NBA

Scalabrine: "Nur Jordan und Pippen sind vor mir"

Von Interview: Haruka Gruber
SPOX-Reporter Haruka Gruber traf sich mit Brian Scalabrine zum Interview
© bjoern greif

Ein unterirdischer Basketballer oder doch Kult? Brian Scalabrine verkörpert das Gute der NBA und wird geliebt wie ein Superstar. In Italien ist "White Mamba" plötzlich eine Attraktion: Der 33-Jährige spielt seit dieser Saison für Benetton Treviso. Seine Mannschaft steckt in der Findungsphase und verlor zuletzt beim FC Bayern den Eurocup-Auftakt. Der NBA-Champ von 2008 (mit Boston) gehört aber zu den Lichtblicken.

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SPOX: Sie haben bei Ihrer Vorstellung bei Benetton Treviso erzählt, dass Sie einer der erfolgreichsten NBA-Spieler der Geschichte seien: Kaum jemand hätte als Starter eine so hohe Siegquote wie Sie. Hand aufs Herz: Stimmt das?

Brian Scalabrine: Michael Jordan und Scottie Pippen sind vor mir, aber abgesehen von ihnen kommt da nicht viel. Vielleicht zählt Tim Duncan noch dazu, sonst müsste es das gewesen sein, das hat mir ein Statistiker mal errechnet. Er sagte mir, dass meine Mannschaften 63 Prozent der Spiele gewannen, wenn ich in der ersten Fünf stand. 63 Prozent!

SPOX: Ohne despektierlich klingen zu wollen, aber Ihr Ruf als Basketballer ist mies. Von "ESPN" wurden Sie zum schlechtesten Celtics-Spieler aller Zeiten gewählt.

Scalabrine: Ich weiß, die meisten Leute denken, dass ich den Beruf verfehlt hätte. Das interessiert mich aber null. Wie kann ich der schlechteste Celtics-Spieler aller Zeiten sein, wenn ich als Starter eine Siegquote von 63 Prozent habe? Wie kann es sein, dass aus der NBA zig Spieler rüberkommen und lange nicht so erfolgreich sind wie ich? Ich wette: Man holt 200 NBA-Profis rüber nach Europa - und keiner von ihnen schafft es, auf dem gleichen Niveau zu spielen wie ich.

Brian Scalabrine im SPOX-Porträt: Der schlechteste Publikumsliebling aller Zeiten

SPOX: Sie sind ein Faszinosum der NBA: Trotz der Zweifel an der basketballerischen Klasse und den unzähligen Witzen darüber sind Sie populär wie kaum ein Zweiter. Selbst bei Auswärtsspielen wurden Sie lauter bejubelt als manch ein Superstar. Wie wird man zum Kult in der größten Liga der Welt?

Scalabrine: Zunächst einmal eine Bitte. Schreibt bitte so oft und so groß es geht einen unumstößlichen Fakt: Es gibt keinen Ersatzspieler, der so beliebt ist wie ich. In der Geschichte des Basketballs gab es keinen zwölften Mann, der so gefeiert wurde wie ich. Ich bin mit Abstand der beliebteste Spieler, der nie spielt.

SPOX: Woher kommt das?

Scalabrine: Die Massen lieben mich, weil sie wissen, dass ich hart arbeite. Sie wissen, dass ich ein bisschen wie der Durchschnittstyp bin, der nicht so gesegnet ist wie die ganzen Super-Athleten in der NBA, aber sich dennoch durchgebissen hat. Ich glaube, ich erinnere die Leute an die gute, alte Zeit.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Scalabrine: Wenn ich mir eine Zeit aussuchen könnte, in die ich per Zeitmaschine zurückreisen könnte, wäre es das Amerika direkt nach dem zweiten Weltkrieg. Damals herrschte eine ganz andere Mentalität als heute. Es war eine Zeit, als jeder Mensch mit Stolz seine Arbeit verrichtete. Der Mann ging stolz zur Arbeit und kümmerte sich stolz um die Familie. Der Beruf war nicht einfach nur ein Job, um an Geld ranzukommen, sondern wurde als Chance ergriffen, um etwas Produktives für die Gesellschaft beizutragen und den Kindern Werte wie Fleiß beizubringen. Es muss eine schöne Zeit gewesen sein. Irgendwie lebt in mir der Geist der Arbeiter von damals.

SPOX: Sie spielen erst seit einigen Wochen in Treviso und waren sofort ähnlich populär.

Scalabrine: Sie lieben mich wirklich. Bevor ich überhaupt da war, haben sie sich einen Song auf Italienisch für mich ausgedacht, den sie gleich am ersten Tag für mich sangen. "Scalabrine ist einer von uns, Scalabrine ist einer von uns", heißt es übersetzt. Bei jedem Heimspiel wird er angestimmt. Diese Liebe will ich zurückgeben, indem ich sie mit gutem Basketball unterhalte. Das ist meine Mission.

SPOX: Sie haben sich sofort als einer der Go-To-Guys des Teams etabliert und liefern in der italienischen Liga 11,7 Punkte bei einer Wahnsinns-Quote von 75 Prozent aus dem Feld sowie 5,3 Rebounds. Wie sehr genießen Sie es, auch mal der Star zu sein?

Scalabrine: So viel anders ist es gar nicht als in der NBA: Es geht immer nur um die Möglichkeit zu spielen und Würfe zu bekommen. Als ich 2005 mit 29 Punkten gegen Golden State meinen NBA-Karriererekord aufstellte, wusste ich das auch richtig einzuschätzen: Jason Kidd, mein damaliger Teamkollege in New Jersey, schenkte mir mit seinen Pässen bestimmt 15 Punkte, dazu durfte ich so viele Würfe nehmen wie selten. In Treviso ist es ähnlich: Wie früher als Rollenspieler in der NBA warte ich darauf, angespielt zu werden. Der einzige Unterschied ist, dass das in Italien viel häufiger passiert.

SPOX: Es fällt schwer, Ihren tatsächlichen Wert als Basketballer zu beziffern.

Scalabrine: Muss man das denn? Meine 63 Prozent Siegquote als Starter sind super und ich weiß, dass ich auf dem Parkett auch Mitspieler wie Garnett und Ray Allen besser gemacht habe. Anders als die Mehrheit in der NBA kenne ich die Grundlagen des Spiels, weil ich seit der Highschool bis zu Tom Thibodeau bei den Bulls unglaublich gute Trainer hatte, die mir alle Facetten beibrachten. Ich behaupte: Ich habe mehr Ahnung von Basketball als alle oder zumindest fast alle Experten bei "ESPN". Andererseits weiß ich auch, dass ich nie gut genug war, um bei einem Championship-Team in der Starting Five zu stehen.

SPOX: In Italien gehören Sie zu den Attraktionen der Liga. Warum haben Sie jedoch bei Benetton unterschrieben und nicht bei einem Euroleague-Team?

Scalabrine: Ganz einfach: Ich wäre auch gerne nach Spanien oder nach Deutschland gewechselt, aber mir hat niemand einen Vertrag angeboten.

SPOX: Nein?

Scalabrine: Ich hatte nur einen Klub, der mich wollte, und das war Benetton. Okay, es gab auch was aus Russland, doch dort wollten wir wegen der Kälte nicht hin. Außerdem ist Treviso eine tolle Stadt für die Familie und ich finde es charmant, zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Mein Ururgroßvater stammt aus Italien.

SPOX: Ist eine Einbürgerung und im Falle dessen sogar die italienische Nationalmannschaft ein Thema?

Scalabrine: Ich weiß gar nicht, ob sie mich wollen, in Italien gibt es eine Menge guter Spieler. Auf jeden Fall bemühe ich mich um den italienischen Pass und wenn es klappt und sich die Gelegenheit ergibt: Warum nicht?

SPOX: Sie deuteten an, womöglich länger als diese Saison in Italien zu bleiben. Könnten Sie auf der anderen Seite aus Ihrem Ein-Jahres-Vertrag austreten, sollte die NBA wider Erwarten starten?

Scalabrine: Sagen wir es so: Darüber wurde noch nicht abschließend befunden. (lacht)

SPOX: Wie verfolgen Sie den Verlauf des Arbeitsstreits?

Scalabrine: Mich interessiert es sehr. Twitter ist eine tolle Erfindung, sonst surfe ich die Internet-Seiten ab und halte mich über meine Ex-Mitspieler auf dem Laufenden: Eddie House, Kevin Garnett, Jason Kidd, James Posey, sie alle gehören zu den engen Kumpels, mit denen ich in Kontakt stehe.

SPOX: Die Öffentlichkeit weiß nicht recht, wer die Hauptschuld an der Misere trägt: Die Hardliner-Besitzer oder die gierigen Profis. Zuletzt gab es Kritik an den Spielern, weil sie sich in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht in Verzicht üben. Zu Recht?

Scalabrine: Alleine schon die Frage impliziert, dass es offenbar Vorurteile gibt. Warum wurde das Adjektiv "gierig" nicht auch bei den Besitzern benutzt? Niemand scheint zu verstehen, um was es wirklich geht.

SPOX: Nämlich?

Scalabrine: Geld spielt nur eine untergeordnete Rolle, das kann ich versichern. Die Spieler wissen nur zu gut, wie privilegiert sie sind, als dass sie sich beschweren würden. Nein, es geht um etwas viel Wichtigeres: Es geht um das System an sich. Die Besitzer wollen die Möglichkeit von Free Agents einschränken, damit nicht alle zu den Topteams wechseln. Die kleinen Klubs sollen so bessere Chancen bekommen, mit den Big-Market-Franchises mitzuhalten. Die Spieler hingegen wollen weiter frei sein, wenn ihr Vertrag ausläuft. Jedem sollte es überlassen sein, für wen er arbeitet. Wenn sich die Besitzer jedoch durchsetzen, muss ein Spieler im schlimmsten Fall sein Leben lang gegen seinen Willen bei einem Klub bleiben.

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