Mit Tränen in den Augen stand Kobe Bryant beim Spiel gegen die Golden State Warriors nur auf dem rechten Bein an der Freiwurflinie, versenkte erst einen, dann auch den zweiten Wurf. Die Lakers-Fans jubelten über den Zwischenstand von 109:109, sie sahen ein packendes Spiel mit Höhen und Tiefen.
Aber die wenigsten sahen diese Tränen, kaum jemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass es die vorerst letzte Heldentat war, die man von Bryant gesehen haben wird. Denn gleich im Anschluss an seine Freiwürfe verließ der Superstar, mit 3:08 Minuten zu spielen, das Parkett und den Innenraum des Staples Center.
Als er sich wenig später - die Lakers hatten die Schlussphase auch ohne Bryant überstanden und das Spiel gewonnen - den Fragen der Journalisten stellte, standen Bryant der Frust, die Trauer und die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Und auch die Tränen waren nicht mehr zu übersehen.
"Das ist die größte Enttäuschung meiner Karriere", stammelte ein angegriffener Bryant. "Wir haben so hart gearbeitet, waren jetzt wieder in der Situation, wo wir unser Schicksal selbst in der Hand hatten..."
Gasol: "Es ist schwer, ihn so zu sehen"
Noch bevor die offizielle Diagnose raus war, wusste die Basketball-Welt: Kobe Bryant hat einen Achillessehnenriss erlitten, er wird in dieser Saison keinen Court mehr betreten.
Chris Paul, LeBron James und Co.: Zahlreiche Kollegen von anderen Klubs äußerten via Twitter ihr Mitgefühl, die meisten waren sich sicher: Wenn es jemand schaffen kann, so eine Verletzung zu überstehen, dann Kobe Bryant, einer der größten Krieger der NBA-Geschichte, den zahlreiche Verletzungen (Finger, Knie, Schulter etc.) in der Vergangenheit nicht davon abhalten konnten, für seine Lakers aufzulaufen.
Aber dieses Mal ist alles anders: "Ich kann nicht laufen, kann die Ferse nicht belasten. So etwas hatte ich noch nie", so Bryant. Wie die Black Mamba selbst hatte auch Mitspieler und Freund Pau Gasol Tränen in den Augen, als er sagte: "Es ist schwer für mich, ihn so zu sehen. Das hat er nicht verdient. Und dass er sich anschließend hinstellt und mit den Medien spricht, ist bewundernswert... Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte."
Fragen nach D'Antonis Verantwortung
Die Lakers haben in diesem Jahr viele unliebsame Erfahrungen mit Verletzungen gemacht: Steve Nash fiel lange aus und pausiert aktuell wieder, Gasol hat chronische Knieprobleme, Jordan Hill ist nach seinem Saisonaus längst in Vergessenheit geraten. Dann ist da noch Dwight Howard, der nach einer Rücken-OP und Schulterverletzung lange brauchte, um in Fahrt zu kommen. Auch der zwischenzeitliche Ausfall von Steve Blake darf nicht unterschätzt werden.
Aber: Den Lakers konnte absolut nichts Schlimmeres passieren als ein Achillessehnenriss bei Kobe Bryant. Denn er ist in L.A. viel mehr als die sportlich herausragende Figur der letzten 17 Jahre. Er ist eine Ikone, Kultfigur und einer, auf den immer Verlass war. Dieser unerschütterliche Glaube, dass es Kobe Bryant im Zweifel schon richten wird, ist jetzt dahin - und kommt vielleicht nie mehr wieder.
Natürlich gingen sofort die Überlegungen los, ob Bryant sich nicht zu viel zugemutet habe. Matt Barnes und Ex-NBA-Spieler Bryon Russell waren sich sofort sicher und erklärten via Twitter, dass die Lakers ihren Superstar besser hätten schützen müssen.
Gegen Golden State ließ Mike D'Antoni Bryant zum siebten Mal in Serie über 40 Minuten spielen. Auch der Trainer muss sich fragen lassen, ob er Fehler gemacht hat. "Wenn ich es alles noch mal machen könnte, würde ich vielleicht anders entscheiden", war D'Antonis erste Reaktion. "Aber Kobe hat so einen starken Willen, und seine Minuten haben uns definitiv geholfen."
Zweifel am Trainer bleiben bestehen
Trotzdem: Es gehört zu den absoluten Pflichten eines Trainers, für die Gesundheit seiner Spieler zu sorgen. Gregg Popovich in San Antonio, Doc Rivers in Boston, selbst der junge Erik Spoelstra in Miami: Sie alle verstehen es, ihre Stars immer mal wieder zu schonen.
Kolumnist Bill Simmons erklärte via Twitter: "Niemals hätte Kobe unter Phil Jackson 47 Minuten gespielt." Damit spielte er auf die viel kritisierte Entscheidung der Klubverantwortlichen im November 2012 an, als der elfmalige Meistertrainer verfügbar war, die Lakers sich bei der Trainersuche aber auf D'Antoni festlegten.
Bis heute verstehen viele Fans und Experten diese Entscheidung nicht, der 61-Jährige konnte bis heute keine klare Spielphilosophie installieren und vor allem keinen dauerhaften Erfolg garantieren.
Ohne Frage gehört ein gewisses Standing und eine gehörige Portion Courage dazu, Kobe Bryant auf die Bank zu beordern. D'Antoni hat beides offenbar nicht. Phil Jackson ganz zweifellos schon.
Buschmann bekundet sein Mitleid
Letztlich ist es aber müßig, darüber zu diskutieren, wer die Schuld an Bryants Verletzung trägt. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und die Lakers haben jetzt die schwere Aufgabe vor sich, sich ohne ihren Anführer in die Playoffs zu kämpfen.
Bryant selbst will dabei helfen, so gut er kann: "Ich kann vielleicht beim Video-Studium Dinge ausmachen und Schwächen des Gegners aufdecken, die andere nicht sehen, ich kann meine Jungs an der Seitenlinie anfeuern."
Bryant ist auf dem Platz ein kaltblütiger Killer. Ein Perfektionist, der am liebsten alles selbst erledigt hat, damit das Ergebnis so gut wie möglich ist. Vergleiche mit Michael Jordan sind - zumindest in dieser Hinsicht - nicht unangebracht. Von vielen wurde Bryant während seiner Karriere kritisiert, noch mehr Leuten ist der 34-Jährige allerdings ein Idol. In Tinseltown gilt er vielen als größter Laker aller Zeiten. Vor Magic Johnson, Kareem Abdul-Jabbar oder Jerry West.
Deutschlands Basketball-Kommentator Nummer eins Frank Buschmann ließ über Facebook verlauten: "Ein Ende der Saison, das er nicht verdient hat. [...] Ich war nicht immer sein größter Fan, aber in den letzten sechs Monaten hat er mich begeistert und mit unbändigem Ehrgeiz und sensationellen Skills die Lakers am Leben gehalten."
Analyse - Lakers-Schock: Bryant wahrscheinlich schwer verletzt
Bryant "Ich gehe mit gutem Beispiel voran"
Wie alle Fans hofft Buschmann auf einen möglichst schnellen und reibungslosen Heilungsverlauf, eine Pause von acht bis zwölf Monaten wird man aber ganz bestimmt erwarten müssen. Die Tatsache, dass Bryant die kommende Saison eigentlich zu seiner letzten erklärt hatte, führt unweigerlich zu der Frage, ob er sich diesen Stress überhaupt noch mal antun will.
SPOX-Kommentator Markus Krawinkel ist nicht so optimistisch: "Wir haben Kobe heute Nacht hoffentlich nicht zum letzten Mal spielen sehen", so Krawinkel im Gespräch mit SPOX. "Aber man muss sich nur mal anschauen, wie schwer sich manch junger Hüpfer schon mit einem Achillessehnenriss getan hat. Und Bryant ist 34 Jahre alt! Es gibt keine Garantie, dass er auch nur annähernd der alte Kobe Bryant werden wird."
Diese Garantie gibt es natürlich nicht, und doch ließ Bryant keinen Zweifel daran, dass er ein Comeback versuchen wird. Mit einem langen Facebook-Post machte er sich Luft und rückte seine schwerste Stunde als Profi erfrischend offen ins rechte Licht. Im ersten Interview sagte er auf die Frage nach einem möglichen Karriereende: "Soll das ein Witz sein?"
Zweifler als Ansporn
Seine Kinder geben Bryant all die Motivation, die nötig ist: "Ich war zunächst niedergeschlagen und habe mir diesen riesigen Berg vorgestellt, den ich auf dem Weg zu einem Comeback erklimmen muss. Aber dann kamen meine Kinder rein, und sofort war alles anders. Ich will mit gutem Beispiel vorangehen und habe ihnen gesagt: 'Daddy geht's gut, ich werde wieder zurückkommen.'"
Und den letzten nötigen Funken Antrieb, den holt sich Bryant durch all die negativen Kommentare. "Es gibt so viele Leute, die mir nicht zutrauen werden, dass ich noch mal zurückkommen kann. Das spornt mich noch mehr an. Nur an diese Leute zu denken, pisst mich total an."