Jon Jones taumelt, die Halle johlt auf. Wieder sitzt ein Schlag. Plötzlich spürt Jones, wie ihm Blut über das Gesicht fließt. Die Sicht wird schlechter, ein roter Film legt sich über sein rechtes Auge. Wieder knallt der Handschuh seines Gegners in Jones' Gesicht. Er sieht Blitze, während sein Mund mehr und mehr den Geschmack von Eisen wahrnimmt.
Toronto tobt. Jones steht am Rande einer Niederlage. Der Titel im Halbschwergewicht - fast schon in schwedischer Hand. Als er vermeintlich kurz keinen Schlag abwehren muss, spürt er plötzlich einen Griff an seinem rechten Oberschenkel. Krachend landen 180 Kilogramm auf der Matte.
Die Halle schweigt jetzt. Jones' Augen weiten sich vor Entsetzen, während der Schwede keine Zeit verschwendet, sondern sofort damit beginnt, sich in eine bessere Position zu bringen. Der Champ liegt am Boden. 20 Kämpfe hat es dafür gebraucht, nun ist es geschehen.
Jon Jones am Rande der Niederlage gegen Alex Gustafsson
Wenige Sekunden später geht der Unparteiische dazwischen. Pause. Jones ist außer Atem, sein Blick geht in Richtung seines Trainerteams. Zum ersten Mal in seiner Karriere spürt der US-Amerikaner so etwas wie Angst. Alexander Gustafsson ist gut, viel besser als erwartet.
Während sein Rivale Wasser trinkt und bedächtig den Worten seines Trainers lauscht, ist Jones überwältigt. Nie zuvor hat ihn jemand derart gefordert. Gustafsson setzt Schläge, denen Jones zuvor mühelos ausgewichen war. Und dieser Takedown. Niemals zuvor war Jones unfreiwillig auf den Boden versetzt worden.
"Oh mein Gott, dieses Kind ist gut", dachte Jones in diesem Moment, wie er später zugibt. Doch es wäre nicht Jones gewesen, hätte er sich nicht aufgebäumt und gegen die drohende Niederlage gewehrt.
Runde vier und fünf des Kampfes von UFC 165 markierten nicht nur seine Titelverteidigung, sondern auch einen der besten Fights in der Geschichte der UFC. Jones blieb Weltmeister.
Nach UFC 165: Jones und Gustafsson erneut im Duell
Ganz kurz hatten die Fans die verwundbare Seite von Jones gesehen. Hervorgebracht von einem bis dahin vergleichsweise profillosen Europäer. Gustafsson galt als großes Talent, keine Frage, aber Jones galt nach fünf Titelverteidigungen als das Benchmark im Halbschwergewicht.
Der September 2013 liegt inzwischen weit zurück - und doch sind die Erinnerungen noch frisch. Der Kampf markierte den Aufstieg von Gustafsson und wurde zum Beginn einer Höllenfahrt für Jones. Kurz vor Ende des Jahres 2018 werden sich die Wege beider wieder kreuzen: UFC 232 steht vor der Tür.
Jon Jones zwischen Doping und Drogen
Die Entwicklung beider hätte seitdem nicht anders verlaufen können. Gustafsson gewann viel und verlor wenig. Er gilt noch immer als einer der Besten seiner Gewichtsklasse. In Schweden wohnt er mit Frau, zwei Kindern und zwei Hunden im Hinterland von Stockholm. Er mag die ländliche Gegend, der Traum ist aber doch der gleiche geblieben: Jones zur Niederlage zwingen.
Lange war das nicht möglich. Jones verteidigte erst gegen Gustafsson, dann gegen Glover Teixeira. Einen weiteren Kampf gegen Gustafsson, der Schwede hatte schon unterschrieben, lehnte Jones ab und forderte Daniel Cormier. Der nächste Sieg - doch im April 2015 brach ein Sturm los.
Die UFC nahm Jones seinen Titel ab, nachdem er einen Unfall verursachte und zu Fuß Fahrerflucht beging. Bereits zuvor war ihm der Konsum von Kokain nachgewiesen worden, nun fand man in seinem Wagen Marihuana.
Trotz Bewährungsstrafe gab ihm die UFC eine zweite Chance. Jones wusste diese nicht zu nutzen: Er wurde im Sommer 2016 positiv auf zwei verbotene Substanzen getestet. Der zweite Kampf gegen Cormier wurde abgesagt, der Titel blieb in Händen des Erzrivalen.
Ein Jahr später standen Cormier und Jones tatsächlich im Octagon. Das Problem: Jones war wieder nicht sauber, sein K.o. wertlos. Aus dem 23. Sieg seiner Karriere wurde ein No Contest, Cormier blieb in Besitz des Gürtels. UFC-Präsident Dana White wütete: "Ich vertraue ihm nicht. Nie wieder würde ich das Risiko mit ihm gehen und ihn als Headliner auf die Card packen. Wie viele Cards sind schon zerstört worden, weil Jones wieder in Schwierigkeiten steckt?"
Nun steht UFC 232 bevor. Headliner: Jon Jones.
Die Rückkehr von Jon Jones bei UFC 232
Die Gründe dafür sind einfach. Geld auf der einen Seite, polarisiert der Bad Boy doch wie kaum ein anderer UFC-Kämpfer. Auf der anderen Seite steht die simple sportliche Qualität.
Jones hat Voraussetzungen, von denen andere Kämpfer seiner Gewichtsklasse nur träumen können. Die enorme Körpergröße, die ähnlich enorme Reichweite, ein stabiles Kinn, herausragende Schlag- und Tretwinkel: Der US-Amerikaner ist wie geschaffen für die MMA und seinen Stil, der ans Kickboxen angelehnt ist.
Niemand landet so scharfe Legkicks wie Jones, niemand hält sich seine Gegner so einfach vom Leib. Die einzige Niederlage erlitt er im Alter von 22 Jahren nach einer dominanten Performance. Illegale Ellbogenschläge verwandelte einen glänzenden Auftritt in eine DQ-Niederlage.
Jon Jones vs. Alexander Gustafsson: Statistiken
Jon Jones | Alexander Gustafsson | |
22-1-1 | Rekord | 18-4-0 |
No Contest | Letzer Kampf | Gewonnen |
USA | Land | Schweden |
1,93 Meter | Größe | 1,95 Meter |
92,9 Kilogramm | Gewicht | 92,9 Kilogramm |
214,6 cm | Reichweite | 200,6 cm |
114,3 cm | Beinreichweite | 116,8 cm |
Sportliche Dominanz von Jon Jones ist unbestritten
Neun Jahre später spricht Jones davon, sich in der UFC immer noch "wie ein Baby" zu fühlen. So wenig habe er erlebt, so wenig Handfestes bislang erreicht. Dabei ist er trotz aller Auszeiten, Sperren und Pausen doch noch immer der dominanteste Kämpfer im Halbschwergewicht.
Er hat die meisten Finishes, die meisten Siege, die meisten signifikanten Schläge gelandet. Und das, obwohl er seit dem Gustafsson-Fight 2013 nur viermal den Weg ins Octagon fand. Jones' Traum ist zum Greifen nahe, er bräuchte nur den Titel wieder, dann könnte er Schritt für Schritt zum besten Champion der UFC-Geschichte aufsteigen.
Den eigentlichen Kampf führt Jones aber nicht mit Cormier oder Gustafsson. Es ist ein Kampf gegen die eigene Mentalität. Drogen und Doping zeichnen seinen Weg, Jones ist zum Inbegriff der Skandalnudel geworfen.
Der Fight gegen Gustafsson sollte der erste Schritt auf dem Weg zu neuem Respekt und zu einem neuen Ruf werden.
Jon Jones vor UFC 232 erneut positiv getestet
"Ich brauche das Geld nicht mehr. Ich muss nicht mehr kämpfen. Ich könnte alles hinter mir lassen, meine Social-Media-Accounts löschen und in den Sonnenuntergang reiten", sagte Jones vor dem Kampf. Die UFC promotete ihn als "komplett anderen Menschen". Ein Fight für Ruhm und Ehre also?
Falls ja, ist dieses Projekt schon fehlgeschlagen: Jones wurde erneut positiv getestet. Die minimalen Spuren einer verbotenen Substanz könnten aus seinem Verstoß gegen die Regularien von 2017 stammen, weshalb die UFC weiterhin zu ihm steht. Der Staat Nevada aber verweigerte ihm die Lizenz für den Kampf.
White, der Jones einst sein Vertrauen verweigerte, verlegte daraufhin das komplette Event erst vor wenigen Tagen von Nevada nach Kalifornien. "Wir haben jeden verdammten Experten auf dieser verdammten Welt befragt. Jeder sagt, dass Jon nichts falsch gemacht hat", lieferte White als Begründung.
Einmal Bad Boy, immer Bad Boy!?
Sein angekratztes Image wird Jones aber wohl nie mehr komplett aufpolieren können. Er ist und bleibt der Bad Guy. Und, das wird sich auch White eingestehen müssen, gerade das macht die Marke Jon Jones auf eine gewisse Art und Weise aus. Der Kampf wäre nicht so interessant, hätte der 31-Jährige nicht exakt diese Vergangenheit.
Es ist ein Tanz auf Messers Schneide: Einerseits zieht Jones die Zuschauer an. Andererseits muss die UFC aufpassen, ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Als eine Journalistin das Doping von Jones zur Sprache brachte, wurde sie auf der Pressekonferenz respektlos übergangen und beleidigt.
Die anhaltenden Twitter- und Instagram-Fights zwischen Cormier und Jones heizen die Promotion nochmals an. Auch Gustafsson teilte fleißig aus: "Natürlich wussten wir es alle. Du bist es gewohnt, dir Schüsse zu setzen. Und wenn du auf Raketentreibstoff läufst: Ich mache dich fertig!"
Am Samstag wird zumindest eine sportliche Wahrheit gefunden. Wie es auch ausgeht: Schon jetzt hat der Kampf einen bitteren Beigeschmack. Somit heißt es Daumen drücken, dass bis zum Main Event nicht doch noch etwas vorfällt. Oder danach.