Ein bisschen wie 2004

Ole Frerks
16. August 201614:33
Boogie Cousins, Kevin Durant und Klay Thompson hatten sich Rio etwas einfacher vorgestelltgetty
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Die Vorrunde des Basketball-Turniers in Rio hat vor allem eines gezeigt: Unschlagbar ist Team USA nicht. Nun bekommen sie es im Viertelfinale mit einer ganz speziellen Herausforderung namens Argentinien zu tun. Außerdem: Boomers-Boom in Australien, das ewige Duell zwischen Spanien und Frankreich und Milos Teodosic, der König.

Von wegen totale Dominanz: Räumen wir zuallererst das wichtigste Thema aus dem Weg. Obwohl Team USA in der Vorrunde kein Spiel verloren hat, kann man keineswegs von einem Spaziergang sprechen und dominant waren die Vorstellungen nicht, insbesondere bei den 3-Punkt-Siegen gegen Serbien und Frankreich ohne Tony Parker. Am richtigen Tag kann das richtige Team diese Amerikaner schlagen, so viel ist sicher.

Woran das liegt? Nun, einerseits fehlen Team USA natürlich einige Hochkaräter (LeBron James, Stephen Curry...), aber wenn wir ehrlich sind, ist das keine Entschuldigung. "Das ist immer noch ein Team voller All-Stars" merkte Rudy Gobert an und hatte damit vollkommen Recht. In Sachen Talent kann kein Team im Feld den Amis ansatzweise das Wasser reichen, und das ist auch nichts Neues.

Gefährlich wird es indes, wenn der US-Gegner schon ewig zusammenspielt (wie etwa Spanien und Serbien), Team-Basketball zelebriert und dazu im Idealfall noch einen dominanten Innenspieler in seinen Reihen weiß. Die Defense von Team USA ist überraschend mäßig, insofern ist es kein Zufall, dass Nikola Jokic ihnen locker-leicht 25 Punkte einschenkte.

Auch offensiv zeigen die Amerikaner keinen allzu schönen Basketball. Logisch gibt es Highlights und monströse individuelle Leistungen wie die von Klay Thompson gegen Frankreich, aber von klassischem Team-Basketball kann nicht wirklich die Rede sein. Es läuft in erster Linie über Eins-gegen-Eins.

Abgesehen von Kyrie Irving fehlt ein echter Playmaker, zumal Draymond Green sein Game und sein Selbstvertrauen offenbar irgendwo auf Snapchat verloren hat. Coach K vertraut ihm derzeit kaum noch und ließ Green gegen Frankreich nur sechs Minuten ran.

Zeitweise fühlt man sich fast ein wenig an 2004 erinnert, wenn man ein ziemlich unorganisiertes und teilweise arrogant auftretendes Team USA beim Spielen beobachtet, das von der Qualität der anderen Teams überrascht war (Hallo, Paul George!). Damals sprang bekanntlich nur die Bronzemedaille raus.

Wird sich das wiederholen? Vermutlich nicht - wenn man bei Team USA heuer im richtigen Moment einschaltet, blitzt trotzdem die ganze Klasse durch, und wie erwähnt ist man immer noch ungeschlagen. Die Goldmedaille wird aber eine deutlich größere Herausforderung werden, als man es zuvor angenommen hatte.

Die USA bleiben der große Favorit, aber ein anderer Turniersieger erscheint nach der Vorrunde zumindest nicht mehr völlig unmöglich. Und wer weiß - vielleicht wiederholt sich Geschichte ja doch. 2004 kassierte man gegen Argentinien die bisher letzte Niederlage bei Olympischen Spielen, im Viertelfinale wartet nun genau der gleiche Gegner.

Boomer-Mania: Das genaue Gegenstück zu Team USA bilden bis dato die Kollegen von Down Under. Die "Stars" der Australier heißen Andrew Bogut, Patty Mills und Matthew Dellavedova - so richtig klangvoll ist das nicht. Aber umso mehr Spaß macht es, den Boomers dabei zuzusehen, wie sie ihre Gegner entnerven und teilweise sogar dominieren.

Gerade Delly und Bogut kratzten und bissen sich in beeindruckender Manier durch die Vorrunde und führten ihr Team auf den zweiten Platz in Gruppe A, um den eigentlich Frankreich und Serbien kämpfen sollten. Nur gegen die USA wurde (mit 10 Punkten) verloren und auch da war man sich im Anschluss nicht sicher, ob das beste TEAM auch wirklich gewonnen hatte.

Es ist eine interessante Vorstellung, wie die Australier in vier Jahren aussehen könnten, wenn Ben Simmons und Dante Exum Teil des Teams sind, aber das ist jetzt zweitrangig: Im Viertelfinale wartet Litauen und bis zum Finale könnte man den USA aus dem Weg gehen. Eine Medaille für die Boomers? Da würde selbst Mark Cuban nicht meckern. In der aktuellen Verfassung scheint das für Australien durchaus realistisch. Das Duell gegen Litauen wird richtig Spaß machen.

So sehen wir uns wieder: "Das wird Spaß machen" gilt übrigens auch für das Viertelfinale zwischen Spanien und Frankreich. Es mag etwas überraschend wirken, dass sich diese beiden Basketball-Großmächte jetzt schon begegnen, mit eher unterwältigenden Vorrunden sorgten sie allerdings selbst dafür. Spanien musste ja bis zum letzten Spieltag ums Weiterkommen bangen - eigentlich unziemlich für den Doppel-Vize-Olympiasieger (was für ein Wort!). Aber danach fragt ja später niemand mehr.

Zumal sich diese Teams wirklich, wirklich nicht gut leiden können. Ein kurzer Reminder: 2014 wurde die WM in Spanien ausgetragen, endlich wollte man als Gastgeber mal ein Finale gegen die übermächtigen USA gewinnen. Stattdessen flog man schon im Viertelfinale gegen Frankreich raus und schämte sich in Grund und Boden.

Ein Jahr später gab es dann die Möglichkeit zur Rache, als die EuroBasket in Frankreich (und drei anderen Ländern) stattfand und die Grande Nation als großer Favorit an den Start ging. Was machte Spanien? Eher sollte man fragen, was Pau Gasol machte. 40 Punkte. Im Halbfinale. Beim Sieg gegen Frankreich. Worauf noch einmal 25 Punkte beim Sieg im Finale gegen Litauen folgten.

Diesmal haben also die Franzosen eine Rechnung zu begleichen. Es fällt allerdings extrem schwer, eine Voraussage zu treffen, wer hier ins Halbfinale einzieht. Beide können mehr als sie bisher gezeigt haben und galten eigentlich als die Top-Anwärter auf den zweiten Platz. Es dürfte launig werden.

Milos, der Große: Für alle, die sich einigermaßen regelmäßig mit europäischem Basketball oder internationalen Turnieren auseinandersetzen, war es ein durchaus bekannter Anblick, anderen wurde jedoch der Kopf verdreht: Die Rede ist natürlich von Milos Teodosic' Auftritt gegen Team USA.

Topscorer war wie erwähnt Jokic, doch es war Teodosic, der die Amerikaner zeitweise mit seinen Pässen verzauberte. Einmal schaffte er es irgendwie, in die Zone zu ziehen und mit Blick auf den Korb einen Pass über die Schulter AN DIE DREIERLINIE zu spielen, wo Bogdan Bogdanovic völlig frei abdrücken durfte.

Bei einer anderen Aktion umkurvte er Boogie Cousins und Paul George, um dann einen einhändigen Bodenpass auf den völlig freien Miroslav Raduljica unterm Korb zu spielen. Unsereins würde sich bei solchen Aktionen lächerlich machen und den einen oder anderen Knochen brechen, Milos spaziert einfach mit einem Enthusiasmus, als würde er gerade Pfandflaschen wegbringen, zurück in die Defense. Ein Genie, der Mann.

Wie gesagt: Wir Europäer und Basketball-Nerds wissen das schon länger. Dem Amerikaner an sich klappte jedoch die kollektive Kinnleiste runter und natürlich kam danach wieder die Frage auf, warum Teodosic eigentlich nicht in der NBA zockt. Die Euroleague hat er doch schließlich jetzt gewonnen. "Ich wollte schon vor Jahren in die NBA", entgegnete der Point God. "Es liegt nicht in meiner Hand."

Ein Memo an alle General Manager in der NBA: Teodosic wird 2017 Free Agent. Er will in die NBA. Müssen wir es buchstabieren? Erfüllt ihm (und uns!) den Wunsch! Es wird Zeit.

Übrigens: Die Serben sind gut, richtig gut, wenn sie wollen. Medaille durchaus möglich. Bitter, dass die Partie gegen das ebenfalls bockstarke Kroatien für uns mitten in der Nacht stattfindet (Do., 3.15 Uhr).

(K)ein Ende in Sicht: Ja, die Big Three der Argentinier (Luis Scola, Manu Ginobili, Andres Nocioni) ist kombiniert 111 Jahre alt und war schon bei den Olympischen Spielen in OLYMPIA dabei. Damals, mit Leonidas von Rhodos und so. Na und? Diese Truppe würde auch dann noch Spaß machen, wenn Manu neben der Platte auch noch Gehstock und Hörgerät zu seinen Accessoires zählen würde.

Wer sich etwas intensiver mit Manu und den Gauchos befassen möchte, dem sei das großartige Stück von Zach Lowe ans Herz gelegt. Für uns viel wichtiger: Genießen wir die letzten Auftritte dieser goldenen Generation, die 2004 den Titel holte und seitdem einfach den Kader behalten hat. Jedes Spiel könnte das letzte sein, zumal es jetzt gegen die übermächtigen Amis geht.

Und es zählt nicht nur der Nostalgie-Faktor: Jedes Spiel kann ein absolutes Highlight werden! Die Gauchos haben in der Vorrunde zwar nur gelegentlich dominiert, ihr Double-OT-Game gegen Brasilien war allerdings das beste des bisherigen Turniers.

Nocioni legte dabei mit 37 Punkten ein amtliches Career High auf - 6 Punkte mehr als bei seinem NBA-Bestwert. Den hat "El Chapu" übrigens vor mehr als zehn Jahren aufgestellt. Wie gesagt: Diese Jungs sind schon etwas länger dabei. Wer am späten Mittwoch (23.45 Uhr) gegen die USA nicht einschaltet, hat den Korbball nie geliebt.

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