Olympische Spiele - Tag 7 kompakt: Monster, Hass und ein vergessener Arm

Felix Götz
29. Juli 202119:15
Alexander Zverev steht im Olympia-Halbfinale.getty
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Der Donnerstag sorgt bei den Olympischen Spielen aus deutscher Sicht für Jubel und Leid. Ein Ruder-Ass will die Tour de France erobern, beim Hockey-Team kracht es gewaltig. Und: Warum die Namen Diego Maradona und Pele auch auf dem Wasser eine Rolle spielen können. Olympia kompakt.

Machen wir uns nichts vor: Mit einmal Silber und zweimal Bronze war der Donnerstag nicht unbedingt ein unvergesslicher Olympia-Tag aus deutscher Sicht. Ganz im Gegenteil: Für manchen Athleten war es ein Tag zum Vergessen.

Klar: Der Leichtgewichts-Doppelzweier der Ruderer hat mit Silber mehr als abgeliefert. Wir durften eine heroische Tischtennis-Schlacht erleben und dürfen im Herren-Einzel im Tennis träumen. Bronze im Kanu-Slalom ist aller Ehren wert und auch mit Platz drei im Judo in der Klasse bis 78 kg kann man sehr gut leben.

Aber insgesamt war mehr drin, hatte man sich zumindest mehr erhofft. Denken wir an das vermaledeite 800-Meter-Freistil-Rennen im olympischen Schwimmbecken oder das Einer-Debakel im Rudern. Und was ist eigentlich aus der stolzen Hockey-Nation Deutschland geworden?

Die wichtigsten Entscheidungen des Tages (Vorschau auf Tag 8)

WettbewerbErgebnis
Turnen, Mehrkampf, FrauenAuch ohne Biles: Gold geht in die USA
Tennis, Einzel, HerrenHalbfinale zwischen Zverev und Djokovic perfekt
Judo, bis 78kg, FrauenWagner sichert Deutschland die nächste Medaille
Tischtennis, MännerOvtcharov verliert irren Thriller und kämpft um Bronze
Kanu, Slalom, FrauenHerzog holt Bronze für Deutschland
Rudern, Leichter Doppelzweier, MännerDeutschland holt sensationell Silber bei Irland-Erfolg
Schwimmen, 800 m Freistil, MännerIrrer Krimi! Wellbrock verpasst Gold auf den letzten Metern
Schwimmen, 200 m Brust, MännerGold für Australier Zac Stubblety-Cook, Finnland holt überraschend Silber
Schwimmen, 100 m Freistil, MännerUS-Superstar Dressel holt nächste Goldmedaille
4 x 200 Meter Freistil, FrauenChina holt Gold mit Weltrekord, Australien enttäuscht

Was sonst noch wichtig war:

Hockey: 2004 Bronze, 2008 Gold, 2012 Gold, 2016 Bronze. Und 2021 das Aus in der Vorrunde? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Die Hockey-Herren stehen nach der blamablen 3:4-Pleite gegen Südafrika mit zwei Siegen und zwei Niederlagen vor dem letzten Gruppenspiel mit dem Rücken zur Wand. Am Freitag (13.45 Uhr) muss gegen die Niederlande, amtierender Vize-Weltmeister, mindestens ein Unentschieden her, um aus eigener Kraft ins Viertelfinale einzuziehen.

Immerhin: Nach Ausreden - beispielsweise hätte die Affenhitze dafür herhalten können - suchte keiner der Beteiligten. "Mit so einem Gestolpere von A bis Z wird das natürlich nichts", wetterte Bundestrainer Kais al Saadi: "Wir brauchen jetzt klare ehrliche Worte. Da muss Tacheles gesprochen werden." Man müsse nun "den Hass und die Wut" mitnehmen und "mit einer Top-Performance antworten".

Auch Kapitän Tobias Hauke nahm kein Blatt vor den Mund: "Wir waren in allen Belangen nicht gut genug, um bei den Olympischen Spielen zu gewinnen. Das ist nicht akzeptabel und tut total weh."

Klar: Gegen ein bis dato punktloses Südafrika darf eine deutsche Hockey-Nationalmannschaft nicht verlieren. Generell wäre es aber womöglich an der Zeit, die hohen Ansprüche ein wenig herunterzuschrauben. Warum? Lest Euch das SPOX-Interview mit Hockey-Legende Moritz Fürste durch!

Rudern: Im Rudern gegen die irischen Leichtgewichts-Doppelzweier-Götter McCarthy/O'Donovan anzutreten, ist leicht überspitzt ausgedrückt in etwa so, als würde man Diego Maradona und Pele in ihren besten Zeiten auf dem Fußballplatz gegenüberstehen. Genau das haben Jonathan Rommelmann und Jason Osborne getan - und sich einen heißen Fight mit den irischen Überfliegern geliefert.

Am Ende reichte es zwar nicht zu Gold, dafür aber zu einer nicht weniger sensationellen Silbermedaille. "Ich kann das noch nicht so ganz fassen. Wir wussten, dass wir gut in Form sind. Wir haben den Iren einiges geboten, sie hatten ganz schön mit uns zu kämpfen. Wir sind super zufrieden und können uns nichts vorwerfen", sagte Rommelmann.

Osborne, der (Achtung: Flachwitz) vor 27 Jahren von seinen Eltern für mich völlig unverständlich nicht den Vornamen Ozzy verpasst bekam, war nicht weniger begeistert. Auch wenn er das auf dem Siegerbild nicht so gut zeigen konnte.

"Ozzy" will übrigens auch in Zukunft Olympia-Geschichte schreiben - allerdings nicht im Boot! Der Mainzer peilt eine Karriere als Radprofi an und ist in seinen Planungen schon recht weit: "Ich will es da gerne einfach mal versuchen und gucken, was da so geht." Viel Erfolg!

SPOXgetty

Oliver Zeidler erlebt ein Desaster

Ein wahrer Albtraum war der Tag dagegen für Einer-Weltmeister Oliver Zeidler, der vor Olympia zu den heißesten deutschen Goldanwärtern überhaupt gezählt wurde. Auf den letzten 500 Metern von Platz zwei auf Rang vier durchgereicht, Knockout im Halbfinale, Traum geplatzt. Was für ein Mist!

"Ich bin sehr enttäuscht, vor allem nach dem bisher so erfolgreichen Saisonverlauf. Die Niederlage nagt schon sehr an mir", sagte der 25-Jährige. "Für ihn bricht ein Traum zusammen", meinte Vater und Trainer Heino Zeidler und machte die Bedingungen mitverantwortlich: "Dieser extreme Wind war der größte Gegner, deswegen hat es nicht gereicht."

Kanu: Drittes Edelmetall im dritten Rennen: Für die deutschen Slalom-Kanuten läuft es im Wildwasser ausgezeichnet. In einer wahren Nervenschlacht schnappte sich Andrea Herzog bei der olympischen Premiere im Canadier Bronze.

"Es ist total unglaublich. Es ist verrückt. Ich kann es im Moment nicht realisieren. Ich bin total glücklich. Ich kann es überhaupt nicht beschreiben", sagte die 21-Jährige. Zuvor hatten bereits Ricarda Funk mit Gold im Kajak und Sideris Tasiadis mit Bronze im Canadier Edelmetall geholt - nach null Medaillen in Rio 2016!

Für Herzog ist der Erfolg eigentlich eine logische Konsequenz. Sie ordnet alles dem Sport unter, weshalb auch das Familienleben viel zu kurz kommt. Herzog scherzt in diesem Zusammenhang gerne und erklärt das Erfolgsgeheimnis ihrer Beziehung mit Freund Philipp folgendermaßen: "Wir schaffen es meistens, dass wir uns nicht sehen." So einfach kann das sein!

Judo: Als Weltmeisterin in der Klasse bis 78 kg war Anna-Maria Wagner mit dem Ziel Gold nach Tokio gereist. Dann kam im Halbfinale die gerade einmal 1,67 Meter große Japanerin Shiro Hamada, erledigte Wagner nach 83 Sekunden und verknotete ihr dabei auch noch nach allen Regeln der Kunst den Arm. Unter Schmerzen kämpfte die 25-Jährige um Bronze und setzte sich tatsächlich durch.

"Ich habe mich einfach selbst angeschrien, damit ich den Arm vergesse", sagte Wagner: "Ich habe mir gesagt, wenn ich den Fuß auf die Matte setze, dann ist alles scheißegal, dann gibt es nur diese Medaille - und die will ich haben. Jetzt bin ich einfach nur unfassbar stolz. Ein Kindheitstraum ist wahr geworden."

Auch Florian Wellbrock verpasste eine Medaille. Er wurde über 800 Meter Freistil nur Vierter.getty

Schwimmen: Auch von Doppel-Weltmeister Florian Wellbrock wurde über 800 m Freistil eine Medaille erwartet. Dann der Schreck: Platz vier, nur Blech! "Es ist ärgerlich, an sich habe ich ein souveränes Rennen gemacht. Mehr war nicht drin", meinte Wellbrock.

Das sah Bundestrainer Bernd Berkhahn aber anders. Er übte offene Kritik am 23-Jährigen: "Er hat die Abstände nicht richtig eingeschätzt, das muss man klar so sagen. Er ist ein bisschen abgewichen von dem Plan, den wir eigentlich hatten. Er hätte das Rennen von Anfang an schnell machen müssen. Diesen Vorteil hat er hergeschenkt", so Berkhahn.

Tennis: 6:4, 6:1! Der Franzose Jeremy Chardy war im Viertelfinale für Alexander Zverev keine große Herausforderung. Doch jetzt kommt es knüppeldick: Am Freitag wartet in der Vorschlussrunde das serbische Tennis-Monster Novak Djokovic.

"Ich weiß, dass ich den schwersten Gegner im Tennis vor mir habe. Und ich weiß, dass ich mein bestes Tennis spielen muss, um überhaupt eine Chance zu haben", macht sich Zverev keine Illusionen.

Aber hey, Sascha, bitte auch an Steffi denken! Denn das Kunststück, in einem Jahr Australian Open, French Open, Wimbledon, US Open und Olympiagold zu gewinnen, gelang zuletzt der Gräfin 1988. Das darf aus deutscher Sicht gerne so bleiben!

Tischtennis: 81 Minuten, sieben Sätze, phasenweise Tischtennis von einem anderen Stern! Was Dimitrij Ovtcharov bei seiner 3:4-Niederlage gegen Chinas Superstar Ma Long - genannt "der Drachen" - leistete, war schlicht unglaublich. Das Finale, die riesige Sensation und der damit verbundene Griff nach Gold waren tatsächlich möglich. Stattdessen muss der 32-Jährige am Freitag gegen Lin Yun-Ju (Taiwan) Bronze ins Visier nehmen.

"Ich habe meine Frau und meinen Vater angerufen", sagte Ovtcharov, und ihm schossen die Tränen in die Augen: "Sie haben mich aufgebaut. Das tat natürlich gut. Das war eines der besten Spiele, die ich je gespielt habe. Ich hatte den besten Spieler, den es je gab, beim größten Turnier am Rande einer Niederlage. Warum es im Sport manchmal so und manchmal so geht, weiß am Ende nur der liebe Gott."

Der Tischtennis-Gott war nicht auf "Dimas" Seite, dafür aber Respekt, Anerkennung und Stolz der deutschen Tischtennis-Fans und des Bundestrainers Jörg Roßkopf: "Es gab selten ein besseres Spiel, vom ersten bis zum letzten Ballwechsel. Das war Wahnsinn." Also Kopf hoch - und her mit Bronze!

Die Entscheidung des Tages: Patrick Moster

Der deutsche Radsport-Funktionär Patrick Moster bekam am Donnerstag für seinen unterirdischen "Kameltreiber"-Auftritt die Quittung. Aus Tokio nach Hause geschickt, vom Weltverband UCI bis auf weiteres suspendiert. Machen wir es kurz: Diese Entscheidung war alternativlos.

Der Schreck des Tages: Sam Kendricks

Ein positiver Corona-Test bei Stabhochsprung-Weltmeister Sam Kendricks, für den Olympia damit gelaufen ist, hielt die Leichtathletik-Szene in Atem. Zwischendurch hieß es, dass 54 Mitglieder des australischen Teams als mögliche Kontaktpersonen ebenfalls in Quarantäne geschickt werden.

Am Nachmittag gab der australische Verband erste Entwarnung. Bei drei Sportlern war die Gefahr einer direkten Infektion gesehen worden, alle drei lieferten anschließend einen negativen PCR-Test. Die drei Betroffenen verbleiben vorerst in einer aufgeweichten Isolation, in der sie einzeln trainieren dürfen. Sie werden weiter getestet und sollen wie geplant an den Wettkämpfen teilnehmen. Die übrigen Teamkollegen haben die Isolation verlassen.

Die Heldin des Tages: Alessandra Perilli

Das Wort historisch wird in der Sportberichterstattung gerne überstrapaziert, im Fall von Alessandra Perilli trifft es komplett zu. Die 33-jährige Schützin holte im Trap-Wettbewerb Bronze und damit die erste Olympia-Medaille überhaupt für San Marino. Die 33.600 Menschen der italienischen Enklave sollen übereinstimmenden Medienberichten zufolge in spontane Jubelstimmung verfallen sein.

"Diese Emotionen sind unglaublich, ich bin überglücklich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was in San Marino jetzt los sein wird", sagte Perilli und ergänzte bescheiden: "Bin ich jetzt eine Heldin? Übertreiben wir nicht!" Wir meinen: Heldin!

Erkenntnis des Tages: Simone Biles

Turn-Superstar Simone Biles gewährte zwei Tage nach ihrem Olympia-Rückzug erneut einen tiefen Blick in ihr Seelenleben. "Die Liebe und Unterstützung, die ich erhalten habe, hat mich erkennen lassen, dass ich mehr bin als meine Leistungen im Turnsport", twitterte die 24-Jährige: "Daran habe ich zuvor nie wirklich geglaubt."

Im Mehrkampffinale saß Biles dann auf der Tribüne und feuerte ihre Teamkolleginnen an. Sie sprang von ihrem Sitz auf, klatschte und schrie, als Sunisa Lee sich vor ihren Augen zur neuen Turnkaiserin von Japan aufschwang.

Sprüche des Tages

"Es gibt bei den Olympischen Spielen kein Kamelrennen. Deshalb habe ich mich für den Radsport entschieden. Zumindest war ich in Tokio dabei." (Algeriens Radprofi Azzedine Lagab zu den rassistischen Anfeuerungsrufen durch Patrick Moster)

"Mein Körper gibt deutliche Signale, dass er an der Grenze ist. Ich fahre jetzt vielleicht mal zwei Wochen weg, schalte das Handy aus. Dann mache ich mir über meine Zukunft Gedanken." (DFB-Trainer Stefan Kuntz über seine Pläne)

"Ich laufe an und haue drauf." (Johannes Vetter, Goldfavorit im Speerwurf, über seinen Plan für die Qualifikation zum Finale)

"Sie zieht ganz schön am Hals, auf dem Podest dachte ich schon: Oh, oh, das tut ganz schön weh. Die wiegt bestimmt das Doppelte oder Dreifache wie meine bisherigen Medaillen." (Andrea Herzog nach Bronze im Canadier zum Gewicht ihrer Medaille)

"Wir haben unsere Eier vermissen lassen. Ich glaube, die sollten wir wieder mal entwickeln, um dann irgendwann mal weiterzukommen." (Handballer Timo Kastening nach der bitteren Pleite gegen Frankreich)

Andrea Herzog hat eine Medaille geholt.getty

Zahlen des Tages

1:58,13 Minuten waren im Schwimm-Halbfinale über 200 m Lagen für Medaillenkandidat Philip Heintz zu wenig. Finale verpasst! Der 30-Jährige hängt die Badehose Ende August an den Nagel. "Ich habe zehn Jahre meinen Traum gelebt, war sieben Jahre Profisportler, ich würde es jederzeit wieder machen", sagte Heintz. Mach es gut, Junge!

13 Medaillen hat Deutschland auf dem Konto. Dreimal Gold, dreimal Silber und siebenmal Bronze macht Rang neun im Gesamtranking.

20 Leichtathleten aus "Hochrisiko-Ländern" müssen wegen Verstößen gegen die Anti-Doping-Regeln auf ihren Start verzichten. Die Sportler haben die Mindestanforderung an Trainingskontrollen im Vorfeld der Spiele nicht erfüllt.

4 und damit alle deutschen Vielseitigkeitspferde sind am Donnerstag problemlos durch die tierärztliche Verfassungsprüfung, den sogenannten Vet-Check, gekommen. Michael Jung mit Chipmunk, Sandra Auffarth mit Viamant du Matz und Julia Krajewski mit Amande de B'Neville können somit ab Freitag auf Medaillenjagd gehen. Ebenfalls topfit ist das Ersatzpaar: Andreas Dibowski mit Corrida. War das angesichts der Dominanz der deutschen Reiter schon die größte Hürde auf dem Weg zu Gold?

0:2 unterlagen die Beach-Ladies Karla Borger und Julia Sude gegen das Oranje-Duo Katja Stam/Raisa Schoon - Aus in der Vorrunde.

25 Punkte erzielte Basketball-Superstar Luka Doncic beim 116:81-Sieg von Slowenien gegen Japan. Im Auftaktspiel gegen Argentinien (118:100) hatte er mit 48 Punkten am Olympiarekord (55) gekratzt.

1:23 bekamen unsere Wasserball-Freunde aus Südafrika diesmal auf die Mütze. Gegner war Ungarn. Das Torverhältnis nach drei Partien: 6:64.