Maria Höfl-Riesch hing nach ihrem schweren Sturz mit schlimmen Schmerzen am Rettungshubschrauber, als für die beste Abfahrerin der Saison im Zielraum von Lenzerheide die deutsche Nationalhymne gespielt wurde. Wenige Stunden später hatte sie selbst und die mit ihr zitternde Ski-Welt Gewissheit: Es war das letzte Mal, dass beim Weltcup-Finale in der Schweiz für die dreimalige Olympiasiegerin das "Lied der Deutschen" erklang: Die Verletzungen, die sie bei ihrem Unfall erlitt, machen einen weiteren Start bei einem der drei abschließenden Rennen unmöglich, der Kampf um den Gesamtweltcup ist für Maria Höfl-Riesch verloren.
Die Partenkirchnerin zog sich bei ihrem Sturz bei der letzten Abfahrt des Winters einen Muskelfaserbündelriss im Adduktorenbereich des linken Oberschenkels sowie eine schwere Prellung im linken Schulter- und Ellbogengelenk zu. Das teilte der Deutsche Skiverband (DSV) mit. "Es ist sehr bitter, dass Maria am Ende einer so guten Saison nicht bis zum letzten Rennen um die große Kugel kämpfen konnte", sagte Cheftrainer Tom Stauffer.
Folgt das Karriereende?
Ob die 29-Jährige nach diesem Rückschlag in der kommenden WM-Saison einen erneuten Anlauf nimmt, zum zweiten Mal nach 2011 die Gesamtwertung zu gewinnen, ist mehr denn je offen. Bei der Siegerehrung für die Beste in der Königsdisziplin am frühen Nachmittag war ihr Platz ganz oben auf dem "Stockerl" leer geblieben. Ihre geschlagene Konkurrentin Anna Fenninger, der nun aller Voraussicht nach der Gesamtweltcup in den Schoß fallen wird, applaudierte der abwesenden Speed-Queen höflich - doch auch für die Österreicherin hatte dieser Moment einen bitteren Beigeschmack.
Fenninger schüttelte verlegen den Kopf darüber, dass der Weltverband FIS die Sache ohne Höfl-Riesch durchzog, die erstmals in ihrer Karriere die kleine Kristallkugel in der Königsdisziplin gewann. Just, als sie als Abfahrts-Beste ausgerufen wurde, schwebte sie wenige hundert Meter entfernt in den Armen eines Sanitäters mit dem Helikopter vorbei in Richtung Krankenhaus in Chur. Dort gab es dann die niederschmetternde Diagnose - und schnell war klar, dass Höfl-Riesch keine Chance mehr haben wird, die elf Punkte Rückstand auf Fenninger in der Gesamtwertung wettzumachen.
"Als ich das gesehen habe, herrschte in mir drin ein enormer Aufruhr", sagte Alpindirektor Wolfgang Maier über Höfl-Rieschs Unfall. "Ich dachte sofort an eine mögliche Knieverletzung und daran, dass es das dann gewesen sein könnte mit der Maria. Sie hat immer gesagt: Wenn sie sich noch einmal schwer verletzt, ist es vorbei." Eine Knieverletzung blieb Höfl-Riesch erspart, das Karriereende könnte nun dennoch kommen. Höfl-Riesch hatte 2005 zwei Kreuzbandrisse erlitten, war seitdem aber von schweren Verletzungen verschont geblieben.
Erinnerungen an Regina Häusl
Maier fühlte sich wie andere langjährige Beobachter an Regina Häusl erinnert, die 2000 unter ähnlich dramatischen Umständen als dritte und bislang letzte Deutsche den Abfahrtsweltcup gewonnen hatte. Häusl hatte sich bei einem Sturz beim Weltcup-Finale in Bormio/Italien einen Schien- und Wadenbeinbruch zugezogen. So schlimm kam es für Höfl-Riesch jetzt nicht, dennoch hatte sie laut Chefcoach Tom Stauffer "brutale Schmerzen".
Weil Fenninger in der Abfahrt nur Sechste wurde, blieben Höfl-Riesch letztlich 40 Punkte Vorsprung. Für die WM-Dritte von 2011 und 2013 ist es nach Erfolgen im Slalom (2009 und 2010), im Super-G und in der Super-Kombination (jeweils 2008) die fünfte kleine Kristallkugel - große Freude wird sie darüber kaum verspüren. Nach einer fiebrigen Erkältung war sie geschwächt ins Rennen gegangen. Nach knapp einer Fahrminute passierte ihr auf der anspruchsvollen und ruppigen Piste "Silvano Beltrametti" in einer Rechtskurve das verhängnisvolle Missgeschick: Ein Innenskifehler hatte "katastrophale Folgen" (Maier), Höfl-Riesch rutschte weg, wurde auf den Rücken gedreht und krachte mit dem Kopf voran in den Zaun. Mehrere Male waren ihre Schreie weithin zu hören. Dann verstummte sie und blieb über eine Viertelstunde liegen, bis der Helikopter sie barg.
Im Zielraum wurden derweil die Sieger des Tages geehrt, als wäre nichts gewesen. Lara Gut für ihren sechsten Saisonerfolg, der österreichische Abfahrts-Olympiasieger Matthias Mayer für seinen ersten Triumph im Weltcup und Aksel Lund Svindal als Gesamtsieger in der Abfahrt. Im Kampf um die große Kristallkugel hat der Norweger Svindal jetzt 41 Punkte Vorsprung auf Marcel Hirscher aus Österreich.