Märchen sind Erzählungen, die von fabelhaften und wunderbaren Begebenheiten berichten.
Sie sind teilweise frei erfunden, haben aber auch wirkliche Begebenheiten als Grundlage, die im Laufe der Zeit mit viel Phantasie ausgeschmückt werden. In Deutschland prägten insbesondere die Gebrüder Grimm dieses Genre.
"Unglaublich, aber traumhaft"
Und das Märchen der Arizona Cardinals hätte in ihren Sammlungen hervorragend hinein gepasst. Denn die Geschichte des NFL-Teams aus der Wüste könnte glatt als Märchen durchgehen, nur dass es der Wirklichkeit entspricht.
Das ewige Loser-Team entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einer strahlenden Schönheit, die um den Super Bowl spielt.
"Irgendwie ist es immer noch unglaublich, aber traumhaft", meint Center Lyle Sendlein. Und am 1. Februar kann das Märchen der Cardinals mit einem Sieg gegen die Pittsburgh Steelers im Super Bowl XLIII in Tampa Bay gekrönt werden.
Cardinals schreiben Vereinsgeschichte
Doch auch ohne den Super-Bowl-Sieg haben die Spieler schon Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal steht die Franchise, die 1898 als Morgan Athletic Club gegründet wurde, im großen Finale.
Zu feiern gab es in der 110-jährigen Klubgeschichte nicht viel. Außer den beiden Titeln als NFL-Champions (1925, 1947) bastelten die Cards regelrecht an ihrem Loser-Image (siehe die Geschichte der Cardinals).
Doch in diesem Jahr ist alles anders. Mit einer Bilanz von 9-7 sicherten sich die Cardinals den Titel in der NFC West.
Die Wandlung vom Loser- zum Winner-Team
Zu verdanken hatten sie es ihrer starken Passoffensive (Nummer 2 der Liga) und einer zugegeben schwachen Division. Allerdings folgte in den Playoffs eine unerwartete Leistungsexplosion. Wie verwandelt trumpften die Cardinals auf.
Neben der starken Pass-Offense überzeugte auch das Laufspiel und vor allem die Defensive, was am meisten überraschte. Denn bis dahin galt Defense als Fremdwort in Arizona.
Die endgültige Wandlung vom Loser- zum Winner-Team vollzog sich aber im NFC Championship Game gegen die Philadelphia Eagles.
Cardinals zeigen Reaktion
Nach einer komfortablen 24:6-Pausenführung lagen die Cardinals kurz vor Schluss mit 24:25 zurück. Eine Niederlage zeichnete sich ab. Einmal Loser, immer Loser.
Doch diesmal nicht. Die Cardinals zeigten ihre neugewonnene Siegermentalität, den unbedingten Willen und standen wieder auf.
Die Offense sorgte mit der nötigen Überzeugung für Punkte und die Defense stoppte im entscheidenden Moment die Offense der Eagles. Arizona gewann 32:25.
Der Architekt: Ken Whisenhunt
Zu verantworten hat das der Architekt des Märchens: Head Coach Ken Whisenhunt. Der 46-Jährige vollzog innerhalb von zwei Jahren die Wandlung.
"Ich habe viele Spieler kommen und gehen sehen. Aber was Ken mit dem Trainerteam bislang geleistet hat, ist großartig. Sie haben viel geändert. Und das Wichtigste: Sie haben Spieler geholt, die unbedingt gewinnen wollen", sagt LB Gerald Hayes, der seit 2003 in Arizona spielt.
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Whisenhunt übernahm 2007 das Ruder. Und er drehte an den richtigen Schrauben. Mit General Manager Rod Graves formte er ein homogenes Team.
"Das macht erfolgreiche Trainer aus. Er hat Spieler ins Boot geholt, die ins Team passen und gleichzeitig Führungsqualitäten mitbringen", lobt CB Ralph Brown, den Whisenhunt als Free Agent von den Browns holte.
Whisenhunt: "Die Chemie muss stimmen"
Dazu kamen in seiner Ära noch LB Travis LaBoy (Titans), LT Mike Gandy (Bills), NT Bryan Robinson (Bengals), CB Ron Hood (Eagles), FB Terrelle Smith (Browns) sowie die Rookies RB Tim Hightower und CB Dominique Rodgers-Cromartie, die sich nahtlos ins Team einfanden.
"Die neuen Spieler müssen sich umstellen und auf Neuerungen einlassen. Wichtig ist aber, dass die Chemie stimmt", sagt Whisenhunt. Und die passt.
Zudem mussten die Spieler zuerst das neue System verinnerlichen. "Ken fordert ein körperbetontes Spiel an beiden Enden des Feldes", sagt Robinson.
Diese Umstellung brauchte seine Zeit. In seinem ersten Jahr verpassten die Cards noch den Playoff-Einzug (8-8), doch im zweiten erntet Whisenhunt die Früchte.
Größter Erfolg mit den Steelers
"Ich glaube, die Spieler haben jetzt endgültig verstanden, worauf es ankommt. Wir müssen weiter hart an uns arbeiten und uns gegenseitig vertrauen, so dass jeder für den anderen da ist", erklärt QB Kurt Warner, dem Whisenhunt sein Vertrauen schenkte.
Endgültig ein Denkmal in Phoenix könnte sich Whisenhunt mit einem Super-Bowl-Erfolg über die Steelers setzen. Pikant dabei: Whisenhunt trifft auf seine eigene Vergangenheit.
Bevor er das Traineramt der Cardinals übernahm, hatte er in Pittsburgh gearbeitet - von 2001 bis 2003 als Tight-End-Trainer und von 2004 bis 2006 als Offensive Coordinator. 2005 feierte Whisenhunt mit den Steelers im Super Bowl XL seinen größten Erfolg.
Und er hatte daran maßgeblichen Anteil. Mit einem raffinierten Trick-Spielzug ermöglichte er Pittsburgh gegen die Seahawks den 14:10-Sieg.
Zusätzlicher Zündstoff für den Super Bowl
Ein Jahr später folgte vielleicht die größte Enttäuschung seiner Karriere. Nachdem Steelers-Trainer Bill Cowher seinen Rücktritt erklärt hatte, war Whisenhunt in der engeren Auswahl als Nachfolger.
Doch die Entscheidung fiel gegen ihn und für Mike Tomlin (Vikings). So führte Whisenhunts Weg zu den Cardinals, was nun im Super Bowl für zusätzlichen Zündstoff sorgt.
Aber nicht nur Whisenhunt hat eine Verbindung zu Pittsburgh. Denn LB Clark Haggans, WR Sean Morey, TE Jerame Tuman und QB Brian St. Pierre trugen schon das Steelers-Trikot. Dazu waren Hayes und WR Larry Fitzgerald in Pittsburgh auf dem College.
Abgerundet wird die Pittsburgh-Connection durch Russ Grimm (Assistant Head Coach), der damals ebenfalls als Cowher-Nachfolger im Gespräch war, und Kevin Spencer (Special-Team-Coach).
Pittsburgh vs. Pittsburgh West
Deswegen spricht man in den USA schon vom Super Bowl zwischen Pittsburgh gegen Pittsburgh West. Im Blickpunkt steht aber Whisenhunt.
Zum einen wegen des brisanten Duells mit Tomlin, zum anderen wegen des Wiedersehens mit QB Ben Roethlisberger. Den beiden wird aus der gemeinsamen Steelers-Zeit nicht das beste Verhältnis nachgesagt.
Allerdings will keiner der beiden so kurz vor dem Finale einen Nebenkriegsschauplatz eröffnen. "Es war eine gute Zusammenarbeit mit Ben", sagt Whisenhunt. Auch Big Ben hält sich zurück und zollt seinem Ex-Coach Respekt: "Er ist ein großer Trainer."
Grandioses Happy End?
Ein wirklich großer Trainer wird Whisenhunt, wenn er die Vince-Lombardi-Trophäe nach Phoenix holt.
Damit hätte die Geschichte der Cardinals dann ein zuckersüßes Ende wie in Hollywood. Oder wie im Märchen eben.