Moneyball-Pionier Billy Beane im Interview: "RB Leipzig ist eine faszinierende Geschichte"

Daniel Herzog
05. Dezember 201702:41
Billy Beane (l.) verfügt über ein breites Fußballwissenspox
Werbung
Werbung

Im zweiten Teil des großen SPOX-Interviews mit Billy Beane, dem Vice President of Baseball Operations der Oakland Athletics, spricht der Moneyball-Pionier über die Adaption seines analytischen Ansatzes im Fußball. Er erklärt seine Fußball-Leidenschaft und erzählt von seiner Arbeit beim AZ Alkmaar. Seine Verbindung zu Fußballgrößen wie Arsene Wenger und Jürgen Klinsmann kommt ebenfalls zur Sprache.

SPOX: Billy Beane, Sie sind seit fast zwei Jahrzehnten Teil des Front Office der Oakland A's in der MLB. Natürlich ist Baseball der amerikanischste Sport überhaupt, abgesehen vielleicht von Football. Aber Sie sagten einmal über sich selbst: "Ich kann von Soccer nicht genug kriegen." Können Sie diese Aussage bitte erklären? Woher kommt Ihre Liebe zum "Soccer"?

Beane: In dieser Runde sage ich lieber Fußball anstatt "Soccer". (lacht) Ich bin in den letzten 15, 16 Jahren zu einem großen Fußballfan geworden. Mein erstes Interesse am Sport entstand, als ich in Großbritannien war und gesehen habe, mit welcher Leidenschaft die Fans ihre Klubs anfeuern. Im Laufe der Jahre habe ich einige Leute kennengelernt, zum Beispiel Jürgen Klinsmann - wir sind über die Jahre enge Freunde geworden. Aber für mich selbst war es zuerst einfach nur die Leidenschaft, die Emotionen der Fans und die Geschichte des Sports an sich. All das war sehr interessant für mich.

SPOX: Und daraus wurde dann Liebe?

Beane: Letztlich bin ich dann ein Bewunderer dieser Athleten geworden. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, als ich bei Tottenham zu Gast war - ein Freund von mir war Geschäftsführer der Tottenham Hotspur. Als ich diesen Sportlern beim Training zugeschaut hatte, war ich begeistert von ihrer Athletik. Wenn diese Jungs in den Staaten aufgewachsen wären, hätten viele von ihnen Baseball gespielt: Sie würden heute vielleicht für die New York Yankees spielen und nicht für Tottenham oder Arsenal.

Billy Beane (l.) verfügt über ein breites Fußballwissenspox

SPOX: Bekommen Sie in den USA überhaupt etwas von den Spielen in Europa mit?

Beane: Das Großartige hier in den Staaten ist ja, dass wir wahrscheinlich so viel Zugang zu den Fußballspielen in Europa haben wie sonst nirgends. Obwohl ich in den letzten paar Jahren Probleme hatte, meine Bundesligaspiele zu schauen... Aber ich sage immer: Der Rest der Welt kann nicht so falsch liegen. Es ist nicht ohne Grund der größte Sport der Welt und ich wollte unbedingt herausfinden, warum das so ist. Und das habe ich geschafft.

SPOX: Sie waren auch bei einer WM.

Beane: Ja, 2006. Diese Weltmeisterschaft war vielleicht mein bestes Sporterlebnis überhaupt. Und die beste Kulturerfahrung, die ich jemals hatte - und ich hatte einige großartige Erfahrungen hier in den Staaten, inklusive der World Series. Ich hatte das Glück, beim Spiel Deutschland gegen Polen dabei zu sein. Eine große Rivalität und die deutschen Fans mit ihren Gesängen vor dem Spiel und den Flaggen, die sie auf ihre Gesichter gemalt hatten... Ich hatte Gänsehaut, als ich diese Leidenschaft der Menschen miterlebte, in ihrem Land, für ihren Sport. Und natürlich hat Deutschland gewonnen. Damals war Bastian Schweinsteiger noch sehr viel jünger als heute. (lacht) Philipp Lahm war nicht im Ruhestand und ich glaube, Michael Ballack war der Kapitän. Es war ein großartiges Team, das es bis ins Halbfinale geschafft hat. Es war überragend. Nochmal: Es ist einfach großartig, dass wir jetzt Zugang zu diesem Sport haben. Und während wir hier sprechen, wird Deutschland nun auch Zugang zu Baseball haben - zu dem Sport, den wir hier leidenschaftlich verfolgen.

SPOX: Würden Sie als Amerikaner sagen, dass die Fußball-WM größer ist als der Super Bowl oder die World Series?

Beane: Wenn ich nur eine dieser Veranstaltungen besuchen könnte, würde ich die WM wählen. Es ist einfach etwas Besonderes, die ganze Welt für einen Monat in einem Land zusammenzubringen. Was mir besonders an Deutschland gefallen hat, war wie makellos es diese Herausforderung gemeistert hat. Und natürlich die Möglichkeit, mit dem Zug zu den Spielen zu fahren. Wir waren hauptsächlich in München und es war ganz einfach, mit dem Zug zu fahren. Und ich habe wohl drei Döner am Tag gegessen. Man konnte rausgehen und sah auf den öffentlichen Plätzen Schweden, Spanier, Leute von überall auf der Welt zusammenkommen. Ich weiß nicht, wo man so etwas noch vorfindet - vielleicht bei Olympischen Spielen. Aber das war erstaunlich für mich. Ja, ich würde mich für die WM entscheiden.

SPOX: Sie sind ja bekannt für Ihr berühmtes und revolutionäres "Moneyball"-Modell. Kurz gesagt: Sie nutzen Sabermetrics, also tiefgründige Statistiken, um Spieler zu evaluieren. Im Baseball hatten Sie großen Erfolg damit und es ist bekannt, dass Sie seit zwei Jahren als Berater beim AZ Alkmaar tätig sind. Wie kam es dazu?

Beane: Ich bin jetzt schon im dritten Jahr und sehr stolz auf diese Zusammenarbeit und auf das, was der Klub schon geleistet hat. Ein sehr enger Freund von mir, Robert Eenhoorn, der aus den Niederlanden kommt und selbst einen einzigartigen Hintergrund hat, ist der Generaldirektor beim AZ Alkmaar und hat mich gefragt, ob ich ihm helfen könnte. Er selbst hat früher in der MLB für die Yankees gespielt und ging in den Staaten aufs College. Und als großer Fan war es eine überragende Erfahrung für mich, Robert und seinen ganzen Stab dort kennen zu lernen. Es ist kein großer Verein und deshalb wirklich bemerkenswert und aufregend, aus der Ferne zuzusehen, was dort aufgebaut wurde.

SPOX: Was machen Sie ganz konkret?

Beane: Robert und ich sprechen ein paar Mal die Woche und wir mailen uns öfter. Darauf bin ich sehr stolz, auch wegen der Erfolge des Teams. Nicht nur auf dem Feld, sondern auch abseits. Es ist ein sehr gesundes Business. Ich kann nicht ins Detal gehen, aber das Meiste, was wir hier tun, basiert auf objektiven Informationen und Daten. Ich helfe dem Klub, ein Analytik-Team aufzubauen, das wiederum dabei helfen soll, objektive Entscheidungen bei Spielern zu treffen und Leistungen von Spielern vorherzusagen. Robert ist einer der intelligentesten jungen Fußballfunktionäre auf dem Kontinent und es hat richtig Spaß gemacht, seinen Erfolg mit ihm zu teilen.

SPOX: Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wie Ihr analytischer Ansatz im Fußball angewandt werden könnte?

Beane: Das wird er schon, das weiß ich. Sehen Sie, das gilt eigentlich für alle Unternehmen: Alle Unternehmen und alle Sportarten haben Zugang zu Daten und Informationen und diese treiben ihre Entscheidungen voran - Fußball eingeschlossen. Wenn man diese Daten nicht nutzt und sich seinen Zugang zu Informationen nicht zunutze macht, verliert man den Anschluss. Ich kann mir ganz sicher die Art und Weise anschauen, wie manche Fußballvereine Entscheidungen treffen, und Ihnen danach sagen, ob diese Klubs moderne Analytik nutzen oder nicht, einfach anhand der Art ihrer Entscheidung. Es gibt da ein paar kleinere Vereine, die mit dieser Herangehensweise sehr erfolgreich sind. Aber weil sie kleinere Klubs sind, ist das nicht unbedingt ersichtlich. Fakt ist: Es wird genutzt.

SPOX: Im gleichen Ausmaß wie im Baseball?

Beane: Das glaube ich nicht - was wahrscheinlich eine große Chance bietet. Denn im Baseball ist es heutzutage so, dass du sehr weit zurückfällst, wenn du es nicht machst. Dabei geht es nicht nur um den Titel: Jeder macht es, weil du sonst nicht in der Lage bist, oben mitzuspielen. Und das gilt auch für jedes andere Business.

SPOX: Sie sprechen kleinere Fußballvereine an. Haben sie von diesem Verein in Dänemark gehört ...

Beane: Midtjylland! Den habe ich gemeint! Und Brentford. Die haben denselben Besitzer (Matthew Benham, Anm. der Red.).

SPOX: Midtjylland hat sich komplett der Moneyball-Revolution verschrieben. Sind Sie dort ebenfalls involviert?

Beane: Oh nein, sie sind mir nur bekannt. Ich verfolge ihren Werdegang, also kenne ich den Klub. Wie gesagt, es sind kleinere Vereine, sodass die Leute nicht unbedingt merken, was da passiert. Aber der Klub hat einige seiner Vorgehensweisen sehr klar kommuniziert. Nebenbei bemerkt - und das wird hier wohl nicht so auf Gegenliebe stoßen: Ich verfolge den Red-Bull-Verein ein wenig, den in Deutschland.

SPOX: RB Leipzig.

Beane: Ich halte das für eine faszinierende Geschichte und habe eine andere Perspektive als die Fans in Deutschland. Ich weiß, dass es kein Traditionsverein ist. Aber ich finde, dass ihr Geschäftsmodell und das, was sie geschaffen haben, erstaunlich ist, wenn man es von einem anderen Standpunkt betrachtet. Auch wenn es die deutschen Fans nicht unbedingt glücklich macht.

SPOX: Sie vertreten da eher den amerikanischen Weg ...

Beane: Ja! Ich finde es faszinierend - und ich weiß, dass ich mich hier um Kopf und Kragen rede. Ich drücke zwar Dortmund die Daumen, aber es ist eine wirklich faszinierende Business-Geschichte, wenn man sich anschaut, was RB aufgebaut hat. Da fällt es mir schwer, ihnen nicht die Daumen zu drücken.

SPOX: Lassen Sie uns auf Ihren Moneyball-Ansatz zurückkommen. Im Baseball schaut man auf Faktoren wie On-Base Percentage ...

Beane: Lassen Sie uns doch lieber über Red Bull sprechen. (lacht)

SPOX: ... aber das ist nicht ganz leicht zu übertragen. Welche Art von statistischen Informationen wären denn am wichtigsten im Fußball?

Beane: Der Begriff "statistisch" passt hier eher nicht. Auf reine Fußball-Statistiken schauen solche Teams eher nicht. Dabei handelt es sich ja um Resultate. Wir wollen den "Prozess" messen, weil das für uns ein besserer Indikator ist.

SPOX: Haben Sie ein Beispiel?

Beane: Nehmen Sie zwei verschiedene Tore - und wir wissen alle, dass manche Tore schwieriger zu erzielen sind als andere. Wie bewertet man also solche Situationen? Nochmal: zwei Tore. Eins ist ein beeindruckendes Solo von Messi, der durchs Mittelfeld dribbelt, das andere ist nur ein Abstauber nach einer guten Vorlage. Beide Treffer sollten nicht unbedingt gleich gewichtet werden. Ich weiß nicht, ob ich auf Ihre Frage spezifisch antworten kann, aber am Ende des Tages kommt man darauf, dass die Tordifferenz eines Teams etwas bedeutet. Aber wie teilt man den Anteil auf, den ein jeder Spieler an dieser Tordifferenz hatte? Und wenn man das möglichst genau messen will, muss man auch etwas abziehen, wenn jemand einen Fehler macht. Dann ist man auf dem richtigen Weg.

SPOX: Ihr Vertrag bei den A's endet in zwei Jahren ...

Beane: Glücklicherweise habe ich aufgehört, darauf zu achten. (lacht)

SPOX: Ist es möglich, dass wir Sie in einer wichtigeren Rolle bei einem Fußballverein sehen? Gibt es schon Ideen?

Beane: Ich sage mal so viel: Für den Rest meines Arbeitslebens würde ich gerne irgendwo dazugehören. Ob das zu einer größeren Rolle führt oder nicht, muss man sehen. Der Vorteil im Fußball: Man reist durch die Welt. Du bist einen Tag in München, danach in Paris oder Italien. Dabei sammelt man tolle Erfahrungen, lernt neue Menschen kennen. Das sind die Dinge, die mich anziehen. Ich war vor kurzem bei einem Board Meeting in Spanien. Da gab es zum Beispiel eine ganz tolle Paella. Das gehört einfach zur Arbeit im Fußball dazu und diesen Part genieße ich sehr. Von daher: Ich werde immer irgendwo dazugehören. Was aber meine Karriere nach dem Baseball angeht, müssen wir schauen.

SPOX: Sie hatten vor ein paar Jahren eine längere Unterhaltung mit Arsene Wenger. Ging es um einen Job bei Arsenal?

Beane: Ich bin schon seit Jahren aus der Ferne ein großer Fan von Wenger. Wir haben uns durch einen gemeinsamen Freund kennengelernt und ich habe mich ein paar Mal mit ihm unterhalten. Ich bin in erster Linie ein Bewunderer von ihm als Person - er hatte einen einzigartigen Hintergrund im Hinblick auf Sport und Sportmanagement. Er hat meines Wissens einen Abschluss in Wirtschaft, spricht mehrere Sprachen. Er hat also einen sehr intellektuellen Background, was ich faszinierend fand. Er ist außerdem sehr leidenschaftlich, sehr verbissen und arbeitet für einen Verein, der für mich zu den am besten geführten Unternehmen der Welt gehört. Wegen all dieser Dinge habe ich gerne Kontakt zu ihm. Ich würde uns nicht enge Freunde nennen, aber sicherlich Bekannte.

SPOX: Er hatte zuletzt bei Arsenal zu kämpfen. Lange war nicht klar, ob er dort weitermachen darf. Wie beurteilen Sie die Lage?

Beane: Wenn man so lange so gut ist, legt man damit auch die Messlatte höher. Manchmal muss man auf das Gesamtwerk schauen, denn das ist wirklich beeindruckend, wenn man darüber nachdenkt: Arsenal ist ein sehr erfolgreiches Business, was im Fußball nicht so einfach ist, denn es gibt einige Klubs, auf die das nicht zutrifft. Auf dem Rasen waren sie 20 Jahre am Stück in der Champions League, der beste und wohl auch am härtesten umkämpfte Wettbewerb der Welt. Und so steigen die Erwartungen der Fans. Man muss also in Ruhe darauf schauen, was er über eine sehr lange Zeitspanne geleistet hat. Aus meiner Sicht ist es sehr schwer, seine großartige Arbeit infrage zu stellen.

SPOX: Sie haben auch Bastian Schweinsteiger erwähnt. Der spielt nun bei Chicago Fire. Wenn Sie der Manager von Chicago wären, wäre Schweinsteiger dann ein Spieler, der ihrem Sabermetrics-Ansatz entspricht? Er ist zwar etwas älter, aber immer noch ein guter Spieler.

Beane: Das ist schwierig zu beantworten. Wir sprechen über einen Spieler, der vor kurzem noch in der deutschen Nationalmannschaft gespielt hat und natürlich bei Manchester United. Er ist einer der Größten in der Geschichte des deutschen Fußballs und es ist irgendwie schwer zu glauben, dass er nun einer der Älteren ist, in seinen 30ern. In manchen Fällen ist man in diesem Alter sogar noch besser am Ball, aber auch die Verletzungsgefahr steigt an. Wir sehen es auch im Baseball und im Football. Die älteren Spieler, gerade im Fußball, tragen öfter Verletzungen am Gewebe davon. Deshalb kann kann ich das nicht genau beantworten. Aber wenn ich in der MLS wäre, hätte ich nichts dagegen, ihn in meinem Team zu haben.

SPOX: Ihr Freund Jürgen Klinsmann hat einst versucht, neue Ansätze beim FC Bayern einzuführen und wurde schließlich entlassen. Muss man ihm nicht im Nachhinein Recht geben?

Beane: Schwierig. Ich war nicht eingeweiht in seine Arbeit, sondern habe Jürgen als Fan die Daumen gedrückt. In erster Linie bin ich Fan seiner Energie und Leidenschaft und seiner Karriere als Spieler. Was mir an Jürgen sofort gefallen hat, als ich ihn zum ersten Mal traf, war seine Offenheit. Er wollte Dinge anders machen als bisher und suchte nach neuen Wegen, mit dem deutschen Nationalteam zu arbeiten. Deswegen wurde ja zum Beispiel Fitnesstrainer Mark Verstegen geholt. Jürgen kam einmal zu uns ins Spring Training (die Saisonvorbereitung in der MLB, Anm. der Red.) und verbrachte einen ganzen Tag mit uns. Da habe ich ihn erstmals getroffen. Er stellte am laufenden Band Fragen und wollte immer dazulernen. Ob jemand Erfolg hat oder nicht, ist immer so eine Sache, aber wenn jemand ständig nach neuen Wegen sucht, dann bewundere ich das.

SPOX: Mal allgemein gefragt: Glauben Sie, dass es bei der Adaption von Moneyball auf andere Sportarten auch Grenzen gibt?

Beane: Es kommt darauf an, wie man es definiert. In erster Linie geht es derzeit um die Implementierung von Daten und Analytik. Wir nutzen Informationen, um Entscheidungen zu treffen. Ich denke, das funktioniert in allen Unternehmen, wie auch immer man sie nennen will. Informationen dazu zu nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen, ist immer etwas Gutes für jedes Business und jeden Sport - und sehr viel besser, als einfach nur zu raten.