wäre ein langer Weg. Zu lang für Rousey.

"Ich denke, sie ist fertig", gab White zu Protokoll. "Sie wird wohl in den Sonnenuntergang reiten und ihr Leben außerhalb des Kämpfens neu beginnen."

Dieser unausweichliche Schritt wird für Rousey größer als jede Herausforderung, die im Octagon auf sie warten könnte. Sie muss ihn mit der Gewissheit in Angriff nehmen, dass sie stolz auf das Geleistete sein darf.

Sie hat die Tür für jene geöffnet, die nach ihr kommen. "All das gäbe es ohne Ronda nicht", betonte White. Daran können auch keine 48 Sekunden oder ihre Kritiker etwas ändern. Es ist ihr größter Erfolg und ihr wahres Vermächtnis.

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