Felix Neureuther weiß nur zu gut, wie es sich anfühlt, wenn der Lebenstraum nicht in Erfüllung geht. Vor einem Jahr kam er nach Lenzerheide in der Schweiz, er führte im Slalom-Weltcup mit fünf Punkten Vorsprung vor Marcel Hirscher aus Österreich - und musste nach Rang zwei im letzten Rennen hinter seinem großen Rivalen ohne die kleine Kristallkugel heimfahren. "Ich bin ein bisschen enttäuscht, klar. Aber ich werde es im nächsten Jahr wieder probieren", sagte Neureuther damals.
Den Gewinn der kleinen Kristallkugel im Slalom hat Neureuther als "Lebenstraum" bezeichnet - am Sonntag könnte dieser nun endlich in Erfüllung gehen. Neureuther ist im französischen Meribel, er hat dieses Mal 55 Punkte Vorsprung auf Hirscher; sollte der Rivale wie im vergangenen Jahr das letzte Rennen der Saison gewinnen, dann reicht Neureuther ein vierter Rang.
"Wenn der Felix seinen Job macht, dann ist gegen ihn kein Kraut gewachsen", behauptet Hirscher (25). Stimmt. Aber wird Neureuther (30) seinen Job machen?
Berthold bewundert Leistung
Neureuther ist nicht immer so cool, wie er gerne vorgibt zu sein - oder es gerne sein will. Beim Slalom am vergangenen Sonntag im slowenischen Kranjska Gora verhunzte Hirscher den ersten Lauf - und prompt fuhr Neureuther, die Vorentscheidung greifbar nahe, schlecht wie seit Jahren nicht.
Er wirkte ein bisschen genervt vom Bohei um die kleine Kristallkugel, tat so, als verschwende er daran keinen Gedanken. Was selbstverständlich nicht stimmt. Es geht hier schließlich um seinen Lebenstraum.
"Natürlich ist es unser Ziel, dass Felix die Disziplinwertung für sich entscheidet", sagt auch Mathias Berthold, Cheftrainer der deutschen Männer. Und er hebt auch noch einmal hervor, dass es vor Beginn der Saison ja erst mal gar nicht gut aussah.
"Was Felix im Verlauf dieses Winters geleistet hat", betont Berthold, "ist sehr beeindruckend und umso höher einzuschätzen, da er sich aufgrund seiner Rückenproblematik kaum vorbereiten konnte." Und trotzdem ist er dem Lebenstraum nun so nah wie nie.
55 Punkte Vorsprung auf Hirscher
Eine Kristallkugel für einen deutschen Ski-Rennläufer hat großen Seltenheitswert: Nur Markus Wasmeier (1986/Super-G) und Armin Bittner (1989 und 1990/Slalom) haben eine gewonnen. "Aus sportlicher Sicht gibt es nicht Größeres", sagt Neureuther über den Slalom-Weltcup.
Klar, die Öffentlichkeit schätze seine Bronzemedaille bei der WM wohl höher ein, weiß er. Aber: Wer die Kristallkugel bekommt, der hat den Beweis in den Händen, dass er "über die gesamte Saison der Beste war", betont Neureuther.
In den vergangenen beiden Jahren war der Hirscher der Beste. Vor zwei Jahren lag er am Ende klar vor Neureuther, im vergangenen nur 15 Punkte. Diesmal liegt er vor dem Finale 55 Punkte zurück. Das ist eine Menge Holz, aber Hirscher hat nichts zu verlieren. Neureuther schon.