DiLeo: Der zweite NBA-Deutsche

Haruka Gruber
21. September 201113:07
Tony DiLeo arbeitete von 1990 an für die Philadelphia 76ersImago
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Er ist ein NBA-Urgestein: Tony DiLeo hat als Executive und Scout die Philadelphia 76ers über 20 Jahre mitgeprägt - und verzichtete freiwillig auf den Traumjob des Headcoaches. Jetzt könnte es den 56-Jährigen als neuer Bundestrainer in seine zweite Heimat nach Deutschland zurückziehen. Ein Interview über eine ungewöhnliche Karriere.

SPOX: Sie sind ein Wanderer zwischen zwei Welten: Sie arbeiteten die letzten 21 Jahre in der NBA für die Philadelphia 76ers, zuvor haben Sie elf Jahre in Deutschland große Erfolge als Trainer gefeiert. Was sagen Sie NBA-Fans, die nichts mit dem europäischen Basketball anfangen können?

Tony DiLeo: Man muss sich nur die EM anschauen, um die Vorzüge des europäischen Basketballs zu erkennen. Früher waren die Teams auf jeder Position sehr gut ausgebildet, aber vieles hat sich auf die Offensive beschränkt. Mittlerweile hat sich aber auch der Standard in der Defense sehr verbessert. Außerdem ist das generelle Niveau gestiegen: Mannschaften wie Frankreich, die schon immer gute Einzelspieler hatten, treten viel mehr als Kollektiv auf, kleinere Länder wie Finnland und vor allem Mazedonien haben enorm aufgeholt. Sie gleichen basketballerische Defizite mit einer harten und sehr klugen Spielweise aus - was dazu führt, dass die meisten Partien bei der EM sehr knapp ausgehen. Für den Fan, aber auch für den Taktik-Experten ist die EM sehr spannend.

SPOX: Wie sehen Sie die Leistungen der Schiedsrichter? Vor allem in Deutschland wird bemängelt, dass zu viel zugelassen wurde gegen Dirk Nowitzki und Chris Kaman.

DiLeo: Aber der europäische Basketball ist nun mal sehr physisch. Ich finde die Linie der Schiedsrichter gar nicht so schlecht. In der NBA geht durch die zahlreichen Fouls der Fluss verloren, bei der EM hingegen gibt es einen Flow im Spiel, weil nicht so viel abgepfiffen und weniger unterbrochen wird. Das Spiel ist schneller und kurzweiliger.

SPOX: Wie sehen Sie das Abschneiden der deutschen Mannschaft?

DiLeo: Ich fand, dass die Mischung in der Mannschaft gut gepasst hat: Zwei Stars mit Dirk und Kaman, die beide einen guten Job erledigt haben, und eine Gruppe von fleißigen und hart spielenden Rollenspielern. Dass es am Ende doch nichts wurde, lag aus meiner Sicht vor allem an den kleinen Positionen. Ein Guard, der penetriert und freie Würfe für die Mitspieler kreiert, war die eine große Sache, die im Puzzle gefehlt hat.

SPOX: Wie sehen Sie nach Nowitzkis und Kamans vorerst letzten Länderspiel-Einsätzen die zukünftigen Chancen der Deutschen? Holger Geschwindner bemängelt im SPOX-Interview, dass es nicht sein könnte, dass das bevölkerungsreichste Land Europas mit Dirk Nowitzki nur einen NBA-Spieler produziert.

DiLeo: Das Fundament ist vorhanden. Die U 20 wurde bei der EM Fünfter, auch die A 2 hat sich bei der Universiade als Sechster gut geschlagen. Es gibt also eine junge Generation. Entscheidend wird nun sein, ob sie Spielzeit in der BBL bekommt. Das Talent ist vorhanden, doch was fehlt, ist eine Perspektive. Die Jungs müssen die Chance sehen, dass Sie einen Unterschied ausmachen können, dass sie tatsächlich etwas verändern können. Das gibt einem den letzten Kick, um es nach ganz oben zu schaffen. In der BBL jedoch bekommen nach wie vor die Ausländer die meisten Einsätze...

SPOX: ... weswegen es viele deutsche Talente in die USA an die Colleges zieht - was wiederum einigen deutschen Klubs nicht gefällt.

DiLeo: Es gibt nichts Wichtigeres als Spielminuten. Wenn man sie an einem College bekommt, wo ein junger Spieler auch noch eine andere Art des Basketballs und eine andere Art des Coachings lernt - was soll daran schlecht sein? In den USA werden tolle Möglichkeiten geboten.

SPOX: Sie könnten die Zukunft des deutschen Basketballs entscheidend prägen, immerhin gehören Sie zu den Kandidaten für die Nachfolge von Bundestrainer Dirk Bauermann. Wie ist der Stand?

DiLeo: Wir müssen sehen, was die Zukunft bringt. Ich bin immer bereit, dem DBB zu helfen, in welcher Funktion auch immer. Der deutsche Basketball prägte einen großen Teil meines Lebens.

DiLeo interessiert: Bauermann-Nachfolger aus der NBA?

SPOX: Sie leben seit 1990 in den USA. Wie genau verfolgen Sie den deutschen Basketball?

DiLeo: Ich bin nicht der Überexperte, das geht glaube ich auch nicht. Aber ich informiere mich, wie die Jugend-Nationalmannschaften spielen. Und ich weiß natürlich, welche Hoffnungen in den Einstieg des FC Bayern gesetzt werden und dass die BBL als Liga in den nächsten Jahren stark wachsen will.

SPOX: Wie sieht es mit ihren Deutsch-Kenntnissen aus?

DiLeo: (antwortet in deutsch) Ich verstehe alles. Manchmal fallen mir beim Sprechen nicht sofort die richtigen Worte ein, weil bei uns zuhause nur in den ersten Jahren deutsch geredet wurde. Als mein Sohn T.J. in die Schule kam, haben wir komplett auf Englisch umgestellt. Zweisprachige Erziehung ist wirklich nicht einfach. Aber mittlerweile wird wieder mehr Deutsch bei uns gesprochen. T.J. hat sich zum Beispiel an der Uni für einen Deutsch-Kurs eingeschrieben.

SPOX: Und mit einem Umzug weg aus Ihrer Geburtsstadt Philadelphia könnten Sie sich und Ihre Frau Anna, die aus Deutschland stammt, anfreunden?

DiLeo: Ich dachte immer, dass ich nach meiner Zeit in der NBA nach Europa zurückkehre und als Trainer arbeite, wenn meine Kinder aus dem Haus sind und ans College gehen. T.J. ist schon im dritten Jahr in Temple, mein jüngster Sohn Max zog diesen Sommer aus und beginnt sein Freshman-Year. Meine Frau würde ohnehin gerne wieder in Deutschland leben.

DiLeo über seinen Weltrekord und das harte Leben als NBA-Headcoach

SPOX: Wie sind Sie vor über 30 Jahren in Deutschland gelandet?

DiLeo: Da war viel Zufall dabei. Ich war ein ganz ordentlicher College-Spieler und habe von der NBA geträumt. Aber direkt nach meinem Uni-Abschluss brach ich mir das Fußgelenk und ich musste die Tryouts absagen. Es war bitter, es gab bereits Gespräche mit NBA-Teams. Stattdessen hat mir mein älterer Bruder Frank, der schon in Hagen gespielt hat, einen Kontakt vermittelt. Daher habe ich meine Sachen gepackt und bin 1979 rüber nach Deutschland.

SPOX: Wo Sie einerseits den Damen-Bundesligisten Agon 08 Düsseldorf trainierten und parallel beim Zweiligisten Odenkirchen selbst spielten.

DiLeo: Das mit dem selbst Spielen habe ich die gesamten elf Jahre in Deutschland nie aufgegeben, aber das lief nebenher. Der Fokus lag auf dem Trainieren. Ich wusste schon am La-Salle-College, dass meine Zukunft im Coaching liegt. Ich habe meinem damaligen Trainer Paul Westhead, der später mit dem Lakers den NBA-Titel gewann, sehr gut zugehört und parallel sehr viele Fachbücher gelesen.

SPOX: Mit Erfolg: Sie wurden mit Düsseldorf in Ihren ersten sieben Jahren immer Meister, bekamen mit 136 Siegen in Folge einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde und erreichten zweimal das Finale des Europapokals der Landesmeister. Wie sah der DiLeo-Basketball aus?

DiLeo: Ich habe die Philosophie von Paul Westhead übernommen: Es ging darum, die Verteidigung nicht zu vernachlässigen, aber in der Offensive schnell zu spielen und viel zu punkten. Mit Saturn Köln habe wir einmal mit 144 erzielten Zählern in einer Partie den Rekord in der Männer-Bundesliga aufgestellt.

SPOX: Ihr Wechsel vom Frauen- zum Männer-Basketball verlief problemlos. Mit Saturn Köln holten Sie in den ersten beiden Jahren 1987 und 1988 ebenfalls gleich zwei Meistertitel. Wie schmerzhaft war es, 1990 nach dem Kölner Konkurs Deutschland zu verlassen?

DiLeo: Es fiel mir nicht leicht, andererseits wusste ich, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war. T.J. kam einige Monate davor auf die Welt und wir wollten ein neues Leben in den USA beginnen. Als sich dann die Gelegenheit mit Philadelphia ergeben hatte, musste ich zuschlagen.

SPOX: Wie kam der Kontakt mit den 76ers zustande?

DiLeo: Ich habe vorher schon aus Deutschland geholfen, indem ich ihnen Videos und Scouting-Berichte aus Europa zusammengestellt habe. Damals riet ich den 76ers unter anderem dazu, Vlade Divac zu draften, was sie nicht gemacht und vermutlich bereut haben. (lacht) Auf jeden Fall standen wir immer in Kontakt und 1990 bekam ich die Stelle als Scout. Später wurde ich Assistenzcoach, Direktor für das Scouting, Direktor für Player Personnel, Vizepräsident, kurz Headcoach und wieder Vizepräsident.

SPOX: Für Aufsehen in der NBA sorgten Sie 2008/2009: Mitten in der Saison übernahmen Sie die 76ers als Headcoach, führten den Klub in die Playoffs - und zogen es im Sommer vor, freiwillig in den Hintergrund zurückzukehren als Vizepräsident und Assistant General Manager. Warum gaben Sie eine solche Chance aus der Hand?

DiLeo: Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens. Ich hatte als Headcoach richtig Spaß und auch Erfolg. Wir waren nicht weit davon entfernt, in der ersten Playoff-Runde die Orlando Magic auszuschalten, die es später in die Finals schafften. Doch für die Familie war es das Beste, dass ich mich zurückziehe. Meine Frau hat unter dem Druck gelitten, dem ich als Trainer ausgeliefert war. Und: Ich wollte unbedingt T.J. und Max am College und in der Highshool beim Basketball spielen zusehen. Als Headcoach wäre das unmöglich gewesen. Die Zeit verfliegt so schnell und man bekommt sie nie wieder.

T.J. DiLeo im Interview: Lieber FC Bayern als Premier League

SPOX: Wie anstrengend ist das Leben eines NBA-Headcoaches?

DiLeo: Das Anstrengende ist das ständige Nachdenken. Wenn ich nach Hause gekommen bin, war ich nie wirklich zuhause, weil ich mir überlegen musste: Wie soll die nächste Trainingseinheit aussehen? Wie stelle ich das Team auf den nächsten Gegner ein? Man kann nicht einmal für eine Sekunde abschalten.

SPOX: Und der Umgang mit den NBA-Egos?

DiLeo: Die NBA ist eine Liga, die von den Spielern regiert wird. Am College hat ein Trainer viel mehr Handhabe, in der NBA hingegen bleibt einem Coach als einziges Druckmittel die Spielzeit, weil die Stars so große Verträge haben, dass es sich die Klubs nicht leisten können, sie zu verärgern. Dennoch glaube ich, dass ich gut mit den Spielern umgehen konnte: Wenn man ehrlich ist und gewissenhaft den Job erledigt, wird man respektiert.

SPOX: Scott Brooks fing wie Sie vor drei Jahren bei den Oklahoma City Thunder als Interimstrainer an - und ist nun der Headcoach eines Titelkandidaten. Denken Sie häufig darüber nach, dass Sie in einer ähnlichen Lage sein könnten?

DiLeo: Sogar sehr, sehr häufig. Die Saison nach meinem Rückzug als Headcoach verlief mit 55 Niederlagen furchtbar für die 76ers. Dann überlegt man immer wieder, wie es gelaufen wäre, wenn ich meine Arbeit weitergeführt hätte. Aber im Endeffekt komme ich immer zum gleichen Schluss: Ich habe mich aus dem richtigen Grund dazu entschlossen, als Headcoach aufzuhören: die Familie.