Es ist nicht weniger als ein Hilferuf, den die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Mittwochausgabe) abgab: "Mir ist alles genommen worden. Ich habe lernen müssen, damit zu leben."
Das Bild, das der Artikel zeichnet, ist das einer verzweifelt kämpfenden, ungebrochenen Athletin, die gezwungen ist, im Kampf gegen das Unrecht im Sport alles auf eine Karte zu setzen. Der Schadenersatzprozess, den sie gegen den Eislauf-Weltverband ISU anstrengt, stehe "auf der Kippe", sagt Pechsteins Lebensgefährte Matthias Große.
Pechstein weiß nicht, ob sie die 70.000 Euro Anwaltskosten, die sie für die nächste Instanz (Bundesgerichtshof) benötigt, noch aufbringen kann. Prozesskostenhilfe für die mittellose Pechstein, so heißt es in der FAZ, betrüge höchstens 1028,10 Euro.
Mitleid von Hörmann
"Claudia Pechstein hat alles eingesetzt, was sie hat, um Gerechtigkeit zu erfahren. Wenn so kurz vor dem Ziel alles an fehlendem Geld scheitern sollte, würde sie zum zweiten Mal zu Unrecht bestraft werden", sagte ihr Manager Ralf Grengel. Lebensgefährte Große, ein dem Vernehmen nach ziemlich solventer Unternehmer aus Berlin, betont: "Solange ich kann, werde ich verhindern, dass sie in die Privatinsolvenz geht."
Beim DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann stößt Pechstein auf viel Verständnis, sogar auf Mitleid. "Die aktuelle Situation von Claudia Pechstein ist bedauerlich", sagte Hörmann, der sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Thomas Bach schon öffentlich bei Pechstein entschuldigt hatte. Der Fall zeige, welche großen Herausforderungen es für den Sport und seine Athletinnen und Athleten auch außerhalb des Stadions gebe. Pechsteins aktuelle Situation sei "leider ein weiterer Tiefpunkt. Es bleibt zu hoffen, dass sie entsprechende Unterstützung findet."
Im Schadenersatzprozess gegen die ISU, die sie einst nach mittlerweile stark überwiegender Meinung zu unrecht für zwei Jahre gesperrt hatte, bekäme sie im Idealfall 4,4 Millionen Euro zugesprochen. Im für sie schlimmsten Fall müsste sie auch die Prozesskosten der Gegenseite übernehmen. Und bekäme sie nur einen Teilbetrag ausgezahlt, liefe sie wohl schnell Gefahr, dass der Prozess für sie schnell zu einem Nullsummenspiel würde.
Pechstein weitet Kampf aus
Aus dem FAZ-Bericht geht hervor, dass Pechstein es vermeiden wolle, den Prozess aus finanzieller Not platzen zu lassen - natürlich. Trotz allen Risikos weitet Pechstein ihren Kampf sogar noch aus. Sie kündigte eine Klage gegen das Anti-Doping-Gesetzt an. Der darin angedachte sogenannte Schiedszwang, mit dem sich die Athleten der Sportschiedsgerichtsbarkeit unterordnen, ist ihr ein Dorn im Auge.
"Diesen Schritt verstehe ich nicht. Es ist einfach noch zu früh. Man muss dem Gesetzgeber die Chance lassen, das Gesetz anzupassen", sagt Michael Lehner. Der renommierte Sportrechtler berät die Spitzen-Leichtathleten Robert Harting und Betty Heidler, die sich ebenfalls Klagen gegen das Gesetz vorbehalten, sollte es in für sie unbefriedigender Form in Kraft treten.
Doch nun prescht Pechstein vor. "Ich haben eine klare Linie mit Harting und Heidler vereinbart. Daran ändert sich auch durch Pechsteins Ankündigung nichts", sagt Lehner.
Laut FAZ wolle Pechstein sich bei ihrem Vorstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht von der Partei Die Linke unterstützen lassen. Doch sicher scheint das alles nicht. Zusagen wurden nach SID-Informationen aus dem direkten Umfeld von Noch-Fraktionschef Gregor Gysi gemacht. Weder Linken-Pressechef Hendrik Thalheim, noch das Büro des sportpolitischen Sprechers André Hahn wussten auf SID-Anfrage am Mittwoch von einem geplanten Engagement."Dass darüber nicht alle Gremien informiert sind, überrascht nicht. Vor allem dann nicht, wenn es die Klage gegen das Anti-Dopinggesetz betrifft. Denn um hier eine Beschlusslage herbeiführen zu können, über die alle in Kenntnis gesetzt sind, muss das Gesetz ja zunächst einmal verabschiedet worden sein", teilte Grengel auf SID-Anfrage mit.
Hahn teilte später mit, er werde Pechstein "in dieser Auseinandersetzung politisch auch künftig solidarisch begleiten". Finanzielle Zusagen gab er nicht.
Pechstein hat bei ihrem Feldzug Menschen zurückgelassen, die grundsätzlich alles anzweifeln, wenn die 43-Jährige den Anschein erweckt, sie sei die unbeugsamste aller Kämpferinnen gegen das Böse im Sport. "Ich habe selbst miterlebt, wofür Frau Pechstein bereit ist, sicherlich nicht unerhebliche Summen auszugeben. In den beiden Fällen, in denen sie gegen mich gerichtlich vorging und die sie verlor, war das reine Geldverbrennerei", sagte der Dopingexperte Fritz Sörgel dem SID.
Pechstein will sich nicht äußern
Es sei "sonnenklar" gewesen, dass Pechstein in jenen Fällen, in denen sie sich mit einstweiligen Verfügungen gegen kritische Äußerungen des Nürnberger Pharmakologen im Zusammenhang mit ihrer Dopingsperre zur Wehr setzte, "eigentlich chancenlos" gewesen sei.
"Unter diesem Aspekt sind ihre angeblichen finanziellen Nöte für mich nachvollziehbar. Unter anderen Aspekten allerdings nicht", sagt Sörgel. "Umso überraschender" sei für ihn "der finanzielle Spielraum, der ihr nebenbei für eine Klage gegen das Anti-Doping-Gesetz noch zur Verfügung zu stehen scheint".
Pechstein selbst wollte sich am Mittwoch nicht mehr äußern. Sie wolle sich aufs Training konzentrieren, hieß es aus ihrem Management, und es gebe momentan auch nichts, was noch hinzuzufügen wäre.