SPOX: Herr McGrady, Ihre San Antonio Spurs haben den NBA-Titel hauchdünn verpasst. Wie ist Ihre Gefühlslage mit ein paar Tagen Abstand?
Tracy McGrady: Diese Niederlage sitzt sehr tief. Wenn man seine Hände eigentlich schon an der Larry O'Brien Trophy hat, am Ende aber doch ein anderer feiert, dann ist die Enttäuschung kaum in Worte zu fassen. Besonders für unsere Veteranen Tim (Duncan, Anm.d.Red.), Manu (Ginobili, Anm.d.Red.) und Tony (Parker, Anm.d.Red.) tut mir dieser Ausgang sehr leid. Es ist zu bezweifeln, ob sie in dieser Konstellation jemals wieder eine Chance auf den Titel haben.
SPOX: Mit 37 Punkten entschied LeBron James das entscheidende siebte Spiel. Was halten Sie von seiner Performance?
McGrady: LeBrons Leistungen gegen Ende der Finalserie waren herausragend. Er ist ein sehr flexibler Spieler und besitzt zugleich einen großartigen Basketball-IQ. Er weiß genau, wie er sich seine Verteidiger vom Leib hält, wann er den Korb attackieren muss oder wann er, wie im siebten Spiel geschehen, auch mal von außen schießen kann. Fast alle Komponenten des Spiels beherrscht er perfekt. Das zeigt sich ja auch darin, dass er vom Point Guard bis zum Center fast alle verteidigen kann. Diese Kombination verschiedener Stärken erzeugt LeBrons herausgehobene Stellung in der NBA, vielleicht sogar in der gesamten Sportwelt.
SPOX: Bevor James ein Megastar wurde, waren Sie 2003 und 2004 bester Scorer der NBA und galten als Held aller Basketball-Fans. Doch dann stürzten Sie ab. Wie kurios war diese Situation, auf Ihre "alten Tage" doch noch mal die Chance auf den Titel zu haben? Diesen haben Sie zuvor nie gewonnen.
McGrady: Ich weiß, dass andauernd negativ über mich und meine Karriere gesprochen wird. Aber das spielte in den vergangenen Wochen überhaupt keine Rolle für mich. Bevor ich im April unterschrieben habe, führte ich ein großartiges Gespräch mit Coach Popovich. Wir haben uns auf Anhieb vertraut. Er sagte, dass mir die Spurs-Familie helfen werde, den Schritt zurück ins NBA-Business zu schaffen. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.
SPOX: Wie überrascht waren Sie vom Spurs-Angebot?
McGrady: Ich war geschockt! Als Coach Popovich mich anrief, dachte ich zunächst an einen Scherz. Doch er war es wirklich. Und er wollte mich. Dabei hatte ich zwei Monate zuvor gar nicht trainiert. Aber dann bin ich sofort wieder ins Training eingestiegen, um mich wieder in Form zu bringen.
SPOX: Allerdings spielten Sie in den kompletten Finals nur 15 Minuten.
McGrady: Natürlich hatte ich mir größere Spielanteile erhofft. Aber was hätte ich machen sollen? Unsere Schützen von außen, zum Beispiel Danny Green oder Gery Neal, haben von Beginn an viel getroffen. Damit waren die Rollen klar verteilt.
SPOX: 1997 wurden Sie von den Toronto Raptors gedraftet und spielten im Anschluss für die halbe Liga: Orlando, Houston, New York, Detroit, Atlanta und nun San Antonio. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Karriere zurück?
McGrady: Es gab in meiner Karriere viele Situationen, in denen ich mir heute denke: Was wäre gewesen, wenn? Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn Grant Hill während unserer Zeit in Orlando nicht von Verletzungen geplagt worden wäre? Oder was wäre gewesen, wenn Yao Ming und ich während unserer Zeit in Houston fit gewesen wären? Solche blöden Situationen haben sich durch meine Karriere gezogen. Leider ist es nicht so gelaufen, wie ich mir das erhofft hatte. Das gleiche gilt übrigens für Grant Hill. Wir beide hatten einen unfassbar guten Start in unsere Karrieren hingelegt, ehe wir von Verletzungen geplagt wurden. Aber so läuft das in der NBA. Wenn du gesund bleibst, besonders wenn du ein hochveranlagter Spieler bist, kannst Du in dieser Liga Großartiges erreichen. Leider war ich gesundheitlich nicht dazu in der Lage.
SPOX: Im Gegensatz zu Tim Duncan, der trotz seiner 37 Jahre von schweren Verletzung verschont geblieben ist.
McGrady: Tim und ich haben uns seit meiner Ankunft in San Antonio häufig unterhalten. Als ich 2000 nach Orlando ging, sollte eigentlich auch Tim zu uns wechseln. Leider hatte sich dieser Wechsel kurzfristig zerschlagen. Schade. Denn mit Tim, Grant Hill und mir wäre das ein großartiges Magic-Team gewesen.
SPOX: Wie war Ihre Gefühlslage während den langen Verletzungspausen?
McGrady: Es gab schon einige dunkle Tage. Nachts konnte ich kaum schlafen. Dunkle Wolken hingen über mir. Ich kann mich zum Beispiel noch sehr gut an die Saison 2008/09 erinnern, als ich für die Rockets wegen einer Knie-OP kaum spielen konnte. In der zweiten Play-off-Runde sind wir dann gegen den späteren Champion Los Angeles Lakers ausgeschieden. Meinem Team dabei nicht helfen zu können, war ein frustrierendes Erlebnis. Andererseits... (stockt)
SPOX: Ja bitte?
McGrady: Irgendwie hat mir diese schwierige Zeit auch geholfen, mich auf die Phase nach meiner Karriere vorzubereiten. Als ich 2003 und 2004 den Scoring Award gewann, bekam ich von jedem auf die Schulter geklopft. Jeder wollte ein Autogramm von mir. Doch plötzlich interessierte sich niemand mehr für dich, kein Agent fragte mehr bei mir an. Das ist einerseits schön für die Privatsphäre. Andererseits ist es schon komisch, so ein rasches Verfallsdatum zu haben. Aber auch nach meiner Karriere wird vielleicht niemand mehr nach mir krähen. Deshalb war es in den vergangenen Jahren im Prinzip eine gute Möglichkeit, es zu lernen, ohne die Medien- und Fanorgien zu leben.
SPOX: Wie gefiel es Ihnen in China, wo Sie in der vergangenen Saison zwischenzeitlich bei den Qingdao Eagles spielten?
McGrady: China war für mich eine großartige Erfahrung! Die Liga ist am Wachsen, qualitativ allerdings nicht mit der NBA zu vergleichen. Deshalb habe ich sportlich dort eine sehr gute Rolle spielen können. Fast die komplette Spielzeit auf dem Parkett zu stehen und viele aufregende Spielzüge zu initiieren, das war wie in meiner guten alten NBA-Zeit. Von den fanatischen Fans wurde ich gefeiert wie ein Rockstar.
SPOX: Wie hat sich das im täglichen Leben ausgewirkt?
McGrady: Schon am Flughafen wurde ich von mehreren Tausend Menschen stürmisch empfangen. Fast alle trugen McGrady-Shirts. In den Basketball-Hallen waren alle Augen dann auf mich gerichtet. Ich hatte das Gefühl, den Leuten war es ziemlich egal, wie die Partie am Ende ausgeht. Hauptsache, sie haben T-Mac spielen gesehen. Deshalb sind die meisten in die Hallen gekommen.
SPOX: Worauf beruht Ihre riesengroße Popularität in China?
McGrady: Von 2004 bis 2010 spielte ich bei den Houston Rockets an der Seite von Yao Ming, unserer chinesischen Mauer. Fast alle unserer Spiele wurden im chinesischen Fernsehen live übertragen. Aus diesem Grund kennen mich die Leute in China so gut. Wenn Yao und ich nie gemeinsam gespielt hätten, wäre die Euphorie sicherlich nicht so groß gewesen.
SPOX: Nachdem Sie nun in die NBA zurückgekehrt sind, wollen Sie nochmals angreifen? Oder ist mit 34 Jahren schon die richtige Zeit zum Karriereende?
McGrady: Momentan fühle ich mich gut. Ich spüre, dass noch viel Basketball auf Top-Level in mir steckt. Aber noch ist meine Entscheidung nicht fest. Es wäre schon spannend, noch mal bei einem Topteam um die Meisterschaft mitzuspielen. Zum Beispiel bei den Spurs. Etwas anderes wie der Kampf um den Titel würde mich aber wohl nicht interessieren.