"Ich habe vor Glück fast geweint"

Miriam Gössner gewann in der letzten Saison ihre ersten 3 Einzelrennen im Weltcup
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Miriam Gössner musste nach einem schlimmen Fahrrad-Unfall fürchten, im Rollstuhl zu landen. Jetzt geht es Deutschlands Biathlon-Stern wieder besser. Im SPOX-Interview spricht die 23-Jährige offen über ihre Qualen und erzählt, wie sie die letzten Monate verändert haben. Weitere Themen: Ihre Freundin Magdalena Neuner, Schießtraining und das große Ziel Sotschi.

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SPOX: Miriam, die erste und mit Abstand wichtigste Frage: Wie geht's?

Miriam Gössner: Vielen lieben Dank, mir geht es wieder ganz gut. Ich merke, wie es von Tag zu Tag besser wird. Es fühlt sich wieder richtig nach Leistungssport an. Der Spaß ist zurück! Am Anfang war es noch eine ziemliche Qual, weil es nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt habe, aber jetzt klappt es auch im Training wieder ordentlich. Die Bausteine fügen sich Stück für Stück zusammen. Es kommt alles so langsam wieder. Deshalb habe ich auch die Hoffnung, dass ich diesen Winter wieder im Weltcup laufen kann. Das Gute ist: Ich bin total entspannt. Ich habe überhaupt keinen Druck, weil man in dieser Saison nun wirklich nichts von mir erwarten kann.

SPOX: Ihr schlimmer Fahrradunfall war ja wirklich eine dramatische Sache. Es ging nicht darum, ob Sie wieder Sport machen können. Es ging darum, ob Sie wieder laufen können.

Gössner: Das stimmt. Ein Teil der Erinnerung fehlt mir komplett, ich habe versucht aufzustehen, aber selbst daran kann ich mich nicht erinnern. Für meine Schwester, die dabei war, muss das fast noch schlimmer gewesen sein als für mich. Es war hart. Es war ein Moment, in dem ich nicht wusste, wie es mit mir weitergeht. Zu Beginn hat es einfach nur unglaublich wehgetan, aber dann geht einem in so einer Situation natürlich so viel durch den Kopf. Ich habe mich gefragt: Kann ich jemals wieder gehen? So richtig bewusst ist es mir erst im Nachhinein geworden, was da passiert ist. Es war wirklich eine schwierige Phase für mich. Viel schlimmer kann es ja gar nicht kommen. Und ich hatte jetzt drei Jahre in Folge immer irgendwas, das muss jetzt bitte reichen. (lacht)

SPOX: Wie hat Sie das Erlebte verändert?

Gössner: Es hört sich vielleicht blöd an, aber ich bin dankbarer geworden. Dankbarkeit für Kleinigkeiten, bewussteres Leben - es sind diese Dinge, die man bei solchen Erfahrungen ja immer wieder hört, aber es ist eben wirklich auch so. Es verändert einen definitiv. Du betrachtest Sachen nicht mehr als selbstverständlich und weißt sie wieder viel mehr zu schätzen. Als ich wieder normal gehen konnte, war ich so wahnsinnig glücklich. Oder als ich zum ersten Mal wieder fünf Minuten auf dem Ergometer sitzen konnte, da habe ich vor Glück fast geweint. Ich selbst hätte mir nie vorstellen können, dass mich so was so glücklich machen kann. Ich kann jetzt viel klarer einordnen, worauf es ankommt im Leben. Wie wichtig die Gesundheit ist und dass der Sport zwar in meinem Leben einen großen Platz einnimmt, aber dass Sport eben auch nicht alles ist. Es war eine harte Zeit, aber ich habe mich durch sie auch persönlich weiterentwickelt. Ich habe daraus gelernt und, so schlimm diese Wochen waren, das Positive daraus gezogen.

SPOX: Sie sind als so ein fröhlicher Mensch bekannt, sind Sie nachdenklicher geworden, es hat ja sicher auch Tiefpunkte gegeben?

Gössner: Nachdenklicher würde ich nicht sagen. Ich habe das große Glück, meine Familie und tolle Freunde um mich herum zu haben, die mich wahnsinnig unterstützen und immer für mich da sind. Aber die erste Zeit danach war natürlich besonders schwierig. Wegen der starken Schmerzen musste ich so viele Medikamente nehmen, dass ich ein bisschen in meiner eigenen Welt gelebt habe. Ich hatte immer mal wieder sehr schlechte Tage. Ich habe auch mal eine Trainingseinheit nach fünf Minuten heulend abgebrochen und mir gesagt: 'So ein Scheiß, nichts funktioniert.' Es war ein Auf und Ab.

SPOX: Sie haben Ihre Freunde angesprochen, dazu gehört auch Magdalena Neuner.

Gössner: Lena hat mir in der ganzen Zeit sehr viel geholfen. Sie war für mich da, hat mich besucht - sie hat sich ganz lieb um mich gekümmert. Lena ist für mich ein ganz besonderer Mensch, der in meinem Leben einen hohen Stellenwert hat. Da geht es aber überhaupt nicht um die unglaubliche Sportlerin, die sie war, das ist eine ganz private Geschichte. Ich habe mich ohnehin auch nie als ihre Nachfolgerin gesehen. Lena ist Lena. Und ich bin ich.

SPOX: Sie haben nach dem Unfall auch einige Wochen am Toten Meer verbracht. Wie sehr hat das geholfen?

Gössner: Es hat richtig gutgetan, vor allem dem Kopf. Ich konnte zu der Zeit noch gar nicht viel machen, eigentlich war ich nur viel im Wasser und bin am Strand gelegen. Es heißt ja, dass das Tote Meer besondere Heilkräfte hat. Und ich habe versucht, diese Heilkräfte auf meinen Körper wirken zu lassen. Meine Schwester war auch dabei, alleine wäre es mir auch bestimmt schnell langweilig geworden.

SPOX: Später waren Sie dann in Norwegen und haben bei Joar Himle, dem ehemaligen Schießtrainer von Ole Einar Björndalen, ein Schießtraining gemacht. Hatten Sie die gewünschten Aha-Erlebnisse?

Gössner: (lacht) Diese Nummer wird von den Medien immer etwas aufgebauscht. Das war einfach eine kleine Hilfe unter Freunden. Das Angebot hatte ich schon seit einigen Jahren, es passte zeitlich nur nie. Diesmal ergab sich eine gute Gelegenheit, also bin ich hingefahren. Ich habe natürlich wieder etwas dazugelernt, aber es war nicht so eine große Sache, wie es manchmal hingestellt wurde.

SPOX: Ihr Alltag wird aktuell von vielen Arztterminen und Physiotherapien bestimmt. Das muss doch manchmal total nerven, oder?

Gössner: (lacht) Manchmal schon, ja. Wenn ich dann zu diesem Termin noch hin muss und dann noch zu einem anderen, das wird dann schon viel. Im Moment ist es auch noch so, dass nicht das Training meinen Tag bestimmt, sondern die Arzttermine dominieren. Ich bekomme einen Wochenplan, wann ich wo sein muss, danach bastele ich mir dann alles zusammen. Ich bin noch ziemlich abhängig von den Ärzten und Physios, was aber auch total okay ist.

SPOX: Wie groß sind die Schmerzen, die Sie noch ertragen müssen?

Gössner: Es ist ein Dauerschmerz vorhanden. Wenn ich in der Früh aufwache und mich im Bett einmal umdrehe oder dann aufstehen will, ist der Schmerz schon da. Dieser Schmerz bleibt dann auch den ganzen Tag bei mir, er wird mich wohl noch länger begleiten. Ich freue mich schon so sehr auf den Tag, wenn ich mich morgens im Bett wälze und nichts mehr wehtut, das wird schön. Aber im Moment gehört der Schmerz zu mir. Das Wichtigste ist, dass ich weiß, dass nichts passieren kann. Der Schmerz ist zwar da, aber es kann nichts kaputt gehen.

SPOX: Wie weit können Sie aktuell vorausplanen?

Gössner: Nicht sehr weit. Ich schaue nur von Tag zu Tag, höchstens von Woche zu Woche. Weiter geht es nicht. Ich denke aber, dass ich es schaffen kann, im November mit der Mannschaft nach Norwegen zu fahren, alles andere muss ich dann sehen.

SPOX: Das große Ziel heißt logischerweise Sotschi. Wie sehr motiviert der Gedanke an die Olympischen Spiele?

Gössner: Wenn ich nicht das Ziel vor Augen hätte, unbedingt wieder im Weltcup vorne mitlaufen zu wollen und bei Olympia eine Medaille zu gewinnen, dann hätte ich ehrlich gesagt meine Karriere beendet. Dafür waren es zu harte Monate für mich - zum Teil ist es immer noch hart. Ich brauche ein Ziel, weswegen ich jeden Morgen aufstehe und mich trotz Schmerzen quäle. Ich will wieder ganz schnell laufen und schießen, das ist mein Antrieb. Und ich will eine Olympia-Medaille holen, das ist und bleibt mein Traum. Alles andere wäre auch gelogen. Vancouver war schon ein unglaubliches Erlebnis für mich. Wenn ich daran denke, wie es war, auf der Medals Plaza zu stehen, die Zeit insgesamt, die ich mit den Mädels dort hatte - das will ich wieder!

SPOX: Es gibt sicher auch private Träume. Sie waren zum Beispiel schon mit ihrem Vater gemeinsam auf dem Mont Blanc...

Gössner: Das gehört abseits des Sports sicher zu meinen schönsten Momenten. Das gemeinsam erlebt zu haben, dort oben zu stehen - das war etwas ganz Besonderes.

SPOX: Wenn wir bei Olympia sind, es steht am 10. November der Bürgerentscheid im Hinblick auf die deutsche Bewerbung für die Winterspiele 2022 an...

Gössner: Ich habe schon abgestimmt! Ich bin nämlich an dem Tag nicht zuhause. Eines kann ich aber schon ganz sicher sagen: Ich werde 2022 nicht mehr aktiv sein.

SPOX: Warum? Sie wären dann 31 Jahre alt, geht doch noch.

Gössner: (lacht) Vergessen Sie es: Ich bin 2022 keine Sportlerin mehr.

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