Insgesamt elf Jahre verbrachte Brandon Phillips bei den Cincinnati Reds, von 2006 bis 2016. Der Second Baseman gehörte durchaus zu den besten Spielern seines Fachs, wurde dreimal ins All-Star-Team der National League berufen und gewann vier Gold Gloves für seine gute Defense. Sogar einen MLB-Rekord stellte er im Juli 2015 auf, als ihm in einem Spiel zwei Homeruns, zwei Stolen Bases, vier Hits und insgesamt sieben RBI gelangen. Schuhe und Kleidung dieses historischen Tages wanderten prompt in die Baseball-Ruhmeshalle nach Cooperstown.
Sportlich war mit den Reds jedoch nur selten etwas zu reißen, und so tradete das Team seinen mittlerweile 35 Jahre alten Star im Februar 2017 zu den Atlanta Braves im Tausch für zwei Nachwuchstalente.
Als Phillips Anfang Juli im Jersey der Braves erstmals wieder in den Great American Ball Park von Cincinnati kam, musste er feststellen, dass seine Nummer 4 mittlerweile von einem anderen Spieler getragen wurde. Und zwar von einem gewissen Joseph "Scooter" Gennett, der Ende März von den Milwaukee Brewers gekommen war, nachdem er seine Second Base dort verloren hatte. 27 Jahre alt, 1,78 Meter groß und nicht gerade muskelbepackt, seit 2013 in der MLB. 38 Homeruns in knapp über 500 Spielen, Schlagdurchschnitt etwa .280. Eine solide Option, um im Lineup die Löcher zu stopfen - ein Spieler, wie es sie in der MLB zu Dutzenden gibt. Ganz sicher kein Star.
Dieser Gennett hatte also sofort die Nummer 4 geerbt, ja nicht einmal eine respektvolle Pause war ihr nach den vielen Jahren auf Phillips' Rücken gegönnt worden. "Ich kann das immer noch nicht glauben, dass die Nummer 4 ... dass jemand meine Nummer trägt", war der Rückkehrer außer sich. "Für mich ist das ein Schlag ins Gesicht." Er werde sich seinen Teil denken, ätzte er über die mittlerweile frostige Beziehung zu seinem ehemaligen Arbeitgeber.
Und nun, nach einem monumentalen Auftritt am Dienstag gegen die St. Louis Cardinals, ist die Nummer 4 ein weiteres Mal auf dem Weg in die Hall of Fame. Mit Scooter Gennetts Name auf dem Rücken. Und bald mit einer Plakette versehen, die auf vier Homeruns in einem Spiel verweisen wird.
Baseball ist (fast) unberechenbar
Über kurze Strecken ist Baseball fast unberechenbar. Klar, auf lange Sicht setzt sich irgendwann doch Qualität durch, aber in einem Sport, in dem Millimeter den Unterschied zwischen Homerun und harmloser Kerze, zwischen Strikeout und Base Hit ausmachen, hat fast jeder Spieler die Chance, an einem ganz bestimmten Tag der Beste Spieler der Welt zu sein. Deshalb braucht es 162 Spiele in der Regular Season, um über den Einzug in die Playoffs zu entscheiden. Deshalb finden sich auf der Liste der 23 Pitcher mit einem "Perfect Game" - neun makellose Innings, 27 Outs bei 27 At-Bats - Hall-of-Famer genauso wie vergleichsweise anonyme Wandergesellen. Und deshalb gab es bis Dienstag gerade mal 16 Spieler mit vier Homeruns in einem Spiel.
Wie sieht es mit den Mitgliedern im Klub der "Vier Homeruns in einem Spiel" aus? Legenden wie Willie Mays oder Mike Schmidt sind vertreten, aber nur einer gehört gleichzeitig zu Top 15 Homerun-Hittern aller Zeiten. Bobby Lowe, der Spieler, dem das 4-HR-Kunststück 1894 als erstes gelungen war - gegen die Cincinnati Reds übrigens - beendete seine Karriere andererseits mit gerade einmal 71 Long Balls. Mark Whiten, der am 17. November 1993 mit vier Homeruns und 12 RBI eine Bestmarke aufstellte, hörte nach elf Jahren, neun Teams und insgesamt 105 Homeruns auf.
Auf gut Deutsch: Manchmal muss man einfach den perfekten Tag erwischen. Man kann noch so gut sein (oder vielleicht auch einfach nur Durchschnitt), es muss einfach alles passen.
Und am Dienstagabend in Cincinnati, da passte alles bei Scooter Gennett. "So ist der Sport eben. Es geht nicht darum, wie groß oder stark man ist. Es geht um Effektivität. Und manchmal um Glück", erklärte er nach dem Spiel.
Homeruns mit der Muppet Show
"Scooter" übrigens deshalb, weil ihn seine Mutter als kleines Kind auf eine Polizeistation schleppte, um ihm eine gehörige Portion Angst einzujagen - ihr war offenbar jedes Mittel recht, so lange er sich nur anschnallte. "Ich dachte, ich bekomme Schwierigkeiten, wenn ich den Polizisten meinen richtigen Namen sage", erzählte er später. Also stellte er sich flugs als "Scooter" vor, nach seiner Lieblingsfigur aus der Muppet Show. Der Name blieb hängen. Und bald hängt er in Cooperstown.
Dabei sollte Gennett gegen die Cardinals eigentlich gar nicht spielen, schon gar nicht im Outfield. Aber weil Left Fielder Adam Duvall den Tag frei bekam und der angeschlagene Scott Schebler wegen Regens am Vortag seine lädierte Schulter nicht testen konnte, steckte Reds-Manager Bryan Price kurzerhand den Second Baseman auf das Rasenstück hinter der Third Base.
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Dort landete übrigens auch der erste Hit seines Abends, eine verunglückte Bogenlampe im ersten Inning, die zwischen den Cardinals-Spielern zu Boden fiel und den ersten Run der Partie nach Hause brachte. Danach war Gennett, der erst am Montag eine Serie von 19 At-Bats ohne Hit beendet hatte, auf Betriebstemperatur: Grand Slam nach rechts, 2-Run-Homerun durch die Mitte, 2-Run-Homerun nach links - und im achten Inning ein Solo-Shot, der gerade noch den Zaun im Right Field überquerte.
Statistiken für die Ewigkeit
Macht summa summarum 5 Hit bei 5 At-Bats, 4 Homeruns und 10 Runs Batted in. Eine solche Statistik hatte es in der ruhmreichen Geschichte der MLB noch nie gegeben. Eine der besten Hitter-Leistungen aller Zeiten.
- Seit 2012 hatte es kein Spiel mehr mit vier Homeruns gegeben (Josh Hamilton für die Texans)
- Nur fünf andere Spieler hatten es bisher auf 17 oder mehr "Total Bases" (Single = 1 Base, Double = 2 Bases, etc.) gebracht
- Keiner dieser fünf Spieler erreichte 10 RBI
- Nur 13 andere Spieler hatten in den letzten 100 Jahre 10 oder mehr RBI geschafft (Whiten und Jim Bottomley halten mit 12 RBI den Rekord)
- Nur Whiten hatte einen Grand Slam unter seinen vier Homeruns
- Nur sieben Spieler brachten es auf drei Homeruns und zehn RBI
- Fünf der vorigen 16 Spieler mit vier Homeruns sind in der Hall of Fame
"Schon fast ein Wunder"
Kein Wunder, dass Gennett seine Leistung selbst kaum glauben konnte. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich das schaffen könnte. Selbst drei Homeruns wären für mich eigentlich zu verrückt", musste er zugeben.
Ein einziges Mal waren ihm bisher zwei Homeruns in einem Spiel gelungen, vier Jahre ist das her. Nach seinem vierten Homer habe er auf der Runde um die Bases lachen müssen, so bizarr erschien ihm seine eigene Leistung: "Es ist einfach verrückt. Dass das jemandem wie mir gelingt, ist unglaublich. Schon fast ein Wunder." Dabei habe er im letzten At-Bat eigentlich gar keinen Homerun schlagen wollen: "Wenn ich mir das vornehme, klappt es nie. Ich wollte einfach ruhig bleiben und einen guten Schwung abliefern."
29 Homeruns fehlen Gennett noch, um nicht der Spieler mit den wenigsten Homeruns unter den auserwählten 17 zu bleiben. Ob er dafür nun noch ein paar Jahre oder doch nur mehrere Tage braucht: Sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm sicher - und in den Herzen der Fans aus Cincinnati sowieso. Schließlich ist er ein waschechter "Hometown Hero", in Cincinnati geboren und laut eigener Aussage Fan der Reds, seit er zwei Jahre alt ist.
Ein Wort noch zur Nummer 4: Die wollte Gennett eigentlich gar nicht: "Ich habe sie mir gar nicht ausgesucht. Aber leider wurde mir gesagt, dass es keine andere Option gibt." Sei's drum. Schließlich war es nicht nur die Nummer von Brandon Phillips, sondern von einem anderen Spieler im "Vier-Homerun-Klub". Jemandem, der ebenfalls für sein Lieblingsteam in seiner Heimat spielte. Einer absoluten Legende. Ihr Name: Lou Gehrig.