Legenden wider Willen

Von Maximilian Schmeckel
Die 1980er-Jahre waren die dominanten Zeiten von Matt Biondi und Michael Groß
© getty

Sie waren die besten Schwimmer ihrer Generation und stellten 23 Weltrekorde auf. Der Deutsche Michael Groß als "Albatros" und der US-Amerikaner Matt Biondi als "Kondor" dominierten die Achtziger Jahre. Den damit verbundenen Medienrummel wollten sie nie. Auch deshalb blieben sie stets sie selbst und machten der aberwitzigen Rekordjagd selbst ein Ende, indem sie früh zurück traten. Die Geschichte zweier Strategen des Schwimmbeckens, die eigentlich nie zu Legenden werden wollten.

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Die Medien mochten sie beide nicht. Das war eine von so vielen Gemeinsamkeiten dieser beiden Helden des Schwimmsports, die das den Menschen seit Anbeginn der Zeit faszinierende Element Wasser gezähmt hatten und als Stars ihrer Branche die Speerspitze der Schwimmer-Avantgarde bildeten.

Als "Duell der Götter" wollten die Medien den Kampf der beiden Weltschwimmer des Jahres bei den Weltmeisterschaften 1986 in Madrid aufbauschen. Blöd nur: Da hatten Michael Groß und Matt Biondi gar keinen Bock drauf. "Wir sind einfach Menschen, die schnell schwimmen können", widersprach Biondi damals dem nach Rekorden und Triumphen gierenden Schwimm-Zirkus. Die beiden Ausnahmesportler, die ihre Generation prägten, waren der glitzernden und wuchtigen Medienwelt gegenüber stets scheu und hatten einen bemerkenswert klaren Blick auf den Trubel, den sie auslösten.

Als Michael Groß 1982 erstmals Sportler des Jahres wurde, kam er einfach nicht und konnte die Aufregung darüber ganz und gar nicht nachvollziehen und Matt Biondi sagte später: "Ich liebte Schwimmen, aber nicht die Aufmerksamkeit, die damit verbunden war."

Dass die Medien ihnen die monumentalen Spitznamen "Albatros" (Groß) und "Kondor" (Biondi) verpassten und sie heute zu den größten Duellierenden der Geschichte gehören, obwohl sie ihre Stärken gar nicht in der selben Disziplin hatten, lag an diesen besonderen Tagen, an denen die beiden durch das Wasser pflügten, die Konkurrenz wie 12-jährige Highschool-Kids hinter sich ließen und am Ende mit noch nassem Haar vom Siegerpodest herunter strahlten, die Goldmedaille um den Hals. Und diese Tage hatten keineswegs Seltenheitswert. Zusammen holten sie bei olympischen Spielen und Weltmeisterschaften 22 Goldmedaillen und stellten 23 Weltrekorde auf.

Mit 15 schneller als der Olympia-Sieger

Michael Groß wurde 1964 in Frankfurt geboren und wuchs so schnell, dass er bereits mit 16 Jahren die Zwei-Meter-Marke durchbrochen hatte, was ihm wegen seiner enormen Spannweite der Arme von 2,13 Metern später auch den Spitznamen "Albatros" einbrachte. 1980 schwamm er in Toronto minderjährig die 100 Meter Schmetterling deutlich schneller als zeitgleich der Olympia-Sieger Pär Arvidsson in Moskau (Deutschland boykottierte die Spiele) - die Medien waren aus dem Häuschen!

Sie feierten den langen Schlaks aus Deutschland, der sieben Jahre später, mit 23, eine Vita vorzuweisen hatte, die ihresgleichen suchte. Groß war in diesem Alter bereits doppelter Olympia-Sieger, vierfacher Weltmeister, elffacher Europameister, achtfacher Schwimmer des Jahres in Deutschland, fünffacher in Europa, einmal Weltschwimmer des Jahres und nannte 21 große Titel sein Eigen. Er war deutscher Sportler des Jahres (drei Mal) und Europas Sportler des Jahres (1984) und er war vor allem eines: ausgelaugt. Schließlich hatte er alles gewonnen und schwamm "seit sieben Jahren am Limit", wie er 1987 in der Zeit zugab

Die hohe Kunst des Aufhörens

"In einem Jahr ging das Schlag auf Schlag", erinnerte er sich im gleichen Interview an seinen triumphalen Werdegang und wunderte sich, "wie schnell ich aufgestiegen bin. Mit 15 war ich 300. der Weltbestenliste im gleichen Jahr plötzlich Dritter oder Vierter." Und - und das war die zentrale Maxime seines Sportlerlebens - eins hatte er immer gewusst: Es war ein Privileg sein Hobby zum Beruf zu machen, aber wenn der Spaß aufhört, dann würde auch er aufhören. "So lange es Spaß macht. Wenn ich keine Lust hätte, ins Schwimmbad zu gehen, würde ich aufhören", sagte er mit 23. Weniger als vier Jahre und einen Haufen Medaillen und Titel später beendete er dann mit 26 jung seine Karriere.

Diesem Sog des Immer-höher-Wollens zu entkommen, das ist die große Kunst im Leistungssport. Wenigen gelingt der Ausstieg zum richtigen Zeitpunkt. Umso erstaunlicher ist es, dass auch die Ikone der amerikanisierten Welt, Matt Biondi, Schluss zur rechten Zeit machte. Ein Jahr nach Groß, kehrte er 1992 nach Olympia in Barcelona dem Schwimmen den Rücken. "Ich war in der Blüte meines Schwimmens, aber es gab so viele Gründe", so Biondi Jahre später. Er hatte alles gewonnen, finanziell lohnten seine Siege sich selten und die Popularität des Schwimmens mit dem Druck der Masse, die immer neue Weltrekorde erwartete und fast schon enttäuscht Applaus spendete, wenn er zwar gewonnen hatte, aber einen Weltrekord deutlich verpasst hatte, war für seine Psyche eine perverse Zersetzungsmaschinerie, der er sich nicht länger aussetzen wollte.

"Dieser kalifornische Teufelskerl"

1965 wurde er in Moraga, Kalifornien geboren und wurde vom im Pool der Eltern planschenden Sportfan zur Highschool- und Uni-Legende, deren Leistungen im Wasser ihn bald zum "Kondor Kaliforniens" machten. In der Highschool schwamm er in seiner Altersklasse Landesrekord und brillierte als Spielmacher und Torjäger des Wasserballteams und für die University of California, Berkeley holte er diverse NCAA-Titel im Wasserball und im Schwimmen, im Wasser immer sein später berühmt gewordenes Zitat lebend: "Beharrlichkeit kann aus Scheitern außergewöhnliche Triumphe machen." Am Ende seiner Laufbahn hatte Biondi 13 Weltrekorde aufgestellt, war zweifacher Weltschwimmer des Jahres und bis dato zweitbester Schwimmer in der Geschichte der olympischen Spiele.

Durch seine Fabelzeiten qualifizierte er sich mit 18 Jahren für Olympia 1984 in Los Angeles, wo er mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel Gold holte und mit 3:19,03 einen neuen Weltrekord schwamm. "Dieser kalifornische Teufelskerl!", brillierte die New York Times ungewohnt euphorisch und die Experten kürten Biondi zur designierten Nummer eins der Welt. Die aktuelle Nummer eins, das war freilich Groß, der bei den Spielen in den USA den patriotischen Tenor der Unbesiegbarkeit mit seinem Sieg mit Weltrekord in der Königsdisziplin 200 Meter Freistil konterkarierte und in Westdeutschland den Schwimmsport groß machte.

Alle wollten epische Schlachten...

1986 stand dann die Weltmeisterschaft in Madrid an und erstmals begegneten sich Groß und Biondi auf Augenhöhe. Zwei blutjunge Stars eines Sports, die sich in den Becken Spaniens epische Schlachten liefern - das wollten die Medien, wollten die Zuschauer. Trotz ihrer Distanz zu der Journaille wussten die beiden sehr wohl um die Brisanz ihres Zweikampfes. "Er ist der Beste", sagte Biondi vor den Wettkämpfen, "er ist der Kerl, den ich schlagen muss." Biondi ging noch weiter: "Die Leute auf der Welt haben gewartet, um das zu sehen." Dennoch lehnten beide die Mystifizierung ihres Zweikampfs ab, das mit ihren Namen verankerte Übermenschliche wollten sie nie.

Umso unverständlicher reagierten sie auf die heftige Schärfe der Medien bei Niederlagen. "Albatros abgestürzt", meldete die Welt, nachdem Groß über 100 Meter Delphin nur Vierter geworden war und in Amerika schrieb man nach Biondis Niederlage im erwarteten Duell mit Groß über 200 Meter Freistil, dass der "Kondor Blei in den Flügeln" hatte. Das konnten und wollten die beiden nicht verstehen, schließlich waren sie erfolgreich bei der WM in Spanien gewesen. Groß holte vier Mal Gold (zwei Mal davon mit der Staffel) und Biondi drei Mal (zwei Mal mit der Staffel).

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