Wojtek Czyz ist immer für eine Schlagzeile gut. Egal, um welches Thema es geht, der oberschenkelamputierte Leichtathlet hat meist etwas zu sagen - selten ist es positiv. Während der laufenden paralympischen Spiele wetterte er bereits gegen eine unfaire Prämienausschüttung und das undifferenzierte Klassifizierungssystem.
Immer ging es dabei gegen das System, persönliche Vorwürfe waren dem 32-Jährigen bislang fremd. Bis zum Freitagmorgen, als Czyz nach dem Vorlauf über die 100 Meter Teamkollege Heinrich Popow technisches Doping vorwarf.
"Das ist alles Humbug"
"Es kann nicht sein, dass ein Athlet Bauteile hat, an die niemand anderes bei den Paralympics herankommt. Das, was Heinrich macht, ist für mich das Paradebeispiel für technisches Doping", sagte Czyz, der mit 12,53 Sekunden nur zehn Hundertstel langsamer war als Popow. Der Kaiserslauterer bezog sich damit auf ein verbessertes Kniegelenk, das angeblich nur dem Silbermedaillengewinner von Peking zur Verfügung gestanden hätte.
"Das ist alles Humbug. Das sind die alten Psychospielchen von Wojtek", sagte der Angegriffene im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd: "Wenn er das braucht, kann er das gerne so machen - alles was mich interessiert, ist der Sport."
In der Tat ist schwer nachzuvollziehen, wie das mit dem Kniegelenk denn nun war. Das Unternehmen, welches Popow Priorität bei der Materialausgabe gewährt haben soll, dementierte jedenfalls Czyzs Vorwürfe: "Das ist ein modifiziertes Serienprodukt, dass jedem Athleten zur Verfügung steht", sagte Rüdiger Herzog, Pressesprecher des Prothesenherstellers ottobock.
Inwieweit Popow als charismatischer Werbeträger des Duderstädter Unternehmens Vorzüge vor dem als "Enfant terrible" bekannten Czyz erhält, bleibt somit vorerst reine Spekulation des Geschassten.
Keine Entschärfung der Lage
Der deutsche Chef de Mission versuchte die Gemüter derweil zu beruhigen. "Die Leistungen der beiden Athleten waren heute überragend, beide kämpfen offen um Gold. Da entscheiden andere Dinge als ein Kniegelenk über Sieg oder Niederlage", sagte Karl Quade der dapd.
Allerdings bemängelte er den "denkbar ungünstigen Zeitpunkt" der Kritik - "noch dazu teamintern". Der Teamchef gab außerdem zu bedenken, dass "Oscar Pistorius nach den 200 Metern auch eine Diskussion über zu lange Prothesen vom Zaun gebrochen hat, bei der er nachher wieder zurückstecken musste."
"Es ist eine Grauzone"
Vor den Finals am Freitagabend sah es im deutschen Athletenlager indes nicht nach einer Entschärfung der Lage aus. Czyz betonte, dass er und auch Sprinterin Vanessa Low vor Monaten das Modell angefragt, aber nicht bekommen hätten. "Das verstößt zwar nicht gegen die Regel, aber es ist eine Grauzone und ein unlauterer Vorteil", sagte der 32-Jährige.
So unpassend der Zeitpunkt der Vorwürfe also auch gewesen sein mag, er bringt zusätzliches Feuer in die ohnehin bereits mit Hochspannung erwarteten 100-Meter-Finals um Punkt 22.00 Uhr deutscher Zeit.
"Trotz des Vorteils will ich ihm im Finale schön in den Arsch treten", kündigte Czyz an. Popow, der sich vor dem Start nicht in eine Diskussion verwickeln lassen wollte, konterte die Vorwürfe postwendend: "Meine Antwort gebe ich ihm im Finale."
Eines sollte man bei all dem Wirbel allerdings bedenken: Bereits 2011 holte Popow Sprintgold bei der Weltmeisterschaft in Christchurch - trotz "normalen" Kniegelenks.