Ein Drama in drei Akten

Von Anno Haak
Bastian Schweinsteiger (l.), Arjen Robben (M.) und Philipp Lahm holten den Meistertitel
© getty

Die Saison der Bayern ist vorüber. Noch vor dem Champions-League-Finale. Der Rekordmeister hat nur einen Titel gewonnen. Ein verlorenes Jahr unterstellen die Kritiker dem FCB. Doch stimmt das auch? Die Antwort: Ein klares Nein.

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Da ist das Ding. Nur das Ding. Nur das eine Ding. Bayern ist Single, Bayern gewinnt das Single. Die Pötte für die Untertasse mit den hässlichen grünen Steinen, die sie Salatschüssel nannten, als ihr Gewinn noch etwas bedeutete, werden in den nächsten Tagen und Wochen in Berlin verteilt. Auf Münchener Fußballtouristen wird Deutschlands Hauptstadt verzichten müssen. Sie wird es überleben wie München das Single.

Die Nachricht hinter "Single" heißt: NUR die Meisterschaft. Einzig die Meisterschaft. Die mit diesem Kader selbstverständlich ist. Die jeder mit dieser Truppe gewonnen hätte. Die Bilanz hinter "Single" ist: eine verkorkste Spielzeit. Ein verlorenes Jahr. Eine HSV-Saison für Besserverdienende.

Das ist, das war, das bleibt ein Schmarrn, wie der südwärts von Frankfurt lebende Bazi sagen würde. Und ich sage Euch auch, warum. Aber vorher machen wir die Tiefpunkte untief. In drei Akten.

1. Akt: So geh'n die Bayern...

Sie gehen wie die Gauchos in der Laiendarstelleraufführung deutscher Nationalspieler am Brandenburger Tor. Nicht zu Weihnachten. Nicht im Mai 2015. Im August letzten Jahres, als die DFL ihre kindische fähnleinschwingende Eröffnungsfeier begeht. An nostradamischen Prognosen herrscht kein Mangel ein paar Wochen nach dem Weltmeistertitel von Rio.

Die Vorzeigekarosse der Liga der Weltmeister rollt auf der Felge in die Saison. Gefühlt zig Nationalspieler, die an Deutschlands erstem Triumph seit Rom beteiligt waren. Die kaum Urlaub hatten. Die satt sein müssen nach sieben gewonnenen großen Titeln binnen 12 Monaten. Die ohne den Halbfinal-7:1-Strategen-Überfußballerheld Kroos auskommen müssen, der ersatzlos nach Madrid verhökert wird.

Wer nicht dauerverletzt ist (Thiago, Badstuber), ist müde (der Traber vor allem), wer nicht müde ist, ist alt (Ribery vor allem). Wer nichts von all dem ist, ist Spieler gewordene Verzweiflungstat (Alonso und Benatia vor allem). Und was - außer die Hausmacht des Katar-Botschafters zu stärken - sollen die komischen Durchschnittsiberer Bernat und Reina da?

Aus Dortmund kommen subtile Kampfansagen. Statistiken der katastrophalen post-WM-Spielzeiten 2007 und 2011 werden herumgereicht. Es geht dahin mit dem Komapatienten, der schon im Mai 2014 in Berlin auf dem Zahnfleisch und nur mit der Hilfe des Herrn M. aus B. die bevorstehende Wachablösung herausgezögert hatte. Die Nachrufe der kurzen gemischt niederrheinisch-katalanischen Ära sind alle schon fertig und...vergammeln in den Schubladen.

2. Akt: Boring, boring FC Bayern

Ein halbes Jahr später können die Redakteure auf Plan B zurückgreifen. Wenn schon die sportliche Apokalypse ausfällt, sticht noch der Langeweile-Joker. Und wie er sticht. Am fünfen Spieltag knüppelt man Paderborn von der Tabellenspitze, dann wird die Bundesliga beerdigt, während sie noch atmet. Bremen fidelt man 6:0 nach Hause, Frankfurt, Hoffenheim und Augsburg jeweils 4:0, nicht mal die modernen Angstgegner aus Dortmund und Leverkusen haben was zu bestellen in Deutschlands Fußballoper mit dem entsprechenden Eventpublikum.

Statt vom WM-Hangover zu fabulieren, kann man nun besorgt die Stirn in Falten legen. Falte eins ist die fehlende Konkurrenzfähigkeit der Liga der Weltmeister (dass auch der AS Rom gegen Bavaria di Monaco untergeht? Geschenkt.). Falte zwei ergibt sich nur auf der Stirn der Marketingvisionäre. Die Auslandsvermarktung, verstehen Sie? Wer in Shanghai will sehen, wie der Rekordmeister aus Gegnern Opfer macht? Die dritte Falte ist die Furche für das Frühjahr. In ihr liegt die Saat der Kritik, die zu Bäumen wachsen wird, als es schiefgeht mit den Titeln Nummer zwei und drei. Die Bundesliga kann man Ende November abhaken. Und weil der Titel zu problemlos und so früh gewonnen ist, kann man die Maßstäbe verschieben. Eine wirklich prachtvolle Spielzeit wird nur in Berlin zu haben sein. Später, im Mai 2015.

3. Akt: Scheich Kalle-bin Wettbewerbsverzerrung

So fügt sich, dass man ein 0:0 in Donezk und vor allem ein 1:3 in Porto in den ersten CL-K.o.-Runden zu Vorboten des Niedergangs stilisieren kann. Der Untergang kommt dann erst gegen Barcelona. Aber da ist die Saisonbilanz längst getrübt. Von fehlender Standfestigkeit im doppelten Sinne.

Zur Bilanz dieser Spielzeit gehört die Winterpause und ihre Diskussion über den Ort des Trainingslagers. Warum sie gerade und relativ unvermittelt in diesem Jahr aufkam, erschließt sich mir immer noch nicht, was an ihrer Berechtigung wenig ändert. Auch der geübteste Zyniker gerät an Grenzen, wenn ein Verein, der gerade erst seinem früheren jüdischen Präsidenten dessen verdienten Platz in der Vereinschronik zuwies, in Ländern die Zelte aufschlägt, in die Juden per Gesetz nicht einmal einreisen dürfen. Ein Testspiel in einem Land zu platzieren, das gerade per Stellenanzeige neue Enthaupter suchte, ist der eine echte Tiefpunkt in dieser Saison gewesen. Dass Audi das verlangt haben soll, ist so wenig eine Rechtfertigung wie die merkwürdig innigen Beziehungen der deutschen Bundesregierung zum Königshaus der Saud. Hört auf Eure Großmütter: So etwas macht man einfach nicht. Nicht als Standfester. Und Ende.

Die sportliche Bilanz entgleist am Elfmeterpunkt. Lahm rutscht, Alonso kuft, Götze choket, Neuer erschüttert den Balken. Vier Elfmeter für ein "Gott sei bei uns". Das Ende der Unbesiegbayern nach fast drei Jahren Pokal ist schmerzhaft, obwohl oder gerade weil es so unnötig ist. Was dann folgt, ist der zweite echte Tiefpunkt der Saison. Das Gejaule über Herrn Gagelmann. Er hatte nicht seinen besten Tag. Er übersah ein elfmeterreifes Handspiel.

Mich hat das geärgert wie jeden anderen Roten. Und doch, Sammer knows best. Zitat: "Für das Ausscheiden ist niemand verantwortlich, außer wir selbst." Danke, bitte, gern geschehen. Das Fan-mimimi nehme ich ja noch gratis zum Amusement mit. Aber dann salbadert Rummenigge von elf gegen zwölf. Rummenigge, der nach dem Pokalfinale 2014 davor warnte, Schiedsrichter an den Pranger zu stellen. Bei allen Verdiensten und allem Respekt: Das war Fremdscham aus der Feinkostabteilung. Ein Interview gewordenes Testspiel in Saudi-Arabien.

Und just als ich dachte, nur der eigene Vorstandschef sorgt in diesem Jahr für peinlich berührte Blicke auf meine eigenen Schuhe, kam die Achse des Bösen. Von Hannover über Wolfsburg nach Paderborn. Eine unglückliche Niederlage in Freiburg reichte für - Jürgen Klopp (BTW: danke für die Herausforderung nochmal) würde sagen "einen Sack voll" - negativer Ressentiments. Klaus Allofs vom VfL Wolfsburg machte den Auftakt. Wettbewerbsverzerrung! Wolfsburg. Äh...ja. Äh...NEIN! Den Schürrle-Transfer hat man vermutlich mit den Milliarden-Einnahmen aus der Europa League bezahlt, ja? So wie Augsburg, ja? Wettbewerbsverzerrung! Wolfsburg! Merkta selbst, ne.

Wenn Blödsinn zum Mainstream wird, wird Unsachlichkeit zur Pflicht. Hatte man Wilfried Finke wohl nicht erzählt. Der bemäntelte seinen Verzerrungsvorwurf noch mit einer lachhaften Stammtisch-"Analyse" des Zweikampfverhaltens von Jerome Boateng vor dem 1:2 im Breisgau. Geh' Möbel verkaufen! Was Schatzschneider anlangt: Ich unterstelle zugunsten aller Fans von Hannover 96, dass sie sich ohnehin für ihn schämen.

Freiburg und Paderborn stiegen am Ende ab. Mit einem bayerischen Sieg in Freiburg wären abgestiegen...achso, Freiburg und Paderborn. Grotesk, diese Verzerrung. Ich habe gar nichts gegen die Häme und die Schadenfreude, die nach einer Bayern-Niederlage in Freiburg im November oder Februar aufgekommen wären. An deren Stelle im Mai eine Art Betrugsvorwurf zu stricken, ist faktenbefreit, respektlos gegenüber dem SC Freiburg und ein schlichtweg unsagbar dummer Versuch, von eigenen Versäumnissen abzulenken. So.

Epilog

Jetzt aber nochmal Sport: Ich bin nicht bereit, eine Meisterschaft als gottgegeben und selbstverständlich hinzunehmen und abzuhaken. Schon gar nicht nach einer Weltmeisterschaft. Das Argument, man sei mit nur einem Titel an der selbstgestrickten Erwartungshaltung gescheitert, ist keines. Wer hat in München das Triple zum alleingültigen Maßstab erklärt? Das Gegenteil ist der Fall. Drei Titel sind die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Regel, dass eine Saison ohne Titel inakzeptabel und eine Saison mit drei Titeln historisch ist. Hier ist das Ding, nicht NUR eins, DAS eine. Das eine, das aus einer potentiell von vorne herein verkorksten eine gute Saison gemacht hat. Trotz aller drei Tiefpunkte: Eine Saison mit Schale ist nie eine schale Saison. Fin.