Blickt man derzeit auf die Tabelle der 2. Bundesliga, dann fällt auf, dass im oberen Drittel unter anderem mit dem SC Freiburg, RB Leipzig oder dem 1. FC Nürnberg bekannte Namen und Aufstiegsfavoriten platziert sind. Doch auf Platz 5, mit nur einem Zähler Rückstand auf den Relegationsplatz, befindet sich der SV Sandhausen.
Ohne den Punktabzug (3 Zähler aufgrund von Lizenzverstößen) wäre die Mannschaft von Trainer Alois Schwartz sogar auf genau jenem 3. Platz. Die Sandhäuser starteten furios mit neun Punkten und 13 Toren aus den ersten drei Spielen - und die -3 Punkte zum Start waren schnell vergessen.
Realismus in der Kleinstadt
Die Teams an der Spitze der 2. Bundesliga liegen - abgesehen von Freiburg und Leipzig - wirklich sehr eng beieinander, mit einer Serie können, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn, einige Plätze sehr schnell überbrückt werden. Ein Absturz droht der Mannschaft aus der kleinen Stadt 10 Kilometer südlich von Heidelberg aktuell aber nicht. Dem SVS gelingt es sehr konstant zu punkten, unter anderem schlug man die ebenfalls im Aufstiegskampf befindlichen Teams vom FC St. Pauli und Eintracht Braunschweig.
Eine euphorische Betrachtung der Situation oder gar aufkommendes Aufstiegsfieber findet man in der 15.000-Einwohner-Stadt allerdings nicht. Die Dinge werden weiterhin zurückhaltend betrachtet, die 40-Punkte-Marke ist das erklärte Ziel - dann "sehe man weiter."
Diese Floskel hört man im deutschen Fußball häufig, gerade wenn Trainer die Erwartungshaltung gering und die Unbekümmertheit aufrechterhalten wollen. Manchmal brechen Mannschaften, die eine ähnliche Entwicklung wie der SV Sandhausen durchlaufen haben, in der Tat noch ein - aber gerade das Beispiel Darmstadt 98 aus der letzten Saison zeigt, dass vieles möglich ist, wenn eine Mannschaft langfristig ein wenig unterschätzt wird.
In dieser Spielzeit sind einige Mannschaften in der oberen Tabellenhälfte, die sehr schwankende Leistungen abrufen und nicht zwingend mit Konstanz punkten können. Gerade Bochum, Fürth oder Kaiserslautern patzen regelmäßig und haben offensiv oder defensiv zahlreiche Probleme, während Sandhausen seinen schnörkellosen Spielstil permanent durchziehen kann.
Effizienz als Erfolgsmerkmal
Die Mannschaft von Trainer Alois Schwartz gibt sich flexibel, agiert dabei jedoch meist in einer 4-2-3-1-Grundformation, wobei mit Andrew Wooten auf der rechten Seite ein Spieler aufgeboten wird, der sich häufig auch mal in das Sturmzentrum begibt und dort für Torgefahr sorgt. Wie viele Zweitligisten spielen auch die Sandhäuser gerne auf Konter, die Defensive und Effizienz machen gegenüber dem grauen Mittelfeld der Liga jedoch den Unterschied aus.
Die taktischen Feinheiten wurden in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. Schwartz, der seit Saisonbeginn 2013 im Amt ist, drehte permanent an den nötigen Stellschrauben und entwickelte eine Truppe bestehend aus wenigen namhaften Akteuren schnell zu einem sehr unangenehmen Gegner.
Sandhausen beherrscht ein über nunmehr 2 Jahre immer weiter verbessertes Pressing, das aus einer guten Defensivordnung gespielt wird. Die beiden offensiven Flügelspieler ziehen sich gerne recht weit zurück und ein Spieler aus dem Zentrum rückt situativ vor, um den Gegner schon im Aufbau unter Druck zu setzen. Gleichzeitig werden die Räume eng gemacht, das Risiko bleibt durch dieses wenig aggressive, aber durchaus effektive Pressing gering.
Simpel, aber erfolgreich
Bei Ballgewinn sind vor allem die Außenspieler Kosecki und Wooten gefragt, die aus ihrer defensiveren Grundordnung schnell umschalten und nach vorne agieren müssen. Dieses Umschalten funktioniert bislang außerordentlich gut. Mit 26 Treffern stellt Sandhausen nach Freiburg (36), Nürnberg (31) und Union Berlin (27) die viertbeste Offensive der Liga.
Im Spielaufbau ist der SVS drauf bedacht, relativ simpel zu agieren. Besonders Linsmayer kippt immer wieder ab und baut das Spiel aus der Tiefe heraus auf, allerdings werden oft einfache, kurze Bälle langen Pässen in die Spitze vorgezogen, um kein allzu großes Risiko zu gehen.
Das Passspiel bei eigenem Ballbesitz ist ordentlich, allerdings mangelt es dem Zweitligisten doch immer wieder an Kreativität. Kratz, Roßbach oder Linsmayer sind eher laufstarke, defensivorientierte Spieler, die den Ball schnell zum nächstbesten Mitspieler transportieren, anstatt das Spiel wirklich zu dirigieren. Kosecki oder Thiede als Linksaußen müssen daher häufig das Dribbling suchen, um eine Chance zu kreieren, denn über Spielmacher Zillner kann nicht jeder Angriff laufen.
Immerhin schaltet sich Linsmayer, der bislang in allen 16 Spielen auf dem Feld stand, immer wieder in die Offensive ein und setzt so auch am gegnerischen Sechzehner Akzente. Bisher hat der 24-Jährige, der am Wochenende im Spiel gegen Greuther Fürth gelbgesperrt fehlen wird, 3 Tore und 2 Vorlagen auf seinem Konto.
Strategie als Konstante
Ansonsten erkennt man wenige taktische Besonderheiten beim SVS. Die Sandhäuser beherrschen ein 4-4-2, ein 4-2-3-1 und ein 4-1-4-1 und können aufgrund der flexibel einsetzbaren Spieler auch mal während einem Spiel das System wechseln. Die Strategie des Teams bleibt dabei jedoch praktisch immer die gleiche: Sofern man nicht klar zurückliegt, zieht man das eigene, langfristig entwickelte Spielkonzept durch - und das mit Erfolg.
Die Mannschaft strahlt in nahezu jeder Phase des Spiels eine besondere Ruhe aus und wirkt immer auch mental auf der Höhe. Außerdem wissen die Spieler genau, was sie können und dass sie ihre etwaige individuelle Unterlegenheit durch Laufstärke, taktische Disziplin und Teamwork kaschieren können, gerade weil dies in der Vergangenheit schon häufiger funktioniert hat.
Trotz allem ist im Kader natürlich auch eine gewisse individuelle Klasse vorhanden. Die Innenverteidigung aus Kister und Hübner ist sehr gut eingespielt, beide können sich blind aufeinander verlassen. Die Außenverteidiger agieren sehr diszipliniert, vor allem Paqarada setzt häufig offensive Akzente und beherrscht gefährliche Hereingaben. Auf der Außenbahn sticht der trickreiche Kosecki hervor, Wooten hat bereits 6 Tore erzielt und Mittelstümer Bouhaddouz steht bei 9 Scorerpunkten (6 Tore, 3 Vorlagen) in lediglich 10 Ligaeinsätzen.
Der Vater des Erfolgs
Einen großen Anteil an der Erfolgsgeschichte trägt dennoch sicherlich der Trainer. Im Sommer 2013 übernahm Schwartz den Verein, nachdem die Mannschaft in der vorherigen Saison mit lediglich 26 Punkten eigentlich aus der 2. Liga abgestiegen wäre. Aufgrund des Lizenzentzuges für den MSV Duisburg hielt man trotzdem die Liga, Schwartz veränderte den Kader und entwickelte sofort eine neue Strategie.
Unter anderem wechselten Kübler, Kulovits, Kister, Thiede oder Jovanovic ablösefrei zum kleinen Verein aus Sandhausen. Die Teamchemie stimmte von Beginn an, Platz 12 mit 44 Punkten, also ein souveräner Klassenerhalt am Ende der Saison 13/14, war der verdiente Lohn für harte Arbeit, ein durchdachtes Konzept und Spieler, die immer wieder über sich hinauswuchsen.
Der 48-jährige Schwartz, der in seiner Profilaufbahn unter anderem für die Stuttgarter Kickers, den MSV Duisburg und Rot-Weiß Essen aktiv war, gilt als ruhiger und besonnener Trainertyp, der sich in Interviews immer als sachlicher und angenehmer Gesprächspartner präsentiert. Schwartz ist zielstrebig und weiß ganz genau, was seine Mannschaft kann und was mit ihr nicht möglich ist. Anhand dieser Grundlage feilt er permanent am Spielstil seiner Mannschaft, außerdem scheint er gegen jeden Gegner ein paar besondere Kniffe parat zu haben, seine Fähigkeiten im taktischen Bereich sind definitiv nicht zu vernachlässigen.
In dieser Saison hat der Trainer es geschafft, eine sehr homogene Truppe zusammenzustellen, die auch menschlich sehr gut miteinander auskommen kann. Schwartz' Vertrag läuft noch bis 2018, ein Abgang ist aktuell zwar noch kein Thema, allerdings wird der Name des Sandhäuser Trainers bereits jetzt häufig als Kandidat bei Vereinen ins Gespräch gebracht - auch eine Klasse weiter oben.
Der lachende Dritte?
Der Aufschwung des SV Sandhausen ist auf viele Gründe zurückzuführen. Die Mannschaft ist personell stabil und scheint für die kommenden Jahre sehr gut aufgestellt zu sein. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass ein eher unscheinbarer Verein durchaus die Möglichkeit hat, in das Aufstiegsrennen einzugreifen, denn viele Experten warten auf einen Einbruch, der manchmal eben doch nicht eintritt.
Sollte Sandhausen im Laufe des Jahres 2016 den Rückstand auf Platz 3 in einem geringen Rahmen halten, ist es durchaus denkbar, dass man am Ende als lachender Dritter plötzlich die Relegation spielt. Ausschlaggebend wird sein, ob die Mannschaft weiterhin so konzentriert, stabil und vor allem auch effektiv spielen kann.
Das letzte Spiel der Hinrunde tragen die Sandhäuser am Freitag um 18.30 Uhr im 15.000 Zuschauer fassenden Hartwaldstadion gegen den Siebtplatzierten aus Fürth aus. Das Überraschungsteam könnte am Anfang des Wochenendes somit mal wieder vorlegen. Mit einem Sieg würden nicht nur die Fürther distanziert, sondern zusätzlicher Druck auf die anderen Aufstiegskandidaten ausgeübt werden - denn der SVS würde mal wieder vom Relegationsplatz grüßen.
Der SV Sandhausen im Überblick