Nach dem Spiel gegen die Boston Celtics saßen die Nuggets geknickt in ihrer Kabine. Gerade waren sie im Duell der zwei heißesten Teams der Liga leer ausgegangen, die Serie von neun Siegen in Folge war zu Ende gegangen.
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Eine Pleite nach Triple Overtime tut weh, Routinier Andre Miller versuchte dennoch das Positive zu sehen: "Wir stehen überhaupt nicht darauf, moralischer Sieger zu sein, aber heute war so ein Spiel. Es hat Spaß gemacht, jetzt sind wir alle ziemlich müde."
Es gibt Niederlagen, die kann Denver dieser Tage gut wegstecken, zumeist aber geht die Mannschaft davon aus, das Feld als Sieger zu verlassen.
Im heimischen Pepsi Center ist das Team von Trainer George Karl nahezu unschlagbar, hat 22 von 25 Spielen gewonnen.
Karl: Gedanken an die Meisterschaft
Und auch auswärts lief es zuletzt richtig gut, bei den Lakers, Rockets und Cavaliers gab es jeweils Siege. Nach einem unfassbar brutalen Auftaktprogramm in die Saison, als die Nuggets fast nur auf Reisen waren und erst im Januar drei Heimspiele in Serie hatten, ist die Mannschaft jetzt genau da, wo sie die meisten Experten vor der Spielzeit erwartet haben: Mittendrin im Kampf um Platz vier - vielleicht sogar Platz drei - im Westen.
"Ich denke, dass wir und die Warriors ein bisschen vor allen anderen anzusiedeln sind", sagt George Karl in Bezug auf Memphis, Houston, Utah, Portland und Co. "Wir wollen uns noch weiter verbessern und den Heimvorteil in der ersten Playoff-Runde sichern.
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Klar, nach einer Niederlage ist eine gewisse Bescheidenheit sicher angemessen. Als Denver gerade in Cleveland gewonnen hatte, klang Karl - sicher von einer gewissen Euphorie getragen - da noch ganz anders: "Wir wollen die Welt schocken und als erstes Team ohne All-Star die Meisterschaft gewinnen!"
Garnett: "Gallo, Lawson hätten es verdient"
Mit dieser Aussage sorgte Karl doppelt für Aufsehen. Zum einen machte er noch mal darauf aufmerksam, dass seine Mannschaft am kommenden Wochenende tatsächlich keinen Spieler zum All-Star Game nach Houston schickt. Kenneth Faried ist lediglich beim Dunk Contest und der Rising Stars Challenge dabei.
"Kaum zu glauben", war selbst Bostons Kevin Garnett erstaunt. "Wenn ich an Gallinari denke, an Lawson: Sie haben sicher Spieler, die eine Nominierung verdient hätten."
Zum anderen sprechen Trainer von Underdogs für gewöhnlich nicht so offen über den Titel. Doch die Nuggets können es sich erlauben. Und man möchte ihnen fast wünschen, dass es klappt.
Denn der Kader des aktuellen Meisters hat immer auch einen Einfluss darauf, wie andere Klubs sich fortan aufstellen. Basketball-Puristen kämen voll auf ihre Kosten, würden bald mehr Teams Basketball spielen wie die Nuggets.
Keine Angst vor Problemfällen
Denn General Manager Masai Ujiri hat eine nahezu perfekt aufeinander abgestimmte Mannschaft zusammengestellt. Der Trade von Carmelo Anthony nach New York wurde genutzt, um die Kaderstruktur entscheidend zu verändern, eine optimale Mischung aus Jugend und Erfahrung, Athletik und Abgezocktheit, Aggressivität und Finesse sowie Inside-Spiel und Perimeter Shooting macht aus einer Truppe relativer Nobodys ein absolutes Powerhouse.
Dabei lassen sich der Nigerianer Ujiri und Trainerfuchs Karl auch nicht davon abhalten, Problemfälle in die Mile-High City zu holen. Corey Brewer etwa galt schon als gescheiterter Profi, als er gemeinsam mit Rudy Fernandez für einen Zweitrunden-Draft-Pick (!) aus Dallas kam. Heute ist er fester Bestandteil der Rotation.
JaVale McGee spielt mitunter völlig sinnfrei Basketball, seine Talente (Athletik, Shotblocking) überwiegen aus Sicht des Nuggets-Front-Office aber bei weitem die Nachteile, die der Center mitbringt. Und er ist lernfähig und -willig. Sein PER (Player Efficiency Rating) ist in dieser Saison das höchste aller Nuggets-Profis (21,67).
Superstars gewinnen Titel?
Kritiker warnen zwar: "Teamspiel, das ist schön und gut. Aber Superstars gewinnen Titel!" Tatsächlich erinnert man sich im Nachhinein an Magic Johnson und Larry Bird, an Michael Jordan, Tim Duncan oder Kobe Bryant und weniger daran, wie die Meisterteams insgesamt aussahen.
Zuletzt gewann Miami, weil mit LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh gleich drei Spieler oberster Güte das Sagen haben.
Superstars versenken die wichtigen Würfe, Superstars bekommen in der Crunchtime auch mal einen zweifelhaften Pfiff, Superstars entlasten alle anderen Spieler.
Aber: Im Kader der Nuggets stehen mit Sicherheit genug Clutch-Shooter: Andre Iguodala, ansonsten kein begnadeter Scorer, hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er wichtige Würfe treffen kann. Danilo Gallinari ist ohnehin ein kaltschnäuziger Schütze.
Denver in vielen Kategorien top
Am Sonntag in Boston brachte Lawson sein Team mit einem aggressiven Drive zum Korb wenige Zehntel vor Ende des vierten Viertels erst in die Overtime - und dann mit einem Jumper in der zweiten Verlängerung scheinbar zum Sieg.
Am Ende reichte es nicht gegen die Celtics, aber einem Paul Pierce oder Jason Terry in der Crunchtime zu unterliegen, ist auch den Miami Heat schon passiert.
In punkto Freiwürfe lässt sich festhalten, dass die Nuggets auch ohne Superstar die drittmeisten Versuche von der Linie haben. Genauso liegt Denver bei der Field Goal Percentage, bei Assists, Steals und Blocks unter den Top Fünf der NBA, bei den Rebounds gar auf Platz eins. Und für die Freaks von Advanced Stats: Bei den "Points per Shot" und der "Adjusted Field Goal Percentage" befindet sich Denver in den Top Ten.
Iguodala verletzt: Die Chance für Brewer und Co.
Wenn man den Spieß umdrehen wollte, könnte man auch behaupten, dass die Ausgeglichenheit im Kader der große Vorteil der Mannschaft ist. Denn egal, wer schlecht drauf ist oder gerade ausfällt, es gibt immer einen anderen Spieler, der adäquat in die Bresche springen kann.
Gegen Chicago, ein absolutes Topteam der Liga, hielten die Nuggets in der vergangenen Woche dank ihrer großen Rotation konstant das Tempo hoch und überrollten den Gegner förmlich.
Gegen Boston zog sich Iguodala im dritten Viertel eine Zerrung zu und konnte nicht weitermachen. Man muss abwarten, ob und wie lange der Flügelspieler pausieren muss.
Feststeht, dass Edelverteidiger Brewer nachrücken und Leute wie Jordan Hamilton darauf brennen würden, sich ihrem Coach mit guten Leistungen aufzudrängen.
Konkurrenz buhlt um Mozgov
Verrückt ist, dass die Mannschaft enorm tief ist, Karl mit Anthony Randolph und Timofey Mozgov zwei Bankdrücker kaum einsetzt und trotzdem selbst der Russe für andere Klubs noch enorm interessant ist.
Nach eigener Aussage hat Ujiri wegen keines Spielers in den letzten Wochen mehr Anfragen erhalten als wegen Mozgov, der Big Man ist ob seines massigen Körpers und unbestrittenen Talents heiß begehrt. Aber was soll Ujiri für den Nationalspieler verlangen, wenn der Klub sowohl finanziell als auch personell optimal aufgestellt ist?
Derzeit kann man jeden Nuggets-Fan nur beneiden, selbst Celtics-Coach Doc Rivers gab zu: "Ich liebe es, ihnen zuzuschauen. Das sage ich George Karl sehr oft. Sie interessieren sich nicht für Statistiken, sie spielen einfach wunderbar zusammen. Da machen sechs Leute zweistellige Punkte und als gegnerischer Trainer weißt Du nicht, auf wen Du Dich konzentrieren sollst."
Und wie ist das mit der Meisterschaft? Nuggets-Routinier Andre Miller ist seit jeher skeptisch: "Es war immer schon so: Ohne Superstar gewinnst Du nichts." Als Karl von diesem Kommentar hörte, konnte Denvers Trainer nur lachen: "Ich glaube, wir werden uns mal unterhalten müssen."