Die Angst vor der Einöde

In Sotschi fanden in diesem Jahr die XXII. Olympischen Winterspiele statt
© getty

Es waren die teuersten Winterspiele aller Zeiten. Doch ein knappes Jahr danach ist in Sotschi vom Olympischen Glanz nichts mehr zu sehen. Stattdessen gilt die Stadt am Schwarzen Meer als Mahnmal für die Zukunft.

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33 Milliarden Euro hat sich Russland den Traum von Olympischen Spielen im eigenen Land kosten lassen. Aleksandr Belensky brauchte nur rund 30 Bilder, um diesen Traum zum Albtraum werden zu lassen.

Im Sommer 2014 reiste der russische Fotograf nach Sotschi, um sich ein Bild von der Olympiastadt zu machen. Sechs Monate waren damals seit der Abschlussfeier vergangenen.

Was er vom Schwarzen Meer mitbrachte, war genauso beeindruckend wie verstörend. Belensky fand sich in Mitten einer gespenstischen Kulisse wieder. Hier ein verlassener Platz, dort eine menschenleere Promenade.

In einem fünfgeschossigen Parkhaus suchte er vergeblich nach einem Auto, stattdessen stoß er auf ein paar kaputte Toiletten, die gegen eine Wand gelehnt waren. Wenn man seine Bilder betrachtet, kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, dass Belensky eine Geisterstadt besucht hat.

Verdrehte Realität

"Das Leben ist aus Sotschi gewichen." Es ist vielleicht diese Aussage, die seine Arbeit am besten beschreibt - und die die Worte Dmitrij Tschernyschenko wie Hohn und Spott wirken lassen.

"Wir haben der Welt eine Blaupause geliefert, der sie folgen können. Wir haben für künftige Spiele den Standard gesetzt", ließ sich der Vorsitzenden von Sotschis Organisationskomitee in einer IOC- Pressemitteilung am Rande der Abschlussbesprechung zitieren - nur wenige Wochen vor Belenskys gespenstischen Erfahrungen vor Ort.

Dieser Widerspruch ist es wohl, der von den Spielen in Sotschi am meisten im Gedächtnis bleibt. Russland wollte ein globales Statement abgeben, bekommen hat man ein Milliardengrab - und einen Präsidenten, der die Bühne in einem schwierigen politischen Klima geschickt zur Selbstdarstellung nutzte.

Das mag man Wladimir Putin vorwerfen, doch er war nicht der erste und wird auch sicherlich nicht der letzte Politiker sein, der sich ein Sport-Ereignis zum Vorteil macht. So wurde Sotschi zur Putin-Show - und eben nicht zu einer der Athleten, die es durchaus verdient gehabt hätten.

Sport rückt in den Hintergrund

Ole Einar Björndalen beispielsweise, der mit insgesamt 13 Medaillen den Olympia-Rekord des legendären Björn Dählie brach und sich endgültig untersterblich machte. Oder die niederländischen Eisschnellläufer, die aus der Adler Arena eine holländische Festung machten.

Ja, sogar die Deutschen hatten ihre Höhepunkte. Es waren nicht viele, denn das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung kommt nun mal nicht von ungefähr. Vor allem die Rodler hielten dennoch die schwarz-rot-goldene Fahne hoch.

Wirklich in den Köpfen sind diese Momente aber nur den wenigsten. Stattdessen spricht man von Menschenrechtsverletzungen, den Zwangsumsiedlungen und einer Stadt, die mit weißen Elefanten gepflastert ist.

F1-Rennen und Schach-WM

Und daran ändert sich auch so schnell nichts. Die FIS, der internationale Ski-Verband, zu dem unter anderem die Langläufer, Skispringer, Alpinen und Nordischen Kombinierer gehören, veranstaltet im kompletten Winter 2014/15 keinen einzigen Weltcup in den Olympia-Anlagen.

Darunter leidet der Einzelhandel, nicht wenige Restaurants und Läden mussten nach Olympia schließen, die anderen hoffen auf den russischen Inlandstourismus, der bislang jedoch ausblieb. "Viele von uns fühlen sich verschaukelt", gibt Gastronom Kalina Konyov offen zu.

Man ergibt sich seinem Schicksal, die einst versprochene goldene Zukunft für die Bewohner Sotschis ist keine Blase mehr, sondern längst geplatzt. Auch der in diesem Jahr erstmals ausgetragene Formel-1-Grand-Prix, von dem angesichts von 250 Millionen Dollar Antrittsgeld bis 2020 vor allem Bernie Ecclestone und Co. profitieren, war nur ein kleines Licht am Ende des Tunnels - genauso wie die Schach-WM im November.

Olympia am Scheideweg

Sotschi ist gefangen in einem Teufelskreis, das musste zuletzt sogar IOC-Präsident Thomas Bach zugeben, auch wenn er gegenüber der "Rheinischen Post" einen anderen Grund nannte: "In Bezug auf die Nachnutzung hat Sotschi durch die politischen Umstände Probleme. Das ist offensichtlich."

Die Krim-Krise sowie die dadurch entstandene isolierte Situation Russlands mag ihren Teil zur Misere beigetragen haben. Doch man würde es sich zu einfach machen, alles auf die angespannte politische Lage zu schieben.

Vielmehr steht das Konstrukt Olympia am Scheideweg. Der Gigantismus der letzten Jahrzehnte hat mit Sotschi sein berühmtestes und vor allem kostspieligstes Opfer gefunden. Die Zeit für Veränderungen ist gekommen.

"Nachhaltigkeit, Glaubwürdigkeit und Jugend sind unsere Topthemen im Zuge unserer Reformagenda. Nachhaltigkeit geht für uns über den Umweltschutz hinaus. Es geht auch um das Erbe, das die Spiele hinterlassen, um soziale und finanzielle Nachhaltigkeit", betont Bach.

Revolution beim IOC

Der IOC-Präsident hat es sich bei seiner Wahl im September 2013 zum Ziel gemacht, die Olympische Bewegung zu erneuern. Daran wird er nun gemessen - und der Reform-Gipfel am Montag in Monte Carlo war der erste Schritt auf dem Weg in eine bessere Zukunft.

Insbesondere der zentrale Punkt, das Bewerberverfahrens zu ändern und es zu ermöglichen, bei Olympia einzelne Sportarten in anderen Städten oder gar Ländern auszutragen, gleicht einer kleinen Revolution.

Der Fußball hat es vorgemacht, mit der EM 2000 bzw. 2008 oder der WM 2002, wie ein geteiltes Event aussehen kann. Der Basketball ist mit der EM im nächsten Jahr nachgezogen. Nun also kommt offenbar das Relikt der Sportwelt an die Reihe.

Fußball als Vorbild

"Das gibt uns mehr Handlungsspielraum", erklärt DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper - und denkt dabei wahrscheinlich auch an die deutsche Bewerbung Berlins bzw. Hamburgs für 2024/2028, für die sich dadurch die Variationsmöglichkeiten erhöhen.

Die Hansestadt könnte auf den Bau einer teuren Kanu-Slalom-Strecke verzichten und die Wettkämpfe ins sächsische Markkleeberg auslagern. Für die Spiele im Handball, Basketball und Volleyball würden die Sport-Hochburgen des Nordens wie Kiel, Bremen oder Flensburg als Abnehmer bereitstehen.

Ob der Hintergedanke, die finanzielle Last dadurch auf mehreren Schultern zu verteilen, allerdings auch praktisch umsetzbar ist und wie lange das vor allem dauern wird, immerhin drehen sich die Räder innerhalb des IOC auch nicht schneller als bei der FIFA, bleibt offen.

Genauso wie die Frage, ob darunter nicht der Olympic Spirit leiden wird. Nicht vorzustellen, welche Ausmaße eine unbedachte Aufspaltung nehmen könnte. Auf der anderen Seite bleibt dem IOC nichts anderes übrig, nachdem immer mehr Städte die Kosten Olympischer Spiele scheuen.

Lust gegen Angst

Alleine das Bewerbungsverfahren für die Winterspiele 2022 entwickelte sich zu einer regelrechten Farce, als nacheinander Krakau, Lemberg, St. Moritz, Stockholm, München und Oslo ausgestiegen waren.

Die Lage erinnert fatal an den Beginn der 80er Jahre, als sich teilweise nur noch zwei Bewerber fanden. "Niemand muss sich Sorgen um die Olympischen Spiele machen", beschwichtigt Bach. Trotzdem ist dem IOC bewusst geworden: Ohne eine tiefgreifende Umstrukturierung weicht die Lust auf Olympia im 21. Jahrhundert immer häufiger der Angst vor einer Einöde.

Der Medaillenspiegel von Sotschi 2014