Trevor Bauer ist ein Pitcher bei den Cleveland Indians - und gleichzeitig viel mehr als das. Er ist das lebende Beispiel dafür, wie man es auch ohne viel Talent an die Spitze des Baseballs schaffen und sich auf dem Weg dahin eine Menge Feinde machen kann. SPOX stellt den Mann vor, der Fans und Medien spaltet: Für die einen Kult- für die anderen Hassfigur. Und das ist ihm völlig egal.
Trevor Bauer sieht nicht aus wie ein Profisportler. Schon gar nicht wie einer der Besten seines Fachs. 1,85 Meter groß, 86 Kilogramm schwer, insofern irgendwie Durchschnitt, und wenn er seinem Tagewerk nachgeht, sieht es manchmal so aus, als würde sich seine Uniform über ein kleines Bäuchlein spannen.
Das ist im Baseball per se nichts Außergewöhnliches. Der Sport hat seit jeher einem Kaleidoskop unterschiedlichster Körperformen Platz geboten, von den Aaron Judges bis hin zu den Bartolo Colons. Trotzdem: 22 Prozent Körperfett?
Trevor Bauer drückt sich auch nicht aus wie ein typischer Sportler. Für seine auch im Ruhezustand etwas herabhängenden Mundwinkel kann er wahrscheinlich nichts, aber sie passen wie angegossen zu seiner unwirschen, manchmal säuerlichen, oft fast schon verächtlichen Art. "Ich weiß nicht, ob ich einfach keine Angst davor habe, meinen Mittelfinger ins Gesicht anderer Leute zu stecken, oder ob es mir Spaß macht. Aber es passiert ziemlich häufig", hat er einmal gesagt.
Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser verbale Mittelfinger im Gesicht von Teamkollegen landet, von Vorgesetzten, von Fans, oder via Twitter in Gesichtern auf der ganzen Welt. Trevor Bauer, so würde man es neudeutsch vielleicht formulieren, just doesn't give a f***.
gettyTrevor Bauers Weg in die MLB: Einzelgänger und Sheldon-Cooper-Verschnitt
Es dürfte nicht allzu sehr überraschen, dass dieser Trevor Bauer, der nicht aussieht wie ein Athlet und sich nicht benimmt wie ein Athlet, einen Weg hinter sich hat, der mit dem der meisten Athleten nicht viel gemein hat. Zumindest noch nicht. Der aber in Zukunft einige Nachahmer finden könnte - schließlich hat er aus einem stinknormalen, nicht wirklich begabten Kind einen Star-Pitcher gemacht.
Trevor Bauer wächst in Kalifornien auf. Er ist von Baseball besessen, ein Einzelgänger, der in seiner Jugend erbarmungslos gehänselt wird. Seine Eltern sind immerhin so wohlhabend, dass sie ihm Privatstunden mit Coaches bezahlen. Und so wie er in der Schule und in seiner Freizeit sein eigenes Ding macht, geht er auch im Sport einen eigenen Weg, mit Trainingsmethoden, die gegen sämtliche Konventionen gehen.
Kein Krafttraining, dafür unheimlich viele und weite Wurfeinheiten und eine Shoulder Tube als ständigen Begleiter. Ständig kommt es zum Knatsch mit Coaches und Mitspielern. Nicht nur deshalb, weil Bauer einen eigenen Weg geht, sondern weil er nicht damit hinter dem Berg hält, dass er es besser weiß als alle anderen. "Er erinnert mich an Sheldon Cooper von The Big Bang Theory", sagt Sonya May, die ihn als 17-Jährigen kennenlernte. "Er ist eine ehrliche Haut und beschönigt nichts, das sind die Menschen nicht gewohnt."
Eines Morgens auf der High School, so erzählt Bauer in einem faszinierenden Profil in der Sports Illustrated, sei er aufgewacht, wie üblich voller Selbstzweifel: "Warum habe ich keine Freunde? Warum mögen mich die Mädchen nicht?" Doch dann habe er sich gesagt: "Ich mag mich. Ich bin erfolgreich, ich bin klug. Ich werde aufs College gehen und Baseball spielen." Von diesem Tag an sei es ihm "scheißegal gewesen, was die Leute von mir denken."
Trevor Bauer als Baseball-Star: Auch als Nerd kann man es schaffen
Dieser Way of Life führt Bauer, der an der UCLA Maschinentechnik studiert, in die Major League Baseball als dritter Pick im Jahr 2011. Dazu, dass er es in eineinhalb Jahren, also vergleichsweise schnell, durch die Minor Leagues der Arizona Diamondbacks schafft. Und dass er nach ganzen vier Einsätzen an die Cleveland Indians abgegeben wird: Das Front Office hat keinen Bock mehr auf den bockigen Pitcher, der sich nichts sagen lässt.
Oder zumindest nur dann, wenn es in seinen Augen auch Hand und Fuß hat. "Ich werde alles tun um besser zu werden, und diesen Prozess habe ich wahrscheinlich genauer untersucht als du. Sag mir nicht, was ich alles nicht weiß, wenn du dich nicht auf verdammt gute Daten berufst", sagt er.
In diesem Punkt könnte Bauer zumindest nicht unrecht haben. Es ist sein obsessiver Arbeitseifer, der ihn in die Major League gebracht hat, und diesen hegt und pflegt er. In der Offseason trainiert er mit modernster Technik und Hochgeschwindigkeitskameras, die seine Pitches auf Tausendstelsekunden herunterbrechen. Zwischen den Einheiten jagt er einen Milliampere durch seinen Schädel, weil das den Lernprozess beschleunigen soll. Seinen Bewegungsablauf hat er minutiös an All-Time-Strikeout-König Nolan Ryan angeglichen.
Nichts überlässt er dem Zufall. "Was man von ihm lernen sollte", sagt Kyle Boddy, der Gründer der Driveline-Akademie, wo Bauer traniert, "ist, dass es verdammt nochmal möglich ist, in den Big Leagues zu pitchen. Auch dann, wenn du nur ein durchschnittlicher Nerd bist."
Auf diese Art und Weise hat es Bauer zu einem Arsenal von sechs unterschiedlichen Pitches gebracht - gelernt, verfeinert, oder auch mal von gegnerischen Pitchern mit Hilfe seiner Kameras abgekupfert. Er hat seinem Fastball ein paar Meilen mehr an Geschwindigkeit aufgebrummt und sein Earned Run Average (ERA), also die Runs, die er im Schnitt zulässt, in der letzten Saison auf starke 2.21 gedrückt. Das brachte ihm im Voting für den Cy-Young-Award für den besten Pitcher Platz sechs ein. Bauer selbst ist übrigens der Meinung, dass er den Award hätte gewinnen müssen, hätte ihn eine Verletzung nicht ein paar Spiele gekostet. An Selbstvertrauen hat es ihm noch nie gemangelt.
Trevor Bauers Ecken und Kanten: Die "Ihr könnt mich"-Attitüde
Wer bis zu diesem Punkt gelesen hat, der müsste Bauer eigentlich für Everybody's Darling halten. Ein Spieler, der es durch harte Arbeit und moderne Analytics nach ganz oben gebracht hat? Ein Typ mit Ecken und Kanten? Was will man mehr?
Das Problem ist, dass Bauers Ecken und Kanten manchmal extrem scharf sein können. Den "Sheldon Cooper" der Cleveland Indians gibt es nicht nur in der "Liebenswerter Sonderling"-Edition, sondern ausschließlich als Gesamtpaket, die "Ihr könnt mich alle"-Attitüde im Preis inbegriffen. Mit unterschiedlichen Seiten, die man erst einmal zusammenbringen muss.
Schließlich gibt es auch den Trevor Bauer, der zwar nicht Donald Trump gewählt hat, aber sich dennoch über die liberalen Medien beschwert. Der den menschengemachten Klimawandel zumindest skeptisch sieht. Den, der sich für Fans mit Behinderungen einsetzt, aber gleichzeitig ohne Feingefühl gegenüber Schwächeren agiert. So führte ein negativer Tweet einer Studentin dazu, dass Bauer mit seinerseits über einhundert Tweets über sie herfiel und einen Privatkrieg anzettelte - für jemanden, der sich öffentlich gegen Bullying stellt, ein erstaunlicher Mangel an Feingefühl.
getty"69"-Witze und Beziehungsverbot: Trevor Bauer - Asket mit Bauchansatz
Bauer ist jemand, der sofort zur Stelle ist, wenn ein Teamkollege Hilfe in Sachen Pitching-Mechanik braucht. Aber auch jemand, der sie öffentlich kritisiert, wenn sie diese Hilfe nicht wollen. Der anderen Teams Betrug vorwirft und sein eigenes Team des Rufmordes bezichtigt: Die Indians hätten seinen Charakter in Frage gestellt, als es darum ging, vor einem Schiedsgericht sein Gehalt für 2019 auszuhandeln, schimpfte er.
Der 28-Jährige kennt keine Bescheidenheit, nicht einmal falsche. Er bahnt sich seinen eigenen Trampelpfad durchs Leben in der Öffentlichkeit. Die Spendenkampagne, mit der er tausende Dollar an Bedürftige vermittelt? Sie ist gehüllt in "420"- und "69"-Witze und wird begleitet von einem völligen Mangel an Zurückhaltung. Doppelt witzig macht sie übrigens die Tatsache, dass Bauer eben nicht raucht und noch nie in seinem Leben betrunken war. Der Asket mit dem Bauchansatz.
Ein weiteres Beispiel gefällig? Seine Kontakte zum anderen Geschlecht hat Bauer durch drei Regeln definiert: Keine Gefühle, keine Social-Media-Posts über ihn - und keine Monogamie. Die Familie soll irgendwann kommen, noch hat Baseball allerdings die oberste Priorität. Das ganze folgt seiner inneren Logik, die man annehmen kann, oder eben auch nicht: "Wenn ich jetzt verheiratet wäre, wäre ich ein schlechter Ehemann."
Trevor Bauer: Hass- und Kultfigur in einem
Aus diesem Gesamtpaket darf sich jeder Beobachter herauspicken, was ihn an Bauer fasziniert - oder auch abstößt. In den USA ist er unter Spielern, Baseball-Fans und Medien Kult- und Hassfigur gleichermaßen. "Liebt mich. Hasst mich. Mir egal", sagte er am Rande des All-Star Games 2018. Dass ihn einige Mitspieler als Egoisten sehen, prallt an ihm ab: "Je besser ich spiele, desto besser ist das Team. Deshalb sollten sie eigentlich wollen, dass ich egoistisch bin."
Nach seiner bärenstarken Saison 2018 geht Bauer die Konstanz in dieser Saison bisher ab. Am Dienstag ließ er beim 2:1-Erfolg seiner Indians (34-32) gegen die Reds in 7.2 Innings nur einen Run zu, fünf Tage zuvor waren es jedoch gleich fünf Runs gegen die Twins - dem deutschen Max Kepler servierte er dabei gleich drei Homeruns. Sein ERA beträgt unscheinbare 3.71. Er sei körperlich angeschlagen, erklärt er, und überhaupt, natürlich ist es nicht sein Fehler: "In den letzten eineinhalb Monaten hatte ich einfach kein Glück."
Er geht davon aus, dass ihn die Indians, die nicht gerade im Geld schwimmen, angesichts seines Gehalts von 13 Millionen Dollar vor der Trade Deadline an einen Titelanwärter abgeben werden. Ein Jahr später wird er zum Free Agent, hat aber kein Interesse an einem langfristigen Vertrag. Der Grund: Er habe eine Wette mit einem Freund laufen. Sollte er keine Einjahresverträge unterschreiben, darf der ihm eine Paintball-Kugel in die Kronjuwelen verpassen.
Trevor Bauer: "Ich kann genau zwei Dinge gut auf dieser Welt"
Wie so oft weiß man bei Bauer nicht, ob es sich um die Wahrheit handelt oder um triefenden Sarkasmus. Manchmal, so scheint es, liegen diese Dinge sehr nah beieinander - und manchmal scheint es, als kenne nicht einmal er selbst den Unterschied nicht.
Bis 2036 will Bauer seine aktive Karriere fortsetzen, der verrücken Trainingsmethodik sei Dank, und in dieser Zeit zum bekanntesten Spieler überhaupt werden. Oh, und Milliardär natürlich: "Einfach nur, damit ich sagen kann, dass ich es geschafft habe."
Ein paar Jahre bleiben ihm also noch auf dem Baseball-Diamond. Jahre, in denen Gegner hilflos nach seinem gefürchteten Slider wedeln werden. Jahre, in denen er sich auf Twitter sicherlich noch das eine oder andere Scharmützel liefern wird. "Ich kann genau zwei Dinge gut auf dieser Welt", hat er einmal gesagt: "Einen Baseball werfen und andere Leute wütend machen."
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.