Die Liste an Kritikpunkten ist wahrlich lang: LeBron James sei ein egozentrischer Wichtigtuer, dessen Tattoos (u.a. "Chosen One") und selbstauferlegter Spitzname von geistiger Unreife und einem übertriebenen Selbstverständnis zeugen.
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Er sei ein Flopper, der trotz aller sportlichen Klasse zu oft einen unsportlichen Ausweg wählt und dafür auch noch belohnt wird, wenn es mal nicht läuft.
In den Conference Semifinals hieß es plötzlich, er sei ein Egoist, nachdem Dwyane Wade für sich und Chris Bosh mehr Würfe gefordert hatte.
In den Finals gegen die Spurs wäre er dagegen schon wieder zu altruistisch gewesen, hätte einzelnen Spielen mehr seinen Stempel aufdrücken müssen.
Und dann immer wieder diese Vorwürfe, LeBron James sei ein Choker, einer, der in den entscheidenden Momenten versagen oder sich der Herausforderung gar nicht erst stellen würde. Das alles haben wir in den vergangenen Jahren tausendfach gehört. Man kann sicherlich alles diskutieren. In Zeiten des Internets und der sozialen Medien wird das sowieso getan.
Mit den Vergleichen mit Michael Jordan haben ihm viele Journalisten bestimmt keinen Gefallen getan. Das ist eine Diskussion, die wir in sechs, sieben oder acht Jahren führen können.
Am Tag nach LeBron James' größtem Triumph als Spieler sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir die Kritik und unangebrachte Vergleiche ruhen lassen sollten.
LeBron James ist der beste Spieler der Welt, daran besteht seit geraumer Zeit kein Zweifel mehr. Sein Talent und seine physischen Möglichkeiten waren seit jeher einzigartig, sein Basketball-IQ stets unbestritten.
Und jetzt, gegen den härtesten Gegner, dem er je gegenüber stand, hat er auch die letzten Hürden genommen: Nach Spiel drei gab er sich ungewohnt geerdet und selbstkritisch und gab in Spiel vier eine beeindruckende Antwort, in den Spielen sechs und sieben, als um ihn herum Tony Parker, Manu Ginobili und Tim Duncan mental versagten, stellte er Nerven wie Drahtseile unter Beweis, indem er Jumper über Jumper versenkte und in Momenten größtmöglicher Erschöpfung die letzten Kräfte mobilisierte.
James drückte den Finals seinen Stempel auf. Gleichzeitig passte er, wenn es nötig war, und scorte, wenn es möglich war. Wie sagte Gregg Popovich: "Er weiß mehr über Basketball als ihr alle zusammen." Und jetzt hat er gezeigt, dass er dieses Wissen fast auf Kommando in Erfolge ummünzen kann.
Seine ruhige Art, wie er unmittelbar nach Spielschluss die zweite Meisterschaft feierte (Highlights von Spiel 7 im Video), zeigte zudem, dass er als Mensch gereift ist.
Vielleicht hat es dafür die San Antonio Spurs gebraucht, einen Gegner, den er - auch aufgrund der Pleite 2007 - mehr respektiert als jeden anderen. Und einen Trainer, den er mehr respektiert als jeden anderen. Sei's drum, LeBron James hat Klasse bewiesen. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man seinen familiären Background kennt, die schwierigen Verhältnisse, unter denen er aufgewachsen ist.
Wie seinen Jumper und die mentale Stärke musste sich der 28-Jährige auch das über Jahre erarbeiten. James wird kritischer beäugt als jeder andere Athlet auf diesem Planeten, das wird wohl auch in Zukunft nicht aufhören.
Schon bei der Überreichung der Finals-MVP-Trophäe wurde ihm schon wieder die Frage gestellt, was er den Nörglern zu sagen habe. Die klare Antwort: nichts. "Ich kann mich damit nicht beschäftigen. Ich fühle mich gesegnet, überhaupt hier sein zu dürfen. Das interessiert mich alles nicht."
Genau so sollte es sein, genau dann ist er - sportlich wie menschlich - am besten. Chapeau, LeBron James!