Der Trainer
Der historische Fehlstart des VfB Stuttgart in die Saison ist seit Samstag noch einmal ein wenig kritischer dimensioniert worden. Das vierte Spiel, die vierte Niederlage. Die Stuttgarter Zeitung wetzt bereits die medialen Messer und stellt zunehmend deutlicher den Trainer in Frage. Zorniger hatte sich bei Amtsantritt selbst stark unter Druck gesetzt, indem er seine Spielphilosophie für alternativlos erklärte. Er bat, wohlwissend, dass die Mannschaft Lernbedarf haben würde, die Öffentlichkeit um Geduld. Rückschläge würden nicht ausbleiben, warnte auch Dutt vor Saisonbeginn.
So zeigte sich bei den ersten drei Pflichtspielen im DFB-Pokal und in der Bundesliga, dass die Defensive im Zorniger-System noch nicht sattelfest war, aber die Mannschaft zumindest nach vorne offensiv und attraktiv spielte. Man konnte die Niederlagen gegen Köln und Hamburg zunächst noch auf individuelles Versagen oder die klägliche Chancenverwertung schieben. Erste Risse bekam das Konstrukt aber in der Partie gegen Frankfurt, wobei individuelle Fehler maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass man auf die Verliererstraße geriet.
Zweifel in der Mannschaft?
Allerdings war auch die Körpersprache der Mannschaft in der 2. Halbzeit ein erster Fingerzeig, dass man nicht mehr voll und ganz an sich und damit auch nicht mehr an das System und den Trainer glaubte. Die Partie in Berlin war eine Fortsetzung dieser Entwicklung. Defensiv kompakter wollte man mit einem 4-1-4-1 stehen, was dazu führte, dass man im Grunde in den ersten 20 Minuten wieder den VfB der letzten 2 Jahre sah - fahrig in der Defensive, konfus im Spielaufbau und in der Offensive. Erst nach dem Ausgleich begann man noch einmal mit Leidenschaft das Zorniger System mit offensivem Pressing zu leben.
Spätestens aber nach dem Rückstand in der Nachspielzeit der ersten Hälfte war endgültig ein Bruch im Spiel des VfB zu erkennen. Die Offensiv-Bemühungen waren fortan in der zweiten Halbzeit uninspiriert und kopflos, die Gesten und Mienen der Spieler drückten Unverständnis und teilweise auch Resignation aus. Und selbst die Aussagen einiger Spieler wie zum Beispiel Florian Klein nach dem Spiel ließen die Vermutung aufkommen, dass man intern erste Zweifel an der Kompetenz des Trainers besitzt und eine plötzliche Umkehr in der Spielausrichtung kritisch sieht.
Zwickmühle bei Kostic und Didavi
Zorniger verfügt nicht mehr über viele Gelegenheiten, der Mannschaft den Glauben an eine erfolgreiche Umsetzung seiner Spielidee zu vermitteln. Er wird gut beraten sein, negative Strömungen im Team schnell zu identifizieren und mögliche Querulanten ruhig zu stellen. Filip Kostic scheint ein solcher Spieler zu sein, da er zum einen unzufrieden mit seiner Rolle im Spielsystem ist und zum anderen noch immer dem Schalker Angebot hinterher trauern dürfte.
Auch Didavi zeigte sich in Berlin in der 2. Halbzeit lustlos und frustriert. Zorniger kann es sich nicht leisten, diese Leistungsträger demotiviert den Erfolg der Mannschaft gefährden zu lassen. Aufgrund ihrer Qualitäten kann er aber auch eigentlich nicht auf die beiden verzichten. Hier muss sich zeigen, ob Zorniger nur Taktik-Fuchs oder auch Psychologe ist. Fußball ist aber zuallererst Tagesgeschäft und bleiben zählbare Resultate weiterhin aus, wird der Trainer das Vertrauen der Mannschaft verlieren. Dieser Zeitpunkt scheint nicht mehr fern.
Der Manager
Robin Dutt versucht indessen die Wogen zu glätten und attestiert Zorniger keine Umkehr von seiner offensiven Ausrichtung. Nur "kleinere Korrekturen" wollte er erkannt haben. Dutt weiß um die Brisanz der aktuellen Situation. Zorniger verliert in der Öffentlichkeit bereits den Kredit eines Branchen-Neulings und die Mannschaft bekommt erste Zweifel an der Umsetzung des Masterplans. Dutt kann es sich daher gar nicht erlauben, erste Zweifel an der fachlichen Kompetenz seines Trainers aufkommen zu lassen.
Zudem hat es Dutt in der Vergangenheit bereits sehr gut verstanden, Interna auch von der Öffentlichkeit fern zu halten. Dabei darf man dennoch davon ausgehen, dass der Sportmanager Dutt als Ex-Trainer sicherlich auch eine Meinung zum Zorniger-System besitzt und diese intern auch sicher äußert.
Problemzone Abwehr
Der Ausfall von Timo Baumgartl drückte erneut Adam Hlousek in die Mannschaft und dieser bleib den Nachweis seiner Bundesliga-Tauglichkeit zum x-ten Male schuldig. Toni Sunjic spielte indessen einen soliden Innenverteidiger und konnte sogar den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielen, aber einmal mehr wurde deutlich, dass die Defensive nur eine stark eingeschränkte Ligatauglichkeit besitzt.
Dutt hatte mit Philip Heise und Emiliano Insua zwar die Lücke auf der linken Seite geschlossen, aber mit Sunjic lediglich für einen Ersatz von Rüdiger gesorgt, der zudem auch erst sehr spät zur Mannschaft gestoßen ist. Mindestens ein weiterer Innenverteidiger von internationaler Klasse wäre notwendig gewesen, um Stabilität in die Defensive des VfB zu bekommen. Hlousek ist maximal eine Notlösung, Baumgartl muss immer noch viel lernen und dass sich Hlousek gegen Niedermeier durchsetzen konnte, spricht für sich und gegen Niedermeier.
Versäumter Schritt bei Transfers
Dutt hätte bereits zu Saisonbeginn in die Transferoffensive gehen müssen. Dabei hätte man für einen Spieler der Marke Hector Moreno zur Not auch noch mal über seine finanzielle (Gehalts-)Schmerzgrenze gehen müssen. Vermutlich kann man Top-Spieler aktuell nur mit einem hohen Gehalt davon überzeugen, zu dem sportlich wenig attraktiven VfB zu wechseln.
Aber genau diesen Schritt hat der Sportdirektor versäumt. Stattdessen bemühte sich Dutt, beim Transfer von Rüdiger eine möglichst hohe Ablöse zu erzielen. Somit erschien dem VfB das Wolfsburger Angebot in Höhe von 12 Mio. Euro zu Beginn der Transferperiode zu niedrig. Man erteilte den Wölfen eine Absage und hoffte auf höhere Millionenbeträge aus London oder Madrid. Die Operation von Rüdiger machte schließlich allen Parteien einen Strich durch die Rechnung.
Dass man den Spieler erst gegen Ende der Transferperiode für ca. 13 Mio. Euro nach Rom ziehen ließ und einen Großteil dieser Ablöse auch erst im kommenden Jahr erhält, wirft ein negatives Licht auf das Verhandlungsgeschick von Dutt. Zumindest hat dieser sich in der Personalie Rüdiger gründlich verzockt.
Licht und Schatten im Sommer
Bei der Verpflichtung der beiden Torhüter bewies man zumindest bei Przemyslaw Tyton unter Berücksichtigung von dessen ersten vier Pflichtspielen kein gutes Händchen. Dass sich Mitch Langerak gleich zu Saisonbeginn schwer verletzte, war dagegen einfach Pech. Auch an dem Weggang von Ulreich trifft Dutt keine Schuld, da die Initiative für einen Wechsel vom Spieler selbst ausging. Die Verpflichtungen von Kliment, Sunjic, Insua, Kruse, Rupp und Heise sind derzeit schwer zu beurteilen. Auf ein höheres Niveau hat den VfB bislang aber keiner dieser Spieler gebracht, was bei den finanziellen Möglichkeiten des VfB aber auch nicht zu erwarten war.
Bei den Transfers von Spielern wie Abdellaoue, Sakai, Sararer, Kirschbaum, Rausch und Ibisevic hat Dutt offensichtlich einen sehr guten Job gemacht, da man sich von ihnen schnellstmöglich trennen wollte. Dies relativiert sich aber insofern, als dass man für all diese Spieler insgesamt 1,3 Millionen Euro an Ablöse erzielen konnte, aber zusätzlich für Ibisevic 1 Million Euro an Gehaltskosten übernehmen musste. Eine niedrigere Summe soll auch bei Rausch als Abfindung gezahlt worden sein.
Ein großes Lob muss man Dutt aber sicherlich dafür zollen, dass er sich gegen einen Verkauf von Kostic und Didavi ausgesprochen hat. Ob sich dies im Nachherein als Bumerang erweist, weil diese beiden Spieler ihrer Unzufriedenheit über die geplatzten Wechsel freien Lauf lassen, muss man abwarten. Ein Verkauf der beiden Spieler hätte aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die brisante sportliche Situation noch einmal zusätzlich verschärft.
Die Mannschaft
Mit viel Selbstvertrauen, aber auch nach vielen Diskussionen um mögliche Abgänge von Alexandru Maxim, Martin Harnik, Daniel Ginczek, Didavi und Kostic startete man in die Saison. Die Spiele in der Vorbereitung stärkten den Glauben an eine erfolgreiche Umsetzung der Trainerphilosophie. Und selbst nach den ersten beiden verlorenen Bundesliga-Partien war man noch von der eigenen Stärke überzeugt und zuversichtlich, den Bock in den kommenden Partien umstoßen zu können. Aber die individuellen Fehler nehmen kein Ende und die Protagonisten des "major mistake" wechseln von Spieltag zu Spieltag.
Ob es Klein oder Tyton mit ihren Roten Karten sind, ein Hlousek mit Patzern im Zweikampf und Eigentor oder ein Harnik mit eklatanten Fehlschüssen - das Resultat ist jedes Mal niederschmetternd. Der Frust äußert sich besonders deutlich bei Spielern wie Didavi und Kostic. Frustfouls, Gesten und Mimik lassen keinen anderen Schluss zu, als dass diese beiden lieber heute als morgen dem aktuellen Grauen den Rücken kehren würden.
Die jüngste Entwicklung macht auch vor einem Ginczek nicht halt. Gegen Köln, Frankfurt und auch jetzt gegen Berlin vergab er große Torchancen, die seinem Nationalmannschaftsanspruch eindeutig widersprechen. Harnik und Werner sind weitere Verlierer. Auffällig ist dabei aber, dass beide in ihren Nationalmannschaften zeitgleich gute Auftritte hinlegen, diese Leistungen aber beim VfB nicht abrufen können.
Erfahrene Stütze? Fehlanzeige!
Selbst Serey Die ließ sich gegen Berlin von der Nervosität des Teams anstecken und leistete sich auffällig viele leichte Ballverluste. Einen Gewinner kann man in der aktuellen Lage beim besten Willen nicht ausmachen. Vielleicht kann Sunjic der Verteidigung in den kommenden Wochen mehr Stabilität verleihen. Auch eine Rückkehr von Langerak könnte möglicherweise mehr Sicherheit bringen, aber das allein wird zu wenig sein.
Enttäuschend ist vor allem die Leistung von Christian Gentner, der der Mannschaft mit viel Einsatz, aber wenig Struktur als Kapitän einfach nicht helfen kann. Die Alternativen von der Bank wären Kliment und Maxim, die aber leider beide keine große Rolle beim Trainer spielen.
Ausblick
Einer Trainerdiskussion folgt bekanntlich recht schnell auch eine Managerdiskussion. Und genau das braucht der VfB Stuttgart gerade überhaupt nicht. Dies wäre nämlich eine Diskussion, die sämtliche Dominosteine zum Kippen bringen könnte.
Fällt der Trainer der sportlichen Situation zum Opfer, muss sich auch Dutt hinterfragen lassen, der sich massiv für Zornigers Verpflichtung eingesetzt hat und der dafür zuständig war, diesem eine adäquate Mannschaft für dessen Spielphilosophie zusammenzustellen. Am Ende würde auch Präsident Bernd Wahler in der Kritik stehen, der Dutt als den Mann seines Vertrauens auserkoren hatte und der dann nach Fredi Bobic bereits den zweiten Sportmanager verschlissen hätte.
Vieles steht und fällt daher mit den Spielen der Englischen Woche. Kann man auch in den kommenden Partien gegen Schalke, Hannover und Gladbach nicht punkten, wird die Demissionierung von Zorniger kaum noch aufzuhalten sein. Dutt hat dann nur noch eine Patrone - nämlich die eines neuen Trainers.
Der VfB Stuttgart im Überblick