Eine Sequenz, wie sie auch Hollywood nicht besser hätte inszenieren können. Im zehnten Inning, nach einer längeren Regenunterbrechung - "Es war wie eine Intervention Gottes", formulierte es Cubs-General-Manager Jed Hoyer - und totalem Chaos in den vorherigen neun Innings - für Cubs-Fans muss sich dieses Spiel wie eine Kurzzusammenfassung der letzten 108 Jahre angefühlt haben, dieses Mal allerdings mit dem schier undenkbaren Happy End - passiert das: Ein verhältnismäßig unbekannter Pitcher (Mike Montgomery) steht auf dem Mound und trifft auf einen noch weniger bekannten Schlagmann (Michael Martinez). Es folgt ein Groundball, Kris Bryants Wurf zur ersten Base. Der Ball landet im Handschuh von Anthony Rizzo an der ersten Base und das Unfassbare ist Realität: Die Cubs haben die World Series gewonnen!
"Das war das größte Spiel, in dem ich je mitgewirkt habe", meinte Rizzo: "Und das beste Spiel, das ich jemals gesehen habe." Man sagt immer so schön, solche Geschichten schreibt nur der Sport. Aber auch nur selbiger, denn wenn in Hollywood einer mit so einem Drehbuch ankäme, würde es sicher abgeschmettert werden, da zu unrealistisch.
"Ich dachte mir, dass Regen manchmal schlecht sein kann", so Outfielder Jason Heyward, der in dieser Postseason nur selten mit seinem Spiel überzeugte: "Aber so wie wir dieses Inning beendet hatten, hatte ich das Gefühl, wir brauchten diesen Regen." Und er nutzte die Gunst der Stunde und berief ein Teammeeting ein, nur mit den Spielern, und gab die Richtung für den Rest des Weges vor: "Ich wollte die Jungs einfach daran erinnern, wie gut und wie besonders sie sind."
"Ich dachte, wir brauchten diesen Moment, nach diesem Homerun (zum Ausgleich, Anm. der Redaktion) und wie die Indians zurückkamen, hatten sie das ganze Momentum auf ihrer Seite. Es war also ein großer Moment für uns. Ich hatte das Gefühl, dass Jay-Hey sich zur genau richtigen Zeit geäußert hat", lobte Jon Lester seinen Teamkollegen.
108 Jahre sind vorbei
Nur in ganz verrückten Filmen gibt es so viele Wendungen in einem (Baseball-)Spiel, nicht aber im echten Leben. Dachte man. Es war, als ob es noch einmal ein Höllenritt der Gefühle für alle, die es mit den liebenswürdigen Losern aus der Windy City halten, werden musste, bevor all die Enttäuschungen der letzten 108 Jahre abgestreift und die Cubs den Gipfel erklimmen konnten.
Dieser Titel ist ein ganz spezieller, den man nicht so einfach im Vorbeigehen hätte gewinnen können, schließlich war man verflucht bis in alle Ewigkeit und der berühmte "Billy Goat" wollte einfach nicht in Frieden ruhen. Nicht mehr, wie Series-MVP Ben Zobrist feststellte: "Wissen Sie was? Ich glaube wir haben diese Flüche grad in die Tonne getreten!"
Es brauchte schon besondere Maßnahmen, die auch weit über die zehn Innings in Spiel 7 oder die gesamte intensive Serie gegen die ebenfalls leidgeplagten Cleveland Indians hinausgingen. Es brauchte im Grunde knapp sieben Jahre, um diesen historischen Erfolg einzuläuten.
Der Anfang vom Ende des Fluchs
Ende des letzten Jahrzehnts dümpelten die Chicago Cubs vor sich hin und der damalige Besitzer, die Tribune Company - ein Medien-Konglomerat, das Zeitungen und andere Medien im ganzen Land im Portfolio hat - versuchte schon seit längerem, die MLB-Franchise loszuwerden. Zu wenig profitabel und die Firma stand selbst fast vor dem Bankrott. Folglich ging es nicht voran für die Cubs, die auch dadurch frustriert gewesen sein dürften, dass der Stadtrivale, die Chicago White Sox, erst 2005 den Titel geholt hatte.
Irgendwann 2009 tat sich dann aber doch ein potenzieller Käufer auf. Thomas S. Ricketts, ein Erbe des Investment-Giganten TD Ameritrade, und seine Familie kauften schließlich die gesamte Organisation inklusive des altehrwürdigen, aber maroden Wrigley Fields für rund 900 Millionen Dollar. Doch das war nur der Anfang. Anschließend ging es nämlich sportlich erstmal richtig bergab. Es folgten fünf Jahre mit negativen Bilanzen in Folge.
Doch es gab Hoffnung, denn 2012 gelang Ricketts der erste Coup, denn er verpflichtete den Superstar unter den Funktionären, Theo Epstein, der als junger Kerl 2004 schon mit den Red Sox eine über 80-jährige Titel-Durststrecke beendet hatte - ebenfalls in Verbindung mit einem Fluch. Unter dem neuen Präsidenten des Teams folgte allerdings zunächst der Tiefpunkt: 101 Niederlagen in einer Saison!
Doch aufgrund der Personalentscheidungen und dem Umkrempeln der ganzen Organisation von den Minor Leagues an, war das kein Beinbruch. Der Plan war klar und die Geduld vorhanden. Das Farmsystem wurde auf Basis neuester statistischer Erkenntnisse und mit der berühmten Money-Ball-Philosophie neu aufgebaut, es wurde mehr Wert auf Drafts gelegt und internationale Toptalente verpflichtet. Und Wrigley Field wurde nach und nach renoviert.
Die letzten Puzzleteile
Was fehlte, waren Ausrufezeichen, die der Baseballwelt zeigen sollten, ja, die Cubs sind wieder wer! Die folgten dann 2015. Nicht nur verpflichtete man den besten Pitcher, der damals auf dem Markt war, nämlich Jon Lester - zweimal World-Series-Gewinner mit den Red Sox - man holte auch noch den Rockstar unter den Managern, Joe Maddon.
Im Laufe des Jahres wurde auch noch Third Baseman Kris Bryant aus den Minors befördert und avancierte prompt zum Rookie des Jahres. Das Team für den Titel stand und musste nach Erringen der Wild Card und einem bitteren Sweep in der National League Championship Series nur noch punktuell verfeinert werden, um 2016 zum großen Wurf anzusetzen.
Entlang des Weges kamen natürlich zahlreiche weitere personelle Veränderungen dazu. Ein Rizzo kam per Trade von den San Diego Padres, ein Addison Russell von den Oakland Athletics. Dafür musste überraschend vor dieser Spielzeit Eigengewächs Starlin Castro weichen, um Platz für Javier Baez, ebenfalls ein Eigengewächs, zu schaffen. Und die Liste geht noch lange weiter.
Größer als alles andere
Sicher, hierzulande ist die MLB keine sonderlich große Nummer, hauptsächlich, weil kaum jemand wirklich Zugang zu diesem für Europäer merkwürdigen Spiel hat. Aber in den USA konkurriert die Liga weiterhin mit der gerade etwas schwächelnden NFL um den Titel "America's Pastime", also das Lieblingshobby der Nation.
Und gerade in Chicago wird nun der Punk abgehen. Die Stadt wird ausrasten und die Parade, die folgt, wird wohl das größte Event der Stadt seit Jahrzehnten - oder seit ziemlich genau 108 Jahren! Die sechs Titel der Chicago Bulls mit dem gottesgleichen Michael Jordan waren sicher überragend, die Erfolge der Blackhawks in jüngster Vergangenheit eine große Nummer. Und vergessen wir nicht "Da Bears", die 1985 unter Coach Ditka zu Legenden der Stadt wurden. Doch hier geht es um die "Cubbies"!
Ganze Generationen von Chicagoern hatten nicht den Hauch einer Ahnung, wie es ist, wenn "ihr" Team den größtmöglichen Titel dieses Sports gewinnt. Die Cubs waren seit jeher die liebenswürdigen Loser und auch wenn es eine Enttäuschung nach der anderen gab, wurde diese Organisation geliebt wie kaum eine andere im Land. Dieser Titel stellt alles Bisherige in Chicago in den Schatten.
Rosige Zukunft
Und bei diesem einen Triumph muss es wahrlich nicht bleiben. Das Team ist für jetzt und für die Zukunft gebaut. Die Cubs gingen als hoher Favorit in die Saison und wurden diesem Ruf letztlich auch gerecht. Schaut man sich vor der Offseason in der Liga um, findet man kein Team, das insgesamt so gut aufgestellt ist.
Leute wie Rizzo und Bryant, die Eckpfeiler des Teams, sind noch sehr jung. Dazu haben Pitcher wie Jake Arrieta oder Kyle Hendricks noch nicht mal die Free Agency erreicht. Die Zukunft ist rosig für dieses Team und wer weiß, vielleicht folgt nach 108 langen Jahre nun eine Ära, ja vielleicht sogar eine Dynasty? Eine Titelverteidigung jedenfalls hat es in der MLB seit 2000 nicht mehr gegeben - einen Cub-Titel gar seit 108 Jahren ...
Die MLB-Saison im Überblick