Marco Belinelli kam als Star in die NBA. "Ich glaube, viele Leute realisieren gar nicht, wie groß er in seiner Heimat war", sagte sein späterer Teamkollege Nate Robinson. "Da, wo er herkommt, ist er für die Leute wie Michael Jordan."
2007 war der Italiener gerade 21 Jahre alt, hatte mit Bologna zwei Jahre zuvor aber bereits die italienische Meisterschaft gewonnen und 2006 an der Weltmeisterschaft teilgenommen.
Er meldete sich zum NBA Draft und wurde an 18. Stelle gewählt. Die Golden State Warriors versprachen sich viel von ihm - doch dann fiel Belinelli tief.
Hat Nelson Belinelli gebrochen?
Trotz bärenstarker Summer League fasste Belinelli in der Bay Area nie Fuß, bekam kaum Spielzeit (7,3 Minuten in 33 Spielen in seiner Rookie-Saison). "Es war frustrierend für mich. Die meiste Zeit, fast jedes Spiel", erinnert sich Belinelli.
Nach zwei ernüchternden Jahren wurde er nach Toronto geschickt, lief danach zwei Jahre für New Orleans auf. Nirgendwo konnte er sich durchsetzen. Fans von "Marco Jordan" geben bis heute Don Nelson die Schuld. Der ehemalige Coach der Warriors habe Belinelli mental gebrochen, ihn jeglichen Selbstvertrauens beraubt.
Nüchtern betrachtet und mit Blick auf die letzte Saison muss man aber wohl konstatieren, dass Belinellis Leistungen viel mit dem jeweiligen Status der Franchise zu tun hatten, für die er spielte.
In seinen ersten Jahren war er stets Teil einer Mannschaft, die händeringend nach Spielern suchte, die Würfe für sich und andere kreieren konnten. Spielmacher eben - ob sie nun formal Point Guards oder Shooting Guards sind.
Blindes Verständnis mit Ginobili
Belinelli wurde mehr als einmal in diese Rolle gepresst und scheiterte. Dem Youngster fehlte die Erfahrung und Spielübersicht, vor allem aber die geistige Reife, um eine Mannschaft auf dem Court anzuführen und als zentrale Schaltstelle zu fungieren.
Zu gern verließ er sich auf seinen eigenen Wurf, zu oft verzettelte er sich gegen aggressive Verteidigungen. Das Ergebnis waren wenige Assists und zumeist miese Quoten (zwischen 38,7 und 44,2 Prozent).Jetzt, in San Antonio, sieht man einen völlig anderen Belinelli. Im gut geölten System der Spurs ist der heute 27-Jährige ein Rollenspieler. Und das ist keineswegs als Beleidigung zu verstehen. "Man merkt ihm an, dass er einfach nur gewinnen will", sagt Coach Gregg Popovich. "Er will das System kennen, er ist sehr lernbereit und kein bisschen aufmüpfig."
Egal ob Belinelli startet (11 Spiele in der Starting Five) oder ob er Teil der zweiten Fünf ist, die mit Patty Mills und Manu Ginobili schon über zwei Spielmacher verfügt: Belinelli kann das Spiel jetzt auf sich zukommen lassen, sich an den freien Spots positionieren - und dann oft freistehend abdrücken. Besonders mit dem Argentinier versteht er sich blendend: "Wir helfen ihm alle noch ein bisschen, während er sich eingewöhnt. Manche Spielzüge machen ihm noch Probleme, aber mit mehr Minuten auf dem Court kommen auch die Automatismen", sagt Ginobili.
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Bester Dreierschütze der Liga
Die absoluten Zahlen lassen zunächst nicht vermuten, dass sich allzu viel verändert hat an Belinellis Spiel: Er macht in 22,9 Minuten 10,8 Punkte, sammelt dazu 2,8 Rebounds und 2,1 Assists.
Doch man merkt ihm an, dass das Spiel bei den Texanern ein völlig anderes ist als damals in Oakland, in Toronto oder in New Orleans. Die internationale Zusammenstellung des Kaders, das Gefühl, eine klare Rolle zu haben, das Wissen, dass Popovich seine Stärken nutzt anstatt ihn in eine Rolle zu pressen: Das alles hat Belinelli mental befreit.
Und es hat zu Wurfquoten geführt, die vor dieser Spielzeit noch undenkbar gewesen wären: Belinelli trifft inzwischen 51,4 Prozent seiner Field Goals und satte 50,4 Prozent seiner Dreier - letzteres ist aktuell die ligaweite Bestmarke (Kyle Korver ist mit 47,7 Prozent die Nummer zwei).
Was sich in der Vergangenheit angedeutet hatte, bestätigt sich in San Antonio: Belinelli trifft am besten, wenn seinem Wurf ein Assist vorausgeht - und er sich den Schuss nicht selbst erarbeiten muss. Bei den Spurs wiederum sind Assistzahlen um die 25 pro Spiel die Regel.
Transformation als Mitglied der Bulls
Eigentlich jedoch fing die Transformation des Marco Belinelli schon ein Jahr früher an, unter den Fittichen von Tom Thibodeau. Der Coach der Bulls ist ein Defensivfanatiker, insofern glaubten nicht allzu viele Fans und Experten an Belinelli-Festspiele in Chicago.
Doch unter Thibs verinnerlichte Belinelli eine alte Weisheit: Wenn es vorne nicht läuft, kann man sich in der Defense das Selbstvertrauen zurückholen.
Belinelli hängte sich - trotz seiner Limitationen in Sachen Athletik - hinten rein, gewann so die Zuneigung Thibodeaus und durfte sich auch in der Offense zeigen. "Punkte interessieren mich nicht mehr", sagt Belinelli heute. "Es geht nur noch um Siege, und dafür muss ich noch besser verteidigen."
Zwar hatte Chicago nach dem langfristigen Ausfall von Derrick Rose ein ähnliches Problem wie Belinellis Ex-Teams: Es fehlten Spielmacher. Die Quoten waren daher auch in der Spielzeit 2012/2013 nicht berauschend. Doch anders als früher verzagte Belinelli nicht, wahrte das Vertrauen und konnte seiner Mannschaft mit einigen Clutch Plays gleich mehrere Spiele gewinnen.
Belinelli: "Wegen Thibodeau bin ich heute hier"
Die Bulls, diese eingeschworene Truppe aus Kämpfern und Arbeitern, gab Belinelli den Glauben in die eigene Stärke zurück, lehrte ihn den Nutzen defensiven Engagements und den Wert von Zusammenhalt und Teamspiel.
Auch die Nationalmannschaft profitierte im vergangenen Sommer davon, als Belinelli die Squadra Azzurra überraschend ins Viertelfinale führte und genau der Leader war, der er zu Beginn seiner NBA-Karriere nicht sein konnte.
Im Herbst bekamen die Spurs einen fertigen, etablierten und gereiften NBA-Profi. "Wegen Thibodeau bin ich heute hier", weiß Belinelli selbst am besten. Das Jahresgehalt von 2,75 Mio. Dollar zeigt es schon: Belinelli war bzw. ist zwar ein Star in Italien, wird in den USA aber wohl keiner mehr werden.
Das muss er aber auch nicht, solange er weiter für eine Franchise wie die Spurs spielt. Denn San Antonio passt perfekt zu Belinelli - und Belinelli passt perfekt zu San Antonio.