Die Sportler schimpfen, die Funktionäre wundern sich: Das Fernbleiben von IOC-Präsident Thomas Bach von den Paralympics in Rio de Janeiro sorgt im Lager des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) für Erstaunen, Frust und Wut.
Nachdem am Dienstag Gesamtathletensprecherin Manuela Schmermund der Kragen geplatzt war, fand auch ihr Stellvertreter Marc Schuh deutliche Worte gegen den deutschen Boss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). "Es gehört zum guten Ton, hier zumindest einmal Hallo zu sagen", sagte der Rollstuhlsprinter dem SID: "Das ist ein gewollter Bruch mit dem IPC."
So weit will DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher noch nicht gehen: "Aber es ist dringend angeraten, miteinander zu sprechen, damit andere nicht permanent unser Verhältnis hinterfragen müssen."
"Muss die Größe haben, anzusprechen, was ihm nicht passt"
Das Internationale Paralympische Komitee, in dessen Athleten-Council sich Schuh am Wochenende wählen lassen will, hatte im Gegensatz zum IOC Russland wegen des erwiesenen Staatsdopings komplett von den Spielen ausgeschlossen. Dass Bach die Paralympics in seiner Olympia-Schlussrede mit keinem Wort erwähnte, ist für Schuh "entweder schludrig und würde damit die Kompetenzfrage nach sich ziehen. Oder es war volle Absicht. Beides würde ich als sehr fragwürdig empfinden." Wenn Bach wirklich ein Problem mit dem IPC habe, "muss er auch die Größe haben, offen anszusprechen, was ihm nicht passt".
Zudem war darüber spekuliert worden, dass Bach wegen einer angeblichen Einladung zu einer Anhörung im Ticketskandal um das irische IOC-Exekutivmitglied Patrick Hickey nicht nach Brasilien reist. "Das IOC hat das ja dementiert. Aber dann soll Herr Bach einfach kommen", meinte Karl Quade, Deutschlands Chef de Mission. Er hätte es jedenfalls "gerne gesehen, wenn er erschienen wäre. Eigentlich ist das auch üblich. Und aus meiner Sicht gehört es sich einfach auch. Die beiden großen Bewegungen sollten in eine Richtung arbeiten und das auch nach außen zeigen."
Schmermund hatte schon nach ihrem Wettkampf am Dienstag geschimpft, Bach habe "gefälligst hier aufzutauchen. Das ist schädigend für sein Amt, aber auch für das Ansehen von Deutschland. Er soll sich mal erinnern, wo er herkommt. So was macht man nicht. Wenn er uns schon nicht bei der Abschlussfeier erwähnt, dann soll er wenigstens hierherkommen. Aber jetzt will ich ihn auch nicht mehr hier haben."
Leichtathletin Marianne Buggenhagen, die in Rio ihre siebten und letzten Paralympics absolviert, hat es "noch nie erlebt, dass sich ein IOC-Präsident nicht bei den Paralympics blicken lässt. Aber das zeigt die Wertigkeit, die wir bei Herrn Bach haben."
"Das bessere Olympia"
Beucher will Bachs Fernbleiben offiziell nicht beurteilen. "Herr Bach hat mitgeteilt, dass es ihm terminlich nicht möglich ist. Ich bedauere das, aber ich kommentiere das nicht", sagte er.
Auch die Frage, ob die Paralympics mit vollen Tribünen und fröhlichen Zuschauern und Sportlern "das bessere Olympia" seien, wollte er nicht beantworten. Ließ aber durchblicken, "dass ich die gähnende Leere auf mancher Olympia-Tribüne vor dem Fernseher noch als unangebrachte Missachtung gegenüber einem sportlichen Großereignis empfunden habe. Heute weiß ich: Es gibt sportbegeisterte Brasilianer, die gerne gekommen wären, aber sie haben es sich einfach nicht leisten können."
Bach hatte sein Fehlen bei der Eröffnungsfeier der Paralympics mit der zeitgleichen Beerdigung des früheren Bundespräsident Walter Scheel begründet, dann aber auch gleich schon mitgeteilt, dass er keine Möglichkeit für einen späteren Besuch sehe. Unter anderem war er stattdessen beim kroatischen Olympische Komitee in Zagreb. Bach betonte, dass er die Reise dorthin nicht absagen konnte, weil er bereits anlässlich der Beerdigung von Muhammad Ali im Juni einen Besuch in Kroatien gecancelt hatte.