Der weibliche Jordan

Stefan Maurer
28. September 200914:25
Lisa Leslie gewann alles, was es zu gewinnen gab. Im Alter von 37 Jahren beendet sie ihre KarriereGetty
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Lisa Leslie ist eine lebende Legende. Die 37-Jährige machte in einem Highschool-Spiel 101 Punkte, wurde zwei Mal WNBA-Champion, gewann vier Mal Olympisches Gold und war für den besten WNBA-Moment überhaupt verantwortlich. Magic Johnson schwänzte für die Grande Dame der Liga die Hall-of-Fame-Aufnahme von Michael Jordan.

Nach dieser Saison wird die beste Basketballerin aller Zeiten ihre Karriere beenden. Eine Feier zur Verabschiedung der 1,96m großen Centerspielerin gab es schon am 11. September vor dem letzten Regular-Season-Heimspiel der Los Angeles Sparks.

Leslie erhielt vergoldete Basketball-Stiefel und Lakers-Ikone Magic Johnson sprach einige Worte: "Bei meiner Landung am Flughafen fragte mich ein Steward, warum ich nicht in Springfield bei der Hall-of-Fame-Zeremonie von Michael Jordan, John Stockton und Co. sei. Ich antwortete: 'Ich bin in L.A., um jemanden zu ehren, der bald in der Hall of Fame sein wird.'"

In der Naismith Memorial Hall of Fame wird die Karriere von Leslie in einigen Jahren also enden, doch wo begann ihre Reise an die Spitze der Basketballwelt?

Ein schwerer Start

Geboren wurde sie 1972 in Los Angeles. Ihr Vater verließ Lisa, ihre zwei Schwestern und Mutter Christine, noch bevor Lisa laufen konnte. Ihre Mom nahm das Schicksal der Familie selbst in die Hand, ließ die Kinder bei einer Tagesmutter und fuhr mit einem Truck quer durch die USA, um Geld zu verdienen.

Jeden Cent schickte sie zurück nach L.A., um ihren Töchtern zu helfen. Kein leichter Start ins Leben, aber einer, der Lisa früh erwachsen und verantwortungsbewusst werden ließ. Vor allem diese Eigenschaft verdankt sie ihrer Mutter, von der sie bis heute mit größter Hochachtung spricht: "Sie ist die Frau, die ich auf diesem Planeten am meisten bewundere."

Diese Vorbild-Funktion wollte auch Lisa für Kinder und Jugendliche übernehmen. Bei der Verabschiedung durch Magic sagte sie: "Ich habe viele Auszeichnungen erhalten, aber die größte Belohung war, dass ich ein Vorbild für so viele Jungen und Mädchen sein konnte."

Von der Wetterfee zum Superstar

Lisa Leslie ist einen weiten Weg gegangen, bedenkt man, dass sie sich lange Zeit nichts sehnlicher wünschte, als später als Wetterfee zu arbeiten. Basketball spielte für sie keine Rolle.

Erst in der siebten Klasse wurde Lisa von einer Mitschülerin aufgrund ihrer Größe (1,83m) überredet, an den Tryouts für die nächste Saison teilzunehmen. Der Neuling wurde schnell zur besten Spielerin des Teams und des Landes. Mit ihr als Center gewann die Mannschaft zwei Mal die Landesmeisterschaft.

Doch Leslie beschäftigte sich immer noch nicht ausschließlich mit Basketball. Sie war an der Morningside Highschool auch Teil des Leichtathletik-Teams und sicherte sich Landesmeistertitel im Hoch- und Dreisprung. In ihrem Abschlussjahr war sie der unumstrittene Kapitän des Basketball-Teams. Dort gab es eine Tradition, die die junge Basketballerin erstmals in den Fokus der nationalen Medien geraten ließ.

Das 101-Punkte-Spiel

Im letzten Heimspiel der Saison durfte der Teamkapitän versuchen, den Punkterekord der Schule zu brechen. Alle Bälle wurden auf sie gespielt und sie durfte alle Würfe nehmen. Den bisherigen Rekord von 68 galt es zu übertreffen.

Lisa erinnert sich: "Ich hörte den Buzzer, schaute auf die Anzeigetafel und sah den Zwischenstand von 49:6. Da fragte ich meine Mitspielerinnen, ob schon Halbzeit sei." Es war nicht Halbzeit, es war das Ende des ersten Viertels und Lisa hatte alle 49 Punkte erzielt.

Im zweiten Viertel kamen weitere 52 Punkte dazu und Lisa war auf dem Weg den nationalen Rekord von 105 Punkten in einem Spiel, den Cheryl Miller hielt, in eine neue Dimension zu schrauben.

Doch das Vorhaben scheiterte. Die Gegner aus South Torrance traten zur zweiten Hälfte nicht mehr an. Zwei Spielerinnen hatten zu viele Fouls auf dem Konto und eine hatte sich in Hälfte eins verletzt - es waren nur vier Spielerinnen übrig. Knapp daneben ist eben auch vorbei. Doch dies sollte sich nur als kleiner Stolperer auf dem Weg an die Spitze erweisen.

Von der USC über Atlanta '96 in die WNBA

Die inzwischen 1,96m große Dame entschied sich nach ihrem Abschlussjahr in Morningside für die University of Southern California, wo sie in den nächsten Jahren zur dominierenden Spielerin wurde.

Schon im ersten Jahr wurde sie zum Freshman of the Year gewählt und führte das Team in das NCAA-Final-Turnier. Diesen Erfolg sollte das Team in den kommenden vier Jahren wiederholen und Lisa wurde 1994 mit dem Titel "College-Spielerin des Jahres" ausgezeichnet.

In den USA gab es zu dieser Zeit keine etablierte Profi-Liga für Frauen und so wechselte Leslie nach Italien. Dort spielte sie ein Jahr, um sich 1995 mit dem Team USA in ein langes Trainingslager für die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta zurückzuziehen.

Vom Abschneiden der amerikanischen Mannschaft hing ab, ob es in den USA genügend Interesse an der im April - mit Unterstützung der NBA - gegründeten WNBA geben würde. Das Team gewann vor heimischem Publikum überzeugend Gold und Leslie wurde Anfang 1997 den Los Angeles Sparks zugeteilt. Das einzige WNBA-Team, für das sie je spielen sollte.

Haare raufen mit Lauren Jackson

Die Houston Comets um Superstar Cynthia Cooper konnten die ersten vier Titel der WNBA-Geschichte nach Texas holen, ehe die großen Jahre der Sparks kamen. 2001 und 2002 ging der Titel in die Stadt der Engel. 2001 gelang Leslie dabei Einzigartiges. Sie wurde zur wertvollsten Spielerin der Regular Season, des All-Star-Games und der Finals gewählt.

Schon im Jahr 2000 gewann sie mit den USA ihr zweites Olympisches Gold. Im Finale gegen Australien begann eine ganz besondere Rivalität mit Lauren Jackson, die Leslie während des Spiels die Haarverlängerung abriss.

Seither ging es in den Duellen der beiden zu wie bei Tyson gegen Holyfield. Sue Bird, die mit Jackson für Seattle und mit Leslie für die USA spielt, sagte einmal: "Ihre Duelle sind so heiß, ich weiß nicht einmal, ob sie sich grüßen, wenn sie aneinander vorbeigehen."

Meilenstein der WNBA-Geschichte

Mehr als alle Titel, Auszeichnungen und Auseinandersetzungen bleibt aber wohl ein Moment in der kollektiven Erinnerung hängen - der Dunk. Wir schreiben den 30. Juli 2002.

Die Sparks spielen im Staples Center gegen die Miami Sol, Lisa Leslie läuft alleine einen Fastbreak, springt mit dem linken Fuß ab und dunkt den Ball mit rechts durch den Ring.

Der erste Dunk der WNBA wurde 2006, zum zehnjährigen Jubiläum, zum größten Meilenstein der Liga-Geschichte gewählt.

Im Jahr nach der dieser Wahl, nahm sich die Frau, die 1997 ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaften und 2002 den Abschluss als Master der Betriebswirtschaft an der University of Phoenix erlangte, eine Auszeit, um ihr erstes Kind zur Welt zu bringen.

Viertes Gold in Peking

Nach der Geburt von Lauren Jolie im Juni 2007 brachte sich die frischgebackene Mom für die Saison 2008 wieder in Form. Bei den Olympischen Spielen in Peking errang sie die vierte Goldmedaille in Folge und wurde in der WNBA als beste Defensivspielerin des Jahres ausgezeichnet.

Nach dem Finale in Peking, das die USA zum dritten Mal in Folge gegen Australien gewannen, kam es allerdings zu einem Eklat: Leslie war von den Organisatoren aufgefordert worden, bei der Medaillenverleihung nicht mit ihren drei bereits errungenen Goldenen auf dem Podium zu erscheinen - sie tat es dennoch.

Vor allem die geschlagenen Australierinnen zeigten sich empört. Aufbauspielerin Kristie Harrower sagte: "Als wir herauskamen und die Medaillen um ihren Hals sahen, konnten wir es wirklich nicht glauben. Sie wurde aufgefordert, die Medaillen unter der Jacke zu tragen, aber sie hat sie später wieder hervorgeholt. Das ist einfach unmöglich und sehr eingebildet." Eigentlich nicht Leslies Stil.

Das Ende ist gekommen

Anders lief dann auch wieder die Ankündigung ihres Rücktritts. Am 23. Jahrestag der Mädchen und Frauen im Sport, dem 4. Februar 2009, verkündete Leslie ihren Rücktritt:" Ich bin gespannt, was das nächste Kapitel in meinem Leben bringen wird. Bis hierher hatte ich eine unglaubliche Reise, die noch nicht zu Ende ist. Es ist eine Ehre, den Sport, den ich liebe, solange gespielt zu haben. Mein Ziel war es immer, Menschen zusammenzubringen und ein Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern."

Im Rahmen der Verabschiedung durch Magic Johnson sagte WNBA-Präsidentin Donna Orender: "Ihre Führungsqualitäten und ihre Leidenschaft haben sie zur Ikone des Frauenbasketballs gemacht."

Natürlich geht das "Gesicht" der WNBA nicht ohne einen letzten großen Fight: Obwohl sie aufgrund einer Knieverletzung nicht oft ins Geschehen eingreifen konnte, führte Leslie die Sparks zusammen mit Candace Parker in die Playoffs, wo sie in den Finals der Western Conference an den Phoenix Mercury scheiterten. Das Ende eine Karriere, die vor allem vielen jungen Mädchen geholfen hat, sich für den Weg in den Profi-Sport zu entscheiden.

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