"Die Celtics beobachten Robin Benzing"

Von Interview: Haruka Gruber
Blick in die Vergangenheit: Mike Taylor jubelt in Ulm unter anderem mit Robin Benzing (2.v.r.)
© Getty

Mit einem Knall verabschiedete sich Mike Taylor als Trainer von Ratiopharm Ulm aus der BBL - und findet sich plötzlich im Vorhof der NBA wieder: Als Head Coach von Bostons Farmteam Maine Red Claws. Wie kam es dazu? Der 40-Jährige über Networking, Flüge in der Economy Class und Robin Benzing.

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SPOX: Herr Taylor, ein Jahr nach der unschönen Trennung in Ulm finden Sie sich plötzlich im Vorhof der NBA wieder: Die Boston Celtics ernannten Sie zum Head Coach des Farmteams Maine Red Claws. War Ihr Bewerbungsschreiben so überzeugend?

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Mike Taylor: In der Basketball-Welt läuft es ein bisschen anders ab als im normalen Berufsleben. Einer der wichtigsten Punkte ist das Networking. Ein paar Freunde aus dem Business wussten, worauf ich Lust habe, und halfen mir dabei, dass die richtigen Türen aufgehen. So wurde Boston auf mich aufmerksam und es gab zunächst ein Interview mit Austin Ainge, dem Director of Player Personnel der Celtics. Daraufhin bat man mich zu einem zweiten Interview mit Danny Ainge, Austins Vater und Präsident der Celtics, und dem Rest des Staffs.

SPOX: Warum ist die Wahl auf Sie gefallen?

Taylor: Es hat Boston gefallen, dass ich viele Jahre in Europa und vergangene Saison in der D-League als Top Assistant Coach für die Rio Grande Valley Vipers, dem Farmteam der Houston Rockets, Erfahrung gesammelt habe. Und es war den Celtics wichtig, dass ich weiß, wie man mit jungen Spielern arbeitet und sie entwickelt.

SPOX: Wie wichtig ist den Celtics ihr Farmteam?

Taylor: Sehr, sehr wichtig. Die ersten drei Jahre teilte sich Boston das Farmteam mit Charlotte sowie Philadelphia, doch jetzt kommt die erste Saison, in der die Celtics über die komplette Kontrolle verfügen. Entsprechend groß ist die Unterstützung für mich, damit ich meine Ziele erreiche. Ich soll die Spieler der Red Claws entwickeln und den Spielstil der Celtics so übernehmen, damit der Übergang von der D-League in die NBA so einfach wie möglich wird.

SPOX: Rund ein Viertel aller aktuellen NBA-Spieler kamen in der D-League zum Einsatz. Wie gut ist die Entwicklungsliga?

Taylor: Die Qualität ist hoch und es ist die perfekte Plattform, um sich an die NBA zu gewöhnen, weil die Regeln und der Basketball-Style genau die gleichen sind. Dass das Niveau der D-League nicht weit weg ist, zeigen die Statistiken, wie viele Spieler es in die NBA oder zu einem Topklub in Europa schaffen.

SPOX: Der große Unterschied: In der NBA verdient ein Profi im Schnitt über fünf Millionen Dollar, in der D-League hingegen beträgt das Maximal-Gehalt gerade einmal 30.000 Dollar.

Taylor: Was die Annehmlichkeiten betrifft, ist die D-League definitiv nicht die NBA. Und das betrifft nicht nur die Gehälter. Man übernachtet in ganz anderen Hotels, man bekommt keine Charterflüge sondern nimmt normale Linienflüge und sitzt in der Economy Class, man muss sich manchmal auch mit dem Bus zufriedengeben, man spielt in kleineren Arenen vor wenigen Zuschauern. All das hilft aber dabei, um sich als Spieler immer daran zu erinnern, dass ein, zwei Schritte vor einem liegen und dass das Profileben nicht immer einfach ist. Dennoch ist die D-League eine tolle Institution, weil es einem die Möglichkeit gibt, so gut wie möglich die NBA zu simulieren und an seinem Spiel zu arbeiten. Nicht umsonst werden in der D-League großartige Storys geschrieben wie die von Jeremy Lin: Er legt für die Erie BayHawks ein Triple-Double auf, wird zur Belohnung in den Knicks-Kader berufen - und wird zur NBA-Sensation schlechthin.

SPOX: Träumen Sie selbst von einer derartigen Cinderella-Story? Erik Spoelstra begann bei den Heat als Video-Analyst und ist nun gefeierter Meister-Coach.

Taylor: Natürlich gibt es Parallelen zwischen mir und Erik: Er spielte früher in Deutschland und arbeitete sich in Miami von ganz unten nach ganz oben, ich coachte früher in Deutschland und fange jetzt bei den Celtics an. Wobei es mir wichtig ist, nicht irgendjemanden nachmachen zu wollen. Ich will meinen eigenen Weg gehen und es auf meine Weise schaffen. Ich kam als junger Coach nach Deutschland, fing in der zweiten Liga an, schaffte mit Ulm auf einmal den Bundesliga-Aufstieg, zog mit Ulm in die Playoffs ein, und jetzt bin ich plötzlich in der D-League.

SPOX: Und wie sieht der nächste Schritt aus?

Taylor: Es geht nur darum, in Maine einen guten Job zu erledigen, dann kommt der Rest von alleine. Dabei ist es mir egal, ob ich irgendwann die Chance bekomme, als Assistant Coach in der NBA unterzukommen, oder zurück nach Europa gehe. Ich möchte Spaß haben und mich beweisen dürfen.

SPOX: Sie sprechen ein mögliches Comeback in Europa an. Wie realistisch ist es, Sie in der BBL wiederzusehen?

Taylor: Wie schon gesagt: Networking ist mir sehr wichtig, daher halte ich noch sehr engen Kontakt nach Deutschland. Mich freut es sehr, dass Commissioner Jan Pommer und die gesamte Liga einen super Job erledigt und die BBL stetig besser und besser wird und dabei gesund wächst. Daher bleibt die BBL natürlich immer eine Option.

SPOX: Die Geschichte der BBL-Vorsaison war der sensationelle Finaleinzug Ihres ehemaligen Vereins Ulm. Ein Jahr, nachdem die Trennung von Ihnen zu einem Eklat führte und Ihnen unter anderem untersagt wurde, bei einem Heimspiel dabeizusein. Wie haben Sie Ulms Erfolge verfolgt?

Taylor: Mit gemischten Gefühlen. Acht großartige Jahre endeten nicht so, wie ich gehofft hatte. Es war nicht respektvoll und es war nicht sauber. Es fiel mir deshalb sehr schwer: Ich liebte es, in Ulm zu arbeiten. Ich liebte es, ein Ulmer zu sein. Und es war mein großer Traum, in der neuen Arena zu spielen und mit Ulm den internationalen Wettbewerb zu erreichen. Leider wurde mir diese Chance kurz vor knapp aus der Hand gerissen. Okay, eine Lektion für das Leben, mit der ich klarkommen musste. Gleichzeitig freue ich mich total für die Spieler und für die Fans, sie haben sich das letzte Jahr absolut verdient. Und am Ende muss ich sagen, dass sich alles zum Guten gewendet hat: Ulm feiert Erfolge und ich bin in einer besseren beruflichen Situation als Teil der Celtics-Familie.

SPOX: Was denken Sie mit dem zeitlichen Abstand über das Verhalten von Ulms Geschäftsführer Dr. Thomas Stoll?

Taylor: Ich mache mir darüber keine Gedanken mehr und lasse die Vergangenheit auf sich beruhen.

SPOX: Ihre Zusammenarbeit mit Stoll lief lange sehr erfolgreich. Unter anderem wäre ihnen zu zweit fast der Coup schlechthin geglückt: Ulm stand 2010 kurz davor, Jeremy Lin zu verpflichten.

Taylor: Wir waren im Sommer 2010 bei der Summer League in Las Vegas und Thomas Stoll mochte sehr, was er von Lin gesehen hatte. Daher sprachen wir mit ihm und seinem Berater. Ich weiß nicht, wie groß die Chance war, aber es gab auf jeden Fall eine Chance. Stattdessen beschloss er, es über die D-League zu versuchen. Schade für uns, Jeremy hat allerdings alles richtig gemacht.

SPOX: Neben Lin fiel Ihnen damals ein begabter, dafür sehr übergewichtiger Center auf: John Bryant. Wie riskant war es, ihn nach Ulm zu holen?

Taylor: Ich habe in Las Vegas vom ersten Tag an geglaubt, dass er es schaffen wird. Und so wurde es: John gab sich selbst ein Versprechen und hielt es ein. Er nahm ab, brachte sich in Form, arbeitete an seinen Stärken und Schwächen. Was ihm lange gefehlt hatte, war eine Heimat, wo er unterstützt wird. Diese Heimat fand er in Ulm. Daher kommt seine unglaubliche Steigerung für mich nicht so überraschend.

SPOX: Bryant ist der amtierende MVP der BBL und der Go-to-Guy des Finalisten. Dringt diese Kunde bis in die NBA durch?

Taylor: Natürlich. Jedes NBA-Team will einen Big Man mit Skills. Die frühere Scouting-Bewertung von ihm führte dazu, dass er lange unter dem Radar blieb. Jetzt ist er ein anderer Spieler. Viele Teams, mit denen ich spreche, fragen mich explizit nach John.

SPOX: Ohne Sie wäre auch die Leistungsexplosion eines Per Günther nicht denkbar gewesen.

Taylor: Viele Leute dachten, dass er nicht das Talent für das höchste Niveau mitbringt, alleine schon wegen der Größe. Dass er sich dennoch so gesteigert hat und bereit war, alles zu geben, macht mich sehr stolz. Wir mussten zusammen durch dick und dünn gehen - und jetzt bekommt er den Lohn dafür.

SPOX: Sie bauten nicht nur Günther zum Starting-Point-Guard in Ulm auf, sondern gaben dem damals blutjungen Robin Benzing eine bedeutende Rolle als Scorer. Mittlerweile wird der zu den Bayern gewechselte Benzing jedoch kritischer gesehen, weil er mit seinen 23 Jahren stagnieren würde. Wie sehen Sie ihn?

Taylor: Die Öffentlichkeit hat sehr hohe Erwartungen an ihn. Vielleicht wäre es besser, diese etwas realistischer zu halten. Robin wird in der BBL keine 30 Punkte im Schnitt machen und plötzlich wie Dirk Nowitzki jeden Wurf verwandeln - wer kann das schon? Es ändert nichts daran, dass ich davon überzeugt bin, dass er zu einem High-Level-Spieler werden wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass er erst 23 Jahre alt ist. Er ist noch am Lernen. Er wird besser und besser und sein Körper wird kräftiger und kräftiger.

SPOX: Das heißt: Wenn die Celtics wegen Benzing um eine Einschätzung bitten, würden Sie ihn empfehlen?

Taylor: Ich muss den Celtics gar nichts mehr über Robin sagen, weil sie ihn schon gut kennen. Für sie gehört er zu den größten Talenten Europas, daher haben Sie ihn schon in Ulm gescoutet. Seitdem beobachten sie ihn. Aber zurzeit ist es für Robin das Beste, nicht an die NBA zu denken, sondern sich zunächst in Europa zu etablieren. In ein paar Jahren ist alles möglich.

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