SPOX: Billy Beane, Sie sind seit fast zwei Jahrzehnten Teil des Front Office der Oakland A's in der MLB. Natürlich ist Baseball der amerikanischste Sport überhaupt, abgesehen vielleicht von Football. Aber Sie sagten einmal über sich selbst: "Ich kann von Soccer nicht genug kriegen." Können Sie diese Aussage bitte erklären? Woher kommt Ihre Liebe zum "Soccer"?
Beane: In dieser Runde sage ich lieber Fußball anstatt "Soccer". (lacht) Ich bin in den letzten 15, 16 Jahren zu einem großen Fußballfan geworden. Mein erstes Interesse am Sport entstand, als ich in Großbritannien war und gesehen habe, mit welcher Leidenschaft die Fans ihre Klubs anfeuern. Im Laufe der Jahre habe ich einige Leute kennengelernt, zum Beispiel Jürgen Klinsmann - wir sind über die Jahre enge Freunde geworden. Aber für mich selbst war es zuerst einfach nur die Leidenschaft, die Emotionen der Fans und die Geschichte des Sports an sich. All das war sehr interessant für mich.
SPOX: Und daraus wurde dann Liebe?
Beane: Letztlich bin ich dann ein Bewunderer dieser Athleten geworden. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, als ich bei Tottenham zu Gast war - ein Freund von mir war Geschäftsführer der Tottenham Hotspur. Als ich diesen Sportlern beim Training zugeschaut hatte, war ich begeistert von ihrer Athletik. Wenn diese Jungs in den Staaten aufgewachsen wären, hätten viele von ihnen Baseball gespielt: Sie würden heute vielleicht für die New York Yankees spielen und nicht für Tottenham oder Arsenal.
SPOX: Bekommen Sie in den USA überhaupt etwas von den Spielen in Europa mit?
Beane: Das Großartige hier in den Staaten ist ja, dass wir wahrscheinlich so viel Zugang zu den Fußballspielen in Europa haben wie sonst nirgends. Obwohl ich in den letzten paar Jahren Probleme hatte, meine Bundesligaspiele zu schauen... Aber ich sage immer: Der Rest der Welt kann nicht so falsch liegen. Es ist nicht ohne Grund der größte Sport der Welt und ich wollte unbedingt herausfinden, warum das so ist. Und das habe ich geschafft.
SPOX: Sie waren auch bei einer WM.
Beane: Ja, 2006. Diese Weltmeisterschaft war vielleicht mein bestes Sporterlebnis überhaupt. Und die beste Kulturerfahrung, die ich jemals hatte - und ich hatte einige großartige Erfahrungen hier in den Staaten, inklusive der World Series. Ich hatte das Glück, beim Spiel Deutschland gegen Polen dabei zu sein. Eine große Rivalität und die deutschen Fans mit ihren Gesängen vor dem Spiel und den Flaggen, die sie auf ihre Gesichter gemalt hatten... Ich hatte Gänsehaut, als ich diese Leidenschaft der Menschen miterlebte, in ihrem Land, für ihren Sport. Und natürlich hat Deutschland gewonnen. Damals war Bastian Schweinsteiger noch sehr viel jünger als heute. (lacht) Philipp Lahm war nicht im Ruhestand und ich glaube, Michael Ballack war der Kapitän. Es war ein großartiges Team, das es bis ins Halbfinale geschafft hat. Es war überragend. Nochmal: Es ist einfach großartig, dass wir jetzt Zugang zu diesem Sport haben. Und während wir hier sprechen, wird Deutschland nun auch Zugang zu Baseball haben - zu dem Sport, den wir hier leidenschaftlich verfolgen.
SPOX: Würden Sie als Amerikaner sagen, dass die Fußball-WM größer ist als der Super Bowl oder die World Series?
Beane: Wenn ich nur eine dieser Veranstaltungen besuchen könnte, würde ich die WM wählen. Es ist einfach etwas Besonderes, die ganze Welt für einen Monat in einem Land zusammenzubringen. Was mir besonders an Deutschland gefallen hat, war wie makellos es diese Herausforderung gemeistert hat. Und natürlich die Möglichkeit, mit dem Zug zu den Spielen zu fahren. Wir waren hauptsächlich in München und es war ganz einfach, mit dem Zug zu fahren. Und ich habe wohl drei Döner am Tag gegessen. Man konnte rausgehen und sah auf den öffentlichen Plätzen Schweden, Spanier, Leute von überall auf der Welt zusammenkommen. Ich weiß nicht, wo man so etwas noch vorfindet - vielleicht bei Olympischen Spielen. Aber das war erstaunlich für mich. Ja, ich würde mich für die WM entscheiden.
SPOX: Sie sind ja bekannt für Ihr berühmtes und revolutionäres "Moneyball"-Modell. Kurz gesagt: Sie nutzen Sabermetrics, also tiefgründige Statistiken, um Spieler zu evaluieren. Im Baseball hatten Sie großen Erfolg damit und es ist bekannt, dass Sie seit zwei Jahren als Berater beim AZ Alkmaar tätig sind. Wie kam es dazu?
Beane: Ich bin jetzt schon im dritten Jahr und sehr stolz auf diese Zusammenarbeit und auf das, was der Klub schon geleistet hat. Ein sehr enger Freund von mir, Robert Eenhoorn, der aus den Niederlanden kommt und selbst einen einzigartigen Hintergrund hat, ist der Generaldirektor beim AZ Alkmaar und hat mich gefragt, ob ich ihm helfen könnte. Er selbst hat früher in der MLB für die Yankees gespielt und ging in den Staaten aufs College. Und als großer Fan war es eine überragende Erfahrung für mich, Robert und seinen ganzen Stab dort kennen zu lernen. Es ist kein großer Verein und deshalb wirklich bemerkenswert und aufregend, aus der Ferne zuzusehen, was dort aufgebaut wurde.
SPOX: Was machen Sie ganz konkret?
Beane: Robert und ich sprechen ein paar Mal die Woche und wir mailen uns öfter. Darauf bin ich sehr stolz, auch wegen der Erfolge des Teams. Nicht nur auf dem Feld, sondern auch abseits. Es ist ein sehr gesundes Business. Ich kann nicht ins Detal gehen, aber das Meiste, was wir hier tun, basiert auf objektiven Informationen und Daten. Ich helfe dem Klub, ein Analytik-Team aufzubauen, das wiederum dabei helfen soll, objektive Entscheidungen bei Spielern zu treffen und Leistungen von Spielern vorherzusagen. Robert ist einer der intelligentesten jungen Fußballfunktionäre auf dem Kontinent und es hat richtig Spaß gemacht, seinen Erfolg mit ihm zu teilen.
SPOX: Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wie Ihr analytischer Ansatz im Fußball angewandt werden könnte?
Beane: Das wird er schon, das weiß ich. Sehen Sie, das gilt eigentlich für alle Unternehmen: Alle Unternehmen und alle Sportarten haben Zugang zu Daten und Informationen und diese treiben ihre Entscheidungen voran - Fußball eingeschlossen. Wenn man diese Daten nicht nutzt und sich seinen Zugang zu Informationen nicht zunutze macht, verliert man den Anschluss. Ich kann mir ganz sicher die Art und Weise anschauen, wie manche Fußballvereine Entscheidungen treffen, und Ihnen danach sagen, ob diese Klubs moderne Analytik nutzen oder nicht, einfach anhand der Art ihrer Entscheidung. Es gibt da ein paar kleinere Vereine, die mit dieser Herangehensweise sehr erfolgreich sind. Aber weil sie kleinere Klubs sind, ist das nicht unbedingt ersichtlich. Fakt ist: Es wird genutzt.
SPOX: Im gleichen Ausmaß wie im Baseball?
Beane: Das glaube ich nicht - was wahrscheinlich eine große Chance bietet. Denn im Baseball ist es heutzutage so, dass du sehr weit zurückfällst, wenn du es nicht machst. Dabei geht es nicht nur um den Titel: Jeder macht es, weil du sonst nicht in der Lage bist, oben mitzuspielen. Und das gilt auch für jedes andere Business.
SPOX: Sie sprechen kleinere Fußballvereine an. Haben sie von diesem Verein in Dänemark gehört ...
Beane: Midtjylland! Den habe ich gemeint! Und Brentford. Die haben denselben Besitzer (Matthew Benham, Anm. der Red.).
SPOX: Midtjylland hat sich komplett der Moneyball-Revolution verschrieben. Sind Sie dort ebenfalls involviert?
Beane: Oh nein, sie sind mir nur bekannt. Ich verfolge ihren Werdegang, also kenne ich den Klub. Wie gesagt, es sind kleinere Vereine, sodass die Leute nicht unbedingt merken, was da passiert. Aber der Klub hat einige seiner Vorgehensweisen sehr klar kommuniziert. Nebenbei bemerkt - und das wird hier wohl nicht so auf Gegenliebe stoßen: Ich verfolge den Red-Bull-Verein ein wenig, den in Deutschland.
SPOX: RB Leipzig.
Beane: Ich halte das für eine faszinierende Geschichte und habe eine andere Perspektive als die Fans in Deutschland. Ich weiß, dass es kein Traditionsverein ist. Aber ich finde, dass ihr Geschäftsmodell und das, was sie geschaffen haben, erstaunlich ist, wenn man es von einem anderen Standpunkt betrachtet. Auch wenn es die deutschen Fans nicht unbedingt glücklich macht.
SPOX: Sie vertreten da eher den amerikanischen Weg ...
Beane: Ja! Ich finde es faszinierend - und ich weiß, dass ich mich hier um Kopf und Kragen rede. Ich drücke zwar Dortmund die Daumen, aber es ist eine wirklich faszinierende Business-Geschichte, wenn man sich anschaut, was RB aufgebaut hat. Da fällt es mir schwer, ihnen nicht die Daumen zu drücken.