Es war wohl eine der merkwürdigsten Basketball-Partien der letzten Jahre. Im tiefsten Winter von Moskau lud der reichste Mann Russlands keinen Geringeren als Scottie Pippen zu einem Prominenten-Spiel in einer engen Universitäts-Sporthalle ein - und der Ex-NBA-Superstar folgte im Januar dieses Jahres tatsächlich dem Lockruf des Rubels.
Oligarch Mikhail Prokhorov wollte es sich nun mal nicht nehmen lassen, einmal mit einer lebenden Legende auf dem Parkett zu stehen. Und Prokhorov, mit einer Körpergröße von rund zwei Metern nur unwesentlich kleiner als Pippen, schlug sich neben dem siebenmaligen NBA-Champion achtbar. Er verwandelte etwa die Hälfte seiner Freiwürfe und dribbelte recht gefällig.
Im erlauchten Kreis der Superreichen ist vermutlich keiner derart sportlich wie der laut "Forbes" 9,5 Milliarden Dollar schwere Prokhorov. Während andere Multi-Milliardäre vom Schlage eines Roman Abramowitsch (Forbes: "nur" 8,5 Millarden Dollar Vermögen) den Sport für ihre Egoismen und ihren extravaganten Stil nutzen, lebt der 44-Jährige seine Leidenschaft aus.
Ein Basketball-Verrückter
Er ist Präsident des russischen Biathlon-Verbands, er betreibt ambitioniert Kickboxen, zudem macht derzeit im Internet ein Video die Runde, in der Prokhorov den Rückwärts-Salto auf einem Jet-Ski (!) trainiert.
Hingegeben hat er sich jedoch nur einer Sportart. Bereits als Kind fing er mit dem Basketball an, Ende der 90er Jahre kaufte er einen Teil von ZSKA Moskau und formte den Verein zum europäischen Vorzeigeklub. Nun steht er vor dem größten Schritt: den Einstieg in die NBA. Prokhorov wäre der erste nichtamerikanische Großinvestor.
Megaprojekt in Brooklyn geplant
Im Juli erst reiste Bruce Ratner, Bauunternehmer und Besitzer der defizitären New Jersey Nets, nach Moskau, um Prokhorov ein Geschäft vorzuschlagen. Ratner arbeitet derzeit unter Hochdruck an der Realisierung seines 3,5-Millarden-Dollar-Megaprojekts "Atlantic Yards", einer Großüberbauung im New Yorker Stadtteil Brooklyn mit der geplanten neuen Nets-Arena als Herzstück. Doch Ratner benötigt frisches Kapitel. Frisches Kapital, das von Prokhorov kommen soll.
"Wir haben vier Stunden zu Abend gegessen und über eine Partnerschaft gesprochen. Es lief sehr gut und irgendwann hat es bei uns beiden gefunkt", erzählt Ratner. Wenige Wochen darauf ging Prokhorov in die Öffentlichkeit. Er habe sich entschieden, sich mit 200 Millionen Dollar an 80 Prozent der Nets, 45 Prozent an der zu bauenden Nets-Arena sowie 20 Prozent am "Atlantic Yards"-Projekt zu beteiligen.
"Prokhorov wird das ultimative Sagen bei den Nets haben. Er trifft die Personalentscheidungen, er entscheidet über Trades, und so weiter", so Ratner. Was jedoch fehlt, ist die Bewilligung des Deals.
Background-Check durch die NBA
Einerseits muss sich Ratner weiterhin dem Widerstand einer Phalanx von Bewohnern in Brooklyn erwehren, die juristisch gegen das gigantische "Atlantic Yards"-Projekt vorgeht (Slogan: "Etwas schaffen statt zerstören"). Sollten die Bauarbeiten nicht bis zum 31. Dezember 2009 beginnen, ist das Projekt wohl gestorben - und damit auch Prokhorovs Kauf der Nets.
Zudem kündigte die NBA an, Erkundungen über Prokhorovs Leben und den Ursprung seines abenteuerlich hohen Vermögens einzuholen, bevor die Besitzer der NBA-Teams über den Besitzerwechsel in New Jersey abstimmen. 23 der 30 Stimmen wären nötig.
Probleme von Seiten der NBA würden aber nicht erwartet, zu verzweifelt sei die finanziell gebeutelte Liga auf der Suche nach neuen Investoren und nach neuen Absatzmärkten wie etwa Russland, schreibt die Tageszeitung "Star-Ledger".
"Das Interesse an Basketball steigt in der Welt rasant, und durch Mr. Prokhorovs Bekenntnis zu den Nets werden wir weiter ermutigt", sagt dementsprechend NBA-Commissioner David Stern. Mavericks-Besitzer Mark Cuban ergänzt: "Ich liebe es. Er wird neue Ideen mitbringen. Hoffentlich startet ein neuer Trend, dass internationale Investoren in die NBA einsteigen."
Vom Jeansverkäufer zum Multi-Milliardär
Dabei ist Prokhorovs Vita ähnlich zwielichtig wie die der meisten Oligarchen in Russland. 1965 in Moskau geboren, war Prokhorov Teil der oberen Mittelschicht. Seine Eltern haben beide einen akademischen Background, er selbst machte 1989 den Abschluss am "Moscow Financial Institute". Parallel zum Studium jobbte er in einem Jeansladen.
Mit dem Untergang der Sowjetunion begann sein Aufstieg, ähnlich wie der von Abramowitsch. Mit 28 war Prokhorov bereits der Vorsitzende einer Privatbank, dank Beziehungen zum Kreml stieg er 1995 in das Metallgeschäft ein - und wurde zu einem der wichtigsten Nickel-, Aluminium- und Palladium-Hersteller der Welt. Zudem gründete er "Polyus Gold", Russlands größten Gold-Produzenten. Bevor er 32 Jahre alt war, hatte er seine erste Milliarde auf dem Konto.
Prokhorov, ein legendärer Party-Gänger und bekannt als "Russlands begehrtester Single", genießt das Leben in vollen Zügen. Er datete Naomi Campbell und Keniya Sobchak ("Die russische Paris Hilton"), gründete ein Magazin mit dem treffenden Namen "Snob" und plante angeblich mit einer namentlich nicht bekannten Frau eine Hochzeit auf den Malediven im Wert von zehn Millionen Dollar, nur um sich eine Woche später scheiden zu lassen. Er hatte als Kind gewettet, mit spätestens 42 Jahren verheiratet zu sein.
2007: Callgirl-Skandal im Skiurlaub
Ein Leben auf der Überholspur - die 2007 kurzzeitig stockte, als Prokhorov offenbar Opfer einer Intrige wurde. Der Feierwütige lud eine 26-köpfige Gesellschaft, bestehend aus seinen engsten Geschäftsfreunden und einigen attraktiven Frauen, in sein Anwesen im Skiort Courchevel ein.
Das zügellose Feiern nahm jedoch ein jähes Ende, als die französische Polizei ihn in Haft nahm, weil er verdächtigt wurde, Prostituierte vermittelt zu haben. Prokhorov beharrte darauf, dass die Begleiterinnen "Studentinnen und Models" gewesen seien. Nach vier Tagen Gefängnis kam er frei, vor zwei Wochen wurde er vom Vorwurf endgültig freigesprochen.
Im Zuge des Callgirl-Skandals musste Prokhorov auf Druck der russischen Regierung seine Anteile an "Norilsk", einem der weltweit führenden Bergbau-Unternehmen, veräußern - was sich jedoch als Glücksfall erwies. Im Zuge der Finanzkrise stürzte der Wert der Firma in den Keller, Prokhorov hingegen hat seit dem Verkauf angeblich fünf Milliarden Dollar in cash angesammelt.
Begründet LeBron eine neue Ära?
Nicht umsonst hat Prokhorov die Reputation eines Finanzgenies. "Er entscheidet immer mit kühlem Kopf", sagt Jazz-Forward Andrei Kirilenko über seinen ehemaligen Boss bei ZSKA. Und davon sollen die Nets profitieren. Eine Franchise, die sich angeblich einen Schuldenberg von über 200 Millionen Dollar angehäuft hat.
Mit Prokhorovs Milliarden im Rücken scheint es jedoch nicht mehr ausgeschlossen, dass im spannenden Free-Agent-Sommer 2010 ein Superstar, womöglich LeBron James oder Dwyane Wade, den Weg zu den Nets findet.
"Prokhorov hat die Persönlichkeit, das Charisma und das Geld, um wirklich jeden jungen Spieler in der NBA zu beeindrucken", glaubt David Vanterpool, bei ZSKA als Spieler und Co-Trainer aktiv. Besonders James gilt wegen seiner Freundschaft zum Rapper Jay-Z, der weiterhin einen kleinen Anteil an den Nets hält, als möglicher Zugang.
"Prokhorov sieht in die Zukunft"
Die Vision: 2011, wenn die neue Arena eröffnet werden soll, führt James das in "Brooklyn Nets" unbenannte Team in eine neue Ära.
"Es gibt kein Hindernis, das Prokhorov nicht überwinden könnte. Er hätte sich nie zu den Nets bekannt, wenn er nicht wüsste, was möglich ist", sagt Vanterpool. "Was ihn besonders macht: Er sieht die Zukunft genauso gut wie unsereiner vielleicht die Gegenwart. Deswegen ist er auch fünf Schritte gegenüber jedem anderen voraus. Einige Leute in der NBA haben wahrscheinlich jetzt schon Angst vor ihm."
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