Nach dem Trauerflorverbot durch das IOC gab es in Norwegen kein Halten mehr. Mit Wut und Trotz reagierten Athleten, Funktionäre und frühere Sport-Idole auf die offizielle Rüge, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegen die norwegische Olympia-Mannschaft in Sotschi ausgesprochen hatte - nur, weil die Langläuferinnen mit einer schwarzen Armbinde des verstorbenen Bruders ihrer Teamkollegin Astrid Jacobsen gedacht hatten.
"Unerhört, unverständlich, unfassbar. So darf man nicht reagieren", sagte Langlauf-Legende Oddvar Brå. "Das ist völlig umnachtet, eine Riesendummheit", beschwerte sich die frühere Langläuferin Anette Bøe: "Da fällt mir nichts mehr ein. Sehr traurig."
Trotzige Aussagen gegen Entscheidung
Marit Björgen, die im betroffenen Skiathlon am Samstag die Goldmedaille gewonnen hatte, gab sich unterdessen trotzig. "Das war es wert", sagte die 33-Jährige: "Ich weiß, dass es eine Verwarnung gab. Ich finde das traurig, aber wir waren darauf vorbereitet."
Das IOC bezog sich auf sein Regelwerk: die Olympische Charta. Die Regel 50.3 verbietet dort "jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda" an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen. Nichts, aber auch gar nichts soll Olympia in die Quere kommen.
Olympia nicht der richtige Ort
IOC-Sprecherin Emmanuelle Moreau verteidigte in einer Stellungnahme gegenüber der norwegischen Tageszeitung VG die Vorgehensweise: "Wir haben tiefstes Mitgefühl für Familie, Freunde und Teamkollegen, die jemanden verloren haben, den sie geliebt haben. Wir respektieren ihren Wunsch, desjenigen zu gedenken. Doch wir glauben, dass die Wettkampfstätten, in denen die Atmosphäre festlich ist, nicht der richtige Ort für Trauer sind."
Jacobsens Bruder war am Freitag unerwartet gestorben. Nachdem Superstar Björgen Gold im Skiathlon gewonnen hatte, hatte das gesamte norwegische Team im Zielraum geweint. Jacobsen selbst will am Dienstag wie geplant im Sprint starten.
Norwegischer Verband unterstützt Athleten
Rückendeckung erhielten die Athleten von ihrem Verband. Inge Andersen, Generalsekretär des mächtigen Norwegischen Sportverbandes, sagte der Zeitung Aftenposten: "Das war eine ganz natürliche Reaktion der norwegischen Langlaufmannschaft. Das Menschliche ist viel wichtiger als Sport, wenn so etwas passiert. Wir würden das gerne mit dem IOC auf einer höheren Ebene diskutieren." Damit forderte Andersen auch IOC-Präsident Thomas Bach heraus, der sich in solchen Fälle gewöhnlich hinter das Regelwerk stellt.
Das norwegische IOC-Mitglied Gerhard Heiberg verteidigte den Ringeorden. "Wir haben 204 Mitgliedsnationen. Diese Sache könnte für alle einen Präzedenzfall schaffen." Ausnahmen von der Regel machten das IOC in Streitfällen juristisch angreifbar. "Norwegen wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht erlaubt ist, und ich verstehe das IOC da sehr gut", sagte Heiberg: "Als Privatperson denke ich aber, dass das in Ordnung war, aber das IOC war gezwungen zu handeln."
Immerhin reizte das IOC seine rechtlichen Möglichkeiten nicht voll aus. In den Durchführungsbestimmungen zu Regel 50 heißt es: "Jeder Verstoß gegen die Vorschriften dieser Klausel kann die Disqualifikation der betroffenen Person nach sich ziehen."
Entscheidung kein Einzelfall
Der Streit ist kein Einzelfall in Sotschi. Valentina Wallner, Torhüterin der schwedischen Eishockey-Nationalmannschaft, wollte mit dem Konterfei ihres verstorbenen Bekannten Stefan Liv auf dem Helm aufzulaufen.
Wallner musste das Bild von Liv, Schwedens ehemaligem Nationaltorhüter, der im September 2011 beim Absturz des Flugzeugs mit dem Team von Lokomotive Jaroslawl an Bord starb, jedoch überkleben. So kam sie zumindest einer Rüge zuvor.