André Breitenreiter ist nicht nur gebürtiger Hannoveraner, sondern auch seinem Heimatverein noch sehr verbunden. So überrascht es denn auch nicht, dass die SMS von Horst Heldt ihn beim Relegationsspiel des TuS Altwarmbüchen gegen den SC Hemmingen-Westerfeld erreichte - "Breites" Klub schaffte den Aufstieg und er selbst kurze Zeit später den Sprung auf die Trainerbank des FC Schalke 04.
Die Berufung von Breitenreiter gilt einerseits als echter Coup, andererseits als großes Risiko für Schalkes Manager Horst Heldt, für den Breitenreiter wohl die sprichwörtliche "letzte Patrone" im Gurt sein dürfte. Wieder einmal ging aber eine Schalker Personalie mit einem schier unglaublichen Medienecho einher.
Schon beinahe traditionell können beim königsblauen Chaosklub scheinbar Personalentscheidungen nicht fallen, ohne dass sämtliche Details in der Presse und den Medien bis ins kleinste Detail bekannt werden. Mit Spannung blickt der königsblaue Anhang deshalb der Jahreshauptversammlung entgegen, die am 28. Juni in der Veltins-Arena stattfinden wird - zeitgleich mit dem Trainingsauftakt der Knappen.
JHV als Spannungsfeld
Wie es auf Schalke Brauch ist, werden dort voraussichtlich Clemens Tönnies als Aufsichtsratsvorsitzender und Horst Heldt als Manager und Vorstandsboss Rede und Antwort stehen müssen für eine Saison, in der ziemlich viel schief gelaufen ist. Es wird aber auch die Frage nach der Perspektive gestellt werden, die sich der Königswinterer Fußballlenker und der ostwestfälische Fleischfabrikant für die Zukunft überlegt haben.
Zentraler Baustein soll nun scheinbar nicht mehr die wie ein Damoklesschwert über dem Berger Feld schwebende Meisterschaft, sondern "guter Fußball" sein - wie auch immer dieser aussehen mag. Breitenreiter jedenfalls soll mit einer neuen, frischen Philosophie den Anstoß zu mehr mannschaftlicher Geschlossenheit geben.
Schon jetzt ist klar: Der 42-jährige Breitenreiter wird sich gewaltig nach der Decke strecken müssen, denn auf Schalke gibt es nicht nur keine Ruhe, sondern davon auch noch jede Menge. In Paderborn war er es noch selbst, der das gemütliche, ostwestfälische Umfeld ob der schlechten Infrastruktur und der Querelen rund ums Stadion aufrüttelte - bei den Knappen muss er sich dieser Aufgabe gar nicht erst widmen, weil es die Unruhe quasi gratis zum Trainerposten dazu gibt.
Die Erwartungshaltung ist ganz einfach - hat Schalke keinen blitzsauberen Saisonstart mit begeisterndem Fußball in petto, erhitzt sich die Sitzfläche von Breitenreiters neuem Trainerstuhl ganz automatisch.
Das erste Stahlbad
Breitenreiters Vorstellung auf Schalke fiel ungewöhnlich aus. Ungewöhnlich, weil der "Neue" fast ein bisschen aufgeregt erschien - etwas, das man von den letzten Fußballlehrern nicht mehr gewohnt war. Der professioriale Rangnick, der knorrige Stevens, der lethargische Keller oder der stille di Matteo - sie alle schienen die Herausforderung mit großer Ruhe anzugehen.
Breitenreiter hingegen hat Hummeln im Hintern, saß vor dem prall gefüllten Presseraum im blau-weiß karierten Hemd mit Schweißperlen auf der Stirn und dem einen oder anderen etwas holprigen Ausdruck im Gepäck. Gut so, möchte man sagen - etwas weniger "aalglatt" und "professionell" steht dem gemeinen Schalker ohnehin etwas besser zu Gesicht.
Übrigens soll Breitenreiter bei seinem ersten Besuch auf der Geschäftsstelle des S04 einen positiven, sympathischen und "volksnahen" Eindruck hinterlassen haben. Auch das war bei den letzten Cheftrainern nicht unbedingt selbstverständlich - ebenso nicht das Lob, das "Breite" bereits bei seiner Vorstellung für die "motivierten" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter parat hatte.
Dass er sich von Anfang an mit Manager Heldt und Pressechef Spiegel duzte, war etwa bei Vorgänger di Matteo noch nicht selbstverständlich. Breitenreiter sucht bewusst die Nähe zu den Verantwortlichen, versucht, sich zu etablieren und sich zu positionieren. Er weiß: Sein Standing auf Schalke ist vielleicht nicht davon abhängig, dass man ihn persönlich mag, aber es schadet auch nichts, wenn man sich vorbildlich verhält.
Der Teamgeist als Schlüssel
Seine Äußerungen waren klar umrissen, und gegen Ende der Pressekonferenz wurde er zunehmend sicherer und deutlicher, besonders in Bezug auf den Umgang mit der Mannschaft, den vermeintlichen Stars und der Analyse dessen, was in der vergangenen Saison passiert war.
Die fehlende mannschaftliche Geschlossenheit, der fehlende Teamgeist, die fehlende Initiative der Profis - scheinbar hat Breitenreiter schon identifiziert, woran er als Erstes arbeiten will und wo die Schwachstellen der Königsblauen lagen. Dies weckt zumindest die Hoffnung, dass die Schalker Fans in der kommenden Saison wieder die Gelegenheit haben werden, eine tatsächliche Mannschaft auf dem Platz zu sehen.
Überhaupt scheint Breitenreiter jemand zu sein, der gern vorlebt. Das war schon in Paderborn so - auch in seinem Trainerteam, das zumindest noch seinen ehemaligen Mitstreiter Volkan Bulut umfassen wird - und wird auch auf Schalke einer der spannenderen Aspekte sein, was den Umgang des Trainers mit der Mannschaft angeht. Besonders die älteren Semester, erfahrenes Weltmeister und Nationalspieler, aber auch die entwicklungsfähige Jungcharge um Megatalent Max Meyer werden sich genau anschauen, wie sich Breitenreiter in Bezug auf Sonderwünsche, Extrawürste und Privilegien verhält.
Bäumchen-wechsel-dich im Kader
Dass erste Personalien bereits feststehen, sorgt für erste Ansätze der Entspannung. Höwedes und Draxler haben signalisiert, dass sie bleiben wollen - ebenso mit Joel Matip ein weiterer Absolvent der Knappenschmiede. Zudem stehen weitere Transfers in der sprichwörtlichen Pipeline und sollen in den nächsten Wochen noch abgewickelt werden, bevor sich die Spieler erstmals am 28. Juni auf dem Trainingsgelände versammeln, um sich auf das erste Pflichtspiel der Knappen Anfang August im DFB-Pokal vorzubereiten. Es sollte für den glorreichen FC Schalke möglichst besser ausgehen als die Erstrundenpartie der vergangenen Saison - hier verlor man gegen den Drittligisten aus Dresden.
Breitenreiter hat verdeutlicht, dass er bereits eine ausgiebige Kaderanalyse betrieben hat - gemeinsam mit Horst Heldt, dessen Aufgabe es in den kommenden Tagen sein wird, nicht nur vermeintliche Bremsklötze, die auf Schalke noch unter Vertrag sind, loszuwerden. Während Barnetta, Obasi, Fuchs oder Kirchhoff aufgrund der vertraglichen Konstellation einfach abzugeben waren, sieht das bei den Ladenhütern Sam und Boateng anders aus.
Hoffen auf Italiener
So muss Schalke auf das kolportierte Interesse von deutschen und italienischen Klubs hoffen, die bereit sind, gegebenenfalls auch noch eine kleine Ablöse zu bezahlen. Hinzu kommen Problemfälle wie der dauerhaft unter Form auftretende Roman Neustädter, der disziplinlose Marco Höger oder Dennis Aogo, dessen Auftritte in der Rückrunde meist in die Kategorie "Totalausfall" fielen.
Und auch auf der "Haben"-Seite muss Schalke noch zulegen. Wunschkandidat Khedira entschied sich für den Champions League-Finalisten aus Turin, Johannes Geis liebäugelt offen mit einem Wechsel zu seinem Ausbildungscoach Tuchel in Dortmund.
Konkrete Namen sind ansonsten bisher nicht gefallen, auch wenn jedwede Presseveröffentlichungen aus aller Herren Länder zig Möglichkeiten ins Spiel bringen - von Rechtsverteidiger Thomas Meunier aus Brügge über Yuto Nagamoto aus Mailand bis hin zu Jordy Clasie aus Rotterdam. Breitenreiter wird seine eigenen Wunschkandidaten haben und das finanzielle Potenzial des Bundesligisten nutzen wollen, um sich zusätzliche Qualität dazu zu holen und seine taktischen Vorstellungen umzusetzen.