Auch Zehnkampf-Legende Frank Busemann trifft die Coronakrise hart. Im Interview mit SPOX erzählt der Silberheld von Atlanta 1996, wie die finanziellen Auswirkungen für ihn aussehen. Außerdem spricht der 45-Jährige über eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und eine Menschheit im Krieg.
Herr Busemann, wobei störe ich Sie gerade?
Frank Busemann: (lacht) Beim Putzen. Ich mache hier gerade sauber, während meine Frau, die Lehrerin ist, sich um unsere drei Kinder kümmert und schaut, dass die irgendwie flexibel in der Birne bleiben. Ich verblöde hier leider schon zusehends. Ich bin aus purer Langeweile sogar jetzt bei Instagram. Ich habe das immer vermieden, weil ich keine Lust auf Shitstorms und dergleichen hatte. Aber ich habe mir gedacht, dass jetzt eine gute Zeit sein könnte, in der sich die Leute vielleicht weniger beschimpfen. Deshalb probiere ich das jetzt mal aus.
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Clever. Sie arbeiten inzwischen seit vielen Jahren als Moderator und halten vor allem Motivationsvorträge. Wie gehen Sie mit der Coronakrise um?
Busemann:Meine Einnahmen sind auf null gesunken. Ich muss jetzt meine Ersparnisse und das, was ich mir als Altersvorsorge zurückgelegt habe, anknabbern. Vor vier Wochen haben wir ausgerechnet, wie alt ich werden darf - das wird jetzt jeden Monat ein Jahr weniger. Wir haben als Familie jetzt mal so geplant, dass wir für das nächste Jahr keine Einnahmen mehr haben werden und was das dann bedeuten würde. Einfach um uns zu beruhigen.
Frank Busemann: "Alle Sportler rennen zuhause um den Küchentisch"
Wie groß ist Ihre Hoffnung auf eine schnelle Verbesserung der Lage?
Busemann: Man hat immer diese Hoffnung, dass wir irgendwann in naher Zukunft Licht am Ende des Tunnels sehen werden. Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass das in den nächsten Monaten nicht passieren wird. Der Zustand wird lange anhalten. Aber obwohl ich das weiß, tut es trotzdem immer weh, wenn dann eine Absage für den Juni reinflattert. Alle Menschen, alle Branchen sind betroffen - es ist wirklich schlimm. Wie albern man auch am Anfang in der Rückschau noch war. Die Kinder können doch nicht drinbleiben, haben wir gesagt. Jetzt weiß jeder: Doch, können sie natürlich schon.
Jetzt ist aktuell praktisch alles abgesagt oder verschoben, nur die Olympischen Spiele in Tokio stehen vorerst noch. Dabei ist die Chance 0,0 Prozent, dass sie im Juli und August stattfinden können.
Busemann: Ich bin grundsätzlich ja ein totaler Optimist. Aber nüchtern die Fakten betrachtet werden natürlich keine Olympischen Spiele im Sommer stattfinden. Dazu muss ich nur einem anerkannten Virologen wie Prof. Drosten von der Charite zuhören, dann weiß ich das. Und eines ist ja auch klar: Würden die Olympischen Spiele stattfinden, würde man im Zehnkampf mit nur 8300 Punkten Gold holen. Weil ja aktuell niemand trainieren und sich vorbereiten kann. Alle Sportler rennen zuhause um den Küchentisch, das hat ja mit vernünftigem Training nichts zu tun. Ich kann bei meinem nächsten Vortrag auch mit Plauze auflaufen, aber ein Sportler muss sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag Sport im Kopf haben - und das hat im Moment niemand. Wofür soll ich als Athlet auch gerade trainieren? Dafür, dass es vielleicht stattfindet, aber zu 99 Prozent eben nicht. Es ist verrückt.
Max Hartung hat als erster Athlet in Deutschland sich klar positioniert, Kanada hat angekündigt, Tokio im Sommer komplett zu boykottieren. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Busemann: Ich glaube schon, dass es eine Wirkung haben und die Einsicht beim IOC dadurch früher kommen wird. Wenn jemand wie Max Hartung, der ein Sprachrohr ist und immer vorangeht, solch eine Entscheidung trifft, kann er damit etwas in Gang setzen. Das IOC scheut natürlich das wirtschaftliche Risiko, es hängt so viel dran. Bislang sind Olympische Spiele nur in Kriegszeiten ausgefallen, aber wir sind ja auch jetzt im Krieg, wenn man Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hört. Die ganze Menschheit ist im Krieg. Der Sport ist aktuell sicher nicht das Wichtigste, dennoch ist es für alle Athleten ein Drama, was gerade passiert. Es platzen Lebensträume. Wir leben gerade in einer sehr unwirklichen Welt. Da muss ich mir nur vor Augen führen, wie es war, als ich vorhin beim Einkaufen war. Das war so surreal, wie die Menschen umeinander herumgeschwänzelt sind, das will ich die nächsten Tage nicht mehr erleben.
imago imagesFrank Busemann: "Allein mir fehlt der Glaube..."
Nochmal konkret zu Tokio: Heißt das für Sie, es sollte auf eine Verschiebung auf 2021 hinauslaufen?
Busemann: Ja, ich würde es gut finden, wenn Olympia um ein Jahr verschoben wird. Vorausgesetzt, wir stehen in einem Jahr besser da, auch das ist ja momentan nur eine Hoffnung. Für manche Athleten, die heute 32 oder 33 Jahre alt sind, wäre eine Verschiebung um ein Jahr zwar unter Umständen schon dramatisch, aber unter den Gegebenheiten gibt es keine andere Option. Hauptsache, die Spiele fallen nicht aus.
Eine Verschiebung hätte erhebliche Folgen.
Busemann: Natürlich würde eine Verschiebung massive Probleme mit sich bringen. Was passiert mit der Leichtathletik-WM 2021 in Eugene? Was ist eigentlich mit dem Olympischen Dorf? Ist das bereits zur Nachnutzung vermietet? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass bei einer Verschiebung dann alle zusammenarbeiten und ihre eigenen Interessen, zum Beispiel beim Verband, zurückstellen müssen. Eine außergewöhnliche Situation erfordert außergewöhnliche Maßnahmen. Da darf es keine Denkverbote geben.
Die spannende Frage wird sein, wie egoistisch am Ende doch wieder jeder sein wird. Was glauben Sie?
Busemann: Ich habe erst in der vergangenen Woche gelesen, dass 40 Prozent aller Menschen egoistisch denken. Dabei würden mindestens auch 35 Prozent dieser Egoisten davon profitieren, wenn wir Lösungen schaffen, die sich am großen Ganzen orientieren. Es wird ja viel diskutiert, ob die Gesellschaft und auch der Sport aus dieser Krise etwas lernen werden? Ich würde es mir wünschen. Jede Krise ist auch eine Chance. Ich sehe momentan viele Menschen, die aufeinander aufpassen, die rücksichtsvoll sind. Es wäre schön, wenn wir das in die Zeit nach Corona hinüberretten könnten. Allein mir fehlt der Glaube. Ich befürchte, dass es dann irgendwann heißen wird: "Weißt Du noch, wie schlimm das alles war, aber jetzt ist ja wieder alles gut."