"Ich habe das freie Surfen geliebt, das Rausfahren mit den Jungs. Jetzt ist es nicht mehr das Gleiche", sagte der dreimalige Surf-Weltmeister Andy Irons im Mai 2010. Ein halbes Jahr später war er tot, ein Drogen- und Medikamenten-Mix hatte zu einer verstopften Arterie geführt, die einen Herzinfarkt ausgelöst hatte.
Irons war 32, er hinterließ seine hochschwangere Frau Lyndie. Mit ihm starb der Traum einer wilden Sportart, die unendliche Freiheit geben konnte und dafür keinen Tribut forderte - bis heute ein Tabu-Thema.
Irons stand auf einem Surfbrett, seitdem er denken konnte. Er wurde 1978 in Kaua'i auf Hawaii geboren. Sein Vater war zu dieser Zeit ein bekannter Surfer. Einer der Pioniere, die nach Freiheit strebten, die ihre Bretter selbst bauten und die abends gemeinsam mit den Surfern von der Ostküste oder Europa Lagerfeuer machten und Marihuana rauchten.
Irons konnte kaum laufen, als sein Vater ihn zum ersten Mal mitnahm. Und fortan wurde er zu einem Kind des Wassers. Er und seine Freunde surften von frühmorgens, bis die Sonne unterging und die Strände an der Pazifikküste in rotes Licht tauchte. "Ich erinnere mich, dass mein Vater so stolz war, als ich aufstand und eine ganze Welle ritt", erinnerte sich Irons später.
Ein absolutes Naturtalent
Früh war klar, dass er ein absolutes Naturtalent war. Einer, dem das Reiten der Wasserberge im Blut liegt. Während seine Kumpels sich mit den kleineren Wellen begnügen mussten, durfte Irons mit den Großen der Surf-Gang "Wolfpak" surfen.
"'Hey kleiner Scheißer, was willst du hier', fragte mich einer der Neuen.", beschrieb Irons die Situation in der Dokumentation "Blue Horizon". "'Eine Welle', sagte ich und dann surfte ich die ganze verdammte Welle und baute extra schwierige Turns ein, um ihn zu beeindrucken und Gott, er war verdammt beeindruckt"
Irons wurde älter und mit ihm wuchs das Geschäft zu einem milliardenschweren Business, das Glücksritter, Agenten und jede Menge Abenteurer nach Hawaii spülte.
Ein Potpourri langhaariger Männer erlag der Faszination des Surfens. Surf-Shops schossen aus dem Boden, Wettbewerbe wurden kreiert, wilde Parties von Sponsoren geschmissen. Das Wilde, das Freie begann sich mit dem Kommerziellen zu vermischen. Und Irons liebte es.
Nichts auslassen, alles mitnehmen
"Ich surfe, weil Kelly Slater es tat. Für die Mädchen. Für die coolen Autos. Für den Hype. Bis ich erkannte, dass all das nur Sachen sind", so Irons später. Bis zu dieser schweren Erkenntnis aber kostete er das Leben aus. Die Mädchen liebten ihn wegen seines Lächelns und seiner leuchtenden blauen Augen. Wegen seiner flotten Sprüche, wegen seiner unbändigen Lust auf das Leben . Nichts auslassen, alles mitnehmen. Danach lebte der junge Irons, der bis ins Morgengrauen feierte und dann direkt ans Meer ging, wo er im Morgengrauen surfte und sich unendlich frei fühlte.
Und die Männer bewunderten ihn, weil er buchstäblich surfte, wie nicht von dieser Welt. Es sah so locker aus, wenn er durch die Barrels glitt, mit leicht angewinkelten Knien und braungebrannt. Es hatte etwas Arrogantes, wie der Teenager sich auf dem Board bewegte, wie er auf den Wellendruck reagierte und das Wasser schließlich bezwang.
Wobei das Wort "bezwingen" seinem Stil nicht gerecht wird. Er machte sich die Wellen nicht nach einem mühevollen Kampf Untertan, er sah die Welle immer als gleichgestellte Partnerin, mit der er tanzte. Und wie er tanzte: wie ein Wahnsinniger, der nur noch diesen einen Tanz hat.
Sein besonderer Tanzstil blieb auch den Weltmarken nicht verborgen. Billabong nahm ihn unter Vertrag, später Red Bull. Er stieg zur Insel-Berühmtheit auf. Seine Sponsoren statteten ihn mit allerhand Dingen aus, die er seinen begeistern Klassenkameraden mitbrachte. Die Schule interessierte ihn dabei nie. "Ich werde Profi-Surfer", sagte er immer wieder, wenn seine Lehrerin ihn ermahnt hatte.
Mit 20 in der Elite
Bald surfte er auf der Nachbarinsel Oahu, weil es dort den Surfer-Traum von einer Welle, genannt "Pipeline", gab. Immer, wenn am Horizont die Konturen einer besonders perfekten Welle heranrollte, machten sie alle, egal ob alt oder jung, Andy Platz und er durfte die Welle surfen, während der ganze Strand jubelte.
Mit 17 gewann er in der Pipeline seinen ersten Profiwettbewerb, wenig später erschien das erste Porträt über den Teenager, das ihn lächelnd, jung und naiv zeigt. "Der Junge, der Geschichte schreiben wird", hieß es - und für Irons ging es auf Welttour, also auf in den elitären Surf-Kreis, von dem er immer geträumt hatte und für den sich nur knapp 50 Surfer qualifiziert hatten - weltweit wohlgemerkt.
1998 ging es los und Irons war wie im Rausch. Er surfte in der Sonne von Kalifornien, vor den Malediven, in Südafrika. Er war ein Star, bald kannte ihn jeder. "Er suchte das Risiko mehr als jeder andere. Er wagte Sprünge, die wir alle noch nie gesehen hatten", erinnert sich Irons' Landsmann und Weltmeister von 2000, Sunny Garcia. Und so tourte er um die Welt, die Preisgelder waren horrend, die Sponsoren liebten ihr neues Juwel. Er schaffte es ins Finale der knallharten Welttour, bei der jede Niederlage das Ausscheiden bedeutet. Der Ort? Ausgerechnet die Pipeline.
Erster Rückschlag
Es war ein stürmischer Tag, die Wellen türmten sich wie Berge auf und brachen tosend. Der Athlet vor ihm brach ab, zu unberechenbar erschien ihm die Gewalt dort draußen. Nicht so Irons. Alles mitnehmen, dachte er und paddelte raus. Am Horizont bahnte sich ein Monstrum an, während am Strand die in Windcapes gehüllten Fotografen wild drauf los klickten. "Es war Wahnsinn", so Garcia.
Doch Wahnsinn gab es für Irons nicht. Nur ihn, das Board und den bevorstehenden Tanz mit der Welle. Seine Tanzpartnerin ließ ihn im Stich und schmetterte ihn vom Board, das in 4 Stücke zerrissen wurde.
Irons kam mit einer Prellung davon, dennoch plagten ihn am Abend dunkle Gedanken. Die Welle hatte ihn im Stich gelassen, ausgerechnet die Pipeline, die er tausend Mal gesurft war. Es gab für Irons kein Scheitern, kein Limit: "Für mich ist Scheitern, nicht alles aus seinem Potenzial gemacht zu haben". In den nächsten Wochen vergingen die Gedanken an den "härtesten Wipeout" seines Lebens und er tourte weiter durch die Welt.
Popstar-Leben mit Schattenseiten
Irons wurde zum Superstar der Szene. Bald war er über die Grenzen der Surfwelt hinaus bekannt. Sein Gesicht prangte an Türen von Teenagern in Illinois, Toulouse oder Sydney. Er war längst eine Marke, deren Gesicht von Schuhkartons und Getränkedosen grinste. Er war noch keine 22 und schon der Star von Billabong. Er war Andy Irons, der immer grinsende Sunnyboy, der das Traumleben in den Meeren dieser Welt lebte.
An seinem 21. Geburtstag trank er sich ins Koma und musste reanimiert werden, was erst nach dem fünften Versuch gelang. Auf den glitzernden Wellen ein unsterblicher Held, auf dem tristen Grau des Festlands ein Mensch, der versuchte, die Täler, in die er schon damals fiel, wenn der Rausch des Meeres wich, mit Alkohol und Drogen zu kompensieren. Eine Woche später war er auf einer Galaveranstaltung - und war wieder kurz vor der Besinnungslosigkeit. "Andy konnte nicht aufhören, er war eine Alles-oder-nichts-Persönlichkeit", sagte der Surfmanager Quirin Rohleder dem Spiegel.
Billabong, seit 2000 an der australischem Börse notiert, tat den Vorfall als Bad-Boy-Aversion eines mit dem Risiko verheirateten Popstars ab. Das Verschwimmen von Partys in den nie endenden Sonnenuntergängen dieser Welt und des alarmierenden Drogen-Missbrauchs eines mit dem Ruhm überforderten jungen Mannes erkannte niemand.
Wie auch? Irons wurde immer besser, er passte seinen Stil an, fuhr ein bisschen pragmatischer als in seinen wilden Teenager-Jahren und war bald Nachfolger des sechsfachen Weltmeisters und seines Vorbildes Kelly Slater. Slater hatte sich 2000 aus dem Surfsport zurückgezogen, um für seinen krebskranken Vater zu sorgen. Er hatte alles gewonnen, was es zu gewinnen gab, sein Ehrgeiz war heruntergebrannt.
Weltmeisterliche Duelle mit Vorbild Slater
So konnte der Thronfolger Irons sich 2002 zum ersten Mal auf den Weltmeister-Thron setzen und die Krone aufsetzen, von der er sein ganzes Leben geträumt hatte. Die Fotografen zelebrierten seinen Siegeszug mit tausenden von Bildern, die das schrille Leben auf den Stationen der Tour zeigen. Mädchen, die oben ohne in Pools Champagner trinken. Strahlende Fans, die "A.I."-Kappen tragen. Yachten, auf denen die jungen Surfer thronen wie Herren der Meere. Und mittendrin: Andy Irons. Alles mitnehmen, nichts auslassen und zwischendrin surfen wie nie jemand vor ihm.
2003 feierte Ikone Kelly Slater ein umjubeltes Comeback und während der Worldtour entbrannte zwischen ihm und Irons ein erbitterter Zweikampf, der die ganze Welt elektrisierte. Die Medien stürzten sich auf das Duell, das später auch Slater als "ganz besonders" betitelte. Seinen letzten Titel 2011 widmete der heute elffache Weltmeister Irons: "Wir waren nie Feinde. Andy war immer mein Antrieb, er fehlt mir."
Slater: "Ich bin so dankbar"
Hier war Irons, der Sunnyboy mit der verspiegelten Brille, der Partys liebt, der so surft, als würde es um sein Leben gehen. Dort Kelly Slater, Profi durch und durch. Der Amerikaner sah seinen Sport auch als solchen an. "Ich bin so dankbar, dass ich mit meiner Leidenschaft Geld verdienen kann", sagte er.
Hier der Emporkömmling, bisher ohne Titel, der als zukünftiger bester Surfer der Welt galt, dort der Ex-Champion, der, obwohl auch erst 31, bereits alles gewonnen hatte. Hier der entfesselt surfende Irons, den die Teenager-Girls anbeten, dort der kontrollierter surfende Slater, dem die einen Tick älteren Frazun zu Füßen liegen und der Beziehungen mit Pamela Anderson und Gisele Bündchen hatte oder noch haben würde.
Die Traumfabrik bekam drei spannende Jahre, in denen Slater und Irons ihr den Zweikampf gaben, auf den sie alle gehofft hatten und der sogar das massentaugliche Fernsehen anlockte. 2003 und 2004 triumphierte Irons, 2003 erst im letzten Wettkampf. Das Bild von Slater, wie er unter der Dusche bittere Tränen vergießt, ging um die Welt.
Während Irons mit Alkhol-Eskapaden für Schlagzeilen sorgte, tat Slater dies neben seinen schauspielerischen Leistungen in der Baywatch-Serie, indem er behinderten Kindern Unterricht gab. "Die Rollen sind gut verteilt", sagte Irons. "Kelly ist der Golden Boy, ich bin der Bad Boy. Wenn ich am Ende auch noch der Verlierer bin, weint mir niemand nach. Ich trete ab und bin weit weg, bis mich auch der Letzte vergessen hat."
Der tiefe Fall
Als hätte er eine düstere Vorahnung gehabt, kippte sein Popstar-Leben 2005, als Slater ihn schlug und mit einer dicken Zigarre und einer noch dickeren Flasche Champganer im Pool sein Sieger-Interview gab. Währenddessen stand Irons alleine am Strand und weinte, dass er den Tanz mit den Wellen verloren hatte. Seine Freunde, die Parties, all das war weit weg. Es gab nur ihn, die Niederlage und die tiefe Einsamkeit.
2006 wurde er wieder nur Zweiter, 2007 wollte er sich aus dem Profi-Betrieb zurückziehen, nur ein millionenschwerer Vertrag mit Billabong verhindert das. Es ging um viel Geld, Irons war auch bei Misserfolg das Zugpferd des Unternehmens. "Man kann Billabong keinen Vorwurf machen. So funktioniert das Geschäft", sagt Irons' Freund Saa Ginlack.
Zu dieser Zeit war er längst drogensüchtig. Alkohol und immer häufiger Oxycodon-Tabletten pumpte er in seinen Körper. Die kleinen Opiate wurden zu seinen Gefährten, in den vielen durchwachten Nächten, die ihn wegen anhaltender Schlaflosigkeit plagten. Sie minderten seine Schmerzen und wirkten in den Klub-Nächten, in denen alle an ihm zerrten, alle ein Stück "A.I." haben wollten, euphorisierend. Dann wich die Dunkelheit aus seinem Gemüt und er tanzte ausgelassen im fluoreszierenden Neonlicht der Unterhaltungs-Maschinerie.
Doch es gab auch die vielen Tage, wenn die Drogen ihm nicht zur Flucht verhelfen. Dann lag er da und starrte die Decke an, unfähig sich zu bewegen. Oxycodon kann Depressionen auslösen und verstärken - ein Teufelskreislauf. Dies alles geschah unbemerkt von den Objektiven der Öffentlichkeit. Weiter wurde er abgelichtet, sein verwegenes Grinsen blieb auf den Bildern, seine nassen Haare, seine euphorischen blauen Augen. War er nicht auf dem Meer, war da nur noch stumpfe Sinnlosigkeit.
Bald galt er vielen als gefallener Held, die Jüngeren kennen ihn nicht mehr, er wird, wie er selbst prognostiziert hatte, vergessen. Sein Konterfei erschien nur noch in Fach-Zeitschriften, das Geschäft drehte sich ohne ihn weiter, neue Champions werden von der Branche zu Aushängeschildern modelliert.
Ein letztes Mal
Erst 2009 nahm er sich eine Auszeit vom verzehrenden Surf-Zirkus. Doch er kam an Land nicht klar, vermisste das Gefühl sich mit den Besten der Welt zu messen und vermisste seine Tanzpartnerin, die ihm so viele Millionen eingebracht hat. Er konnte nicht mit dem Surfen, aber noch weniger ohne. 2010 stieg er mit einer Wildcard wieder ein, die Branche nutzt ihn neuerlich als medialen Verstärker.
Im Sommer 2010 gewann er auf Tahiti noch einmal, blickte strahlend vom Podest, um seinen Hals eine Blumenkette. Wenige Monate später war er tot. Er starb alleine in einem Hotel-Zimmer in Dallas, weit weg von seinen Wellen. Er war auf dem Weg zu seiner hochschwangeren Frau gewesen.
Sein Begräbnis wird zum Spektakel. Tausende surfen aufs Meer hinaus, der Strand funkelt in einem bunten Blumenmeer und unzähligen Kerzen. Die Witwe Lyndie schüttet unter tausenden Augenpaaren und wie wild abgelichtet von der nimmersatten Presse Andy Irons' Asche ins Meer, wo seine Überreste zum letzten Mal mit den Wellen tanzen, ehe sie verschwunden sind.
Die Branche schweigt
Seine inneren Dämonen wurden weiter verschwiegen, die Familie verweigerte Einsicht in den Obduktionsbericht, sagte er sei an in Portugal eingefangenem Dengue-Fieber gestorben. Und auch die Branche schwieg.
Man wollte sich nicht eingestehen, dass unter dem glitzernden Teppich der leuchtenden Wellen, Palmen und Cocktails etwas Dunkles schlummert: Leistungsdruck, die Erwartung, immer Gewagteres zeigen zu müssen, Drogen, Depressionen.
Denn der freie Surfsport ist eine romantische Illusion. Längst ist er ein Milliarden-Geschäft, die Ritter der Wellen die Marionetten einer Maschinerie, deren Treibstoff gedruckte Scheine sind. Und das soll kein Vorwurf sein, sondern nur eine Tatsache.Frei war Andy Irons nur in den Tagen seiner Jugend, als er mit seinen besten Freunden einfach rauspaddelte, wartete, die Welle herannahen sah und dann leidenschaftlich mit ihnen tanzte und dabei pures Glück empfand, das keinem Fotografen, keinem Kontrahenten, keinen Fans, das niemandem anderes gehörte. Sondern ihm ganz allein.