Es wirkte ein wenig wie ein Rückfall in längst vergessen geglaubte Zeiten. 35,4 Prozent aus dem Feld, 19,2 Prozent von jenseits der Dreierlinie, nur 87 Punkte. Dafür 111 zugelassen. Gegen die schwächste Offense der Liga. In Chicago wirkten die Houston Rockets keinesfalls wie ein ernstzunehmender Titelkandidat. Sie ließen sich von den Bulls förmlich überrennen, wirkten zu keiner Zeit bereit. Bereit, alles zu geben. Bereit, Chicagos hartem, intensivem Spiel entgegenzutreten.
Das hatte auch Kevin McHale erkannt. "Wir waren von Anfang an nicht da", sagte Houstons Coach nach der herben Pleite. "Weshalb weiß ich allerdings auch nicht. Das müssen sie die Jungs fragen. Wir sind weder offensiv noch defensiv ins Spiel gekommen. Wir haben einfach nicht alles gegeben." Nicht alles gegeben. McHales Urteil fiel ebenso eindeutig wie passend aus.
Dabei sind die Rockets derzeit eigentlich auf einer Mission. Auf einer Mission, die beispielsweise Steve Kerr eines Besseren belehren soll. "Ich glaube nicht, dass Houston ein fertiges Produkt ist", hatte der ehemalige Bull zu Saisonbeginn gesagt. "Sie sind ein sehr gutes Team, werden sicherlich viele Spiele gewinnen, ich glaube allerdings nicht, dass mit diesem Roster eine Championship möglich ist." Unken eines der unzähligen Experten? Vielleicht. Ganz planlos ist Mr. Kerr allerdings sicherlich nicht. Immerhin gewann er mit den Bulls und Spurs insgesamt fünf Meisterschaften.
Mit Howard zum Titel
In Houston wäre man schon froh, könnte man wenigstens die erste p.H. (post Hakeem) holen. Damals, Mitte der 1990er, besaßen die Rockets mit Olajuwon einen der besten Center der NBA-Geschichte. "The Dream" dominierte unter den Brettern und führte Houston zum Repeat. Und da dominante Center spätestens seit Olajuwon und Ralph Sampson im Lonestar-State nun mal Tradition haben, setzten GM Daryl Morey, Kevin McHale, Chandler Parsons, setzte die gesamte Franchise, alles daran, Dwight Howard im Sommer nach Texas zu holen.
Und es gelang tatsächlich. D12 entschied sich gegen Los Angeles, gegen Dallas, im Grunde gegen die halbe Liga und unterschrieb in Houston. Der Plan: Um Howard und James Harden soll mit den Assets Chandler Parsons und Jeremy Lin ein Championship-Team entstehen.
Das Asik-Experiment
Entstehen. Denn im Grunde erwartete wohl niemand, dass die Rockets die Liga direkt im ersten Anlauf erobern würden. Schließlich hatten selbst die großen Drei vom Southbeach eine bittere Finals-Pleite benötigt, ehe sie die Courts zwischen L.A. und New York in den vergangenen beiden Jahren zu dominieren wussten.
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Zudem musste das Team seinen Stil umstellen. Wo vergangene Saison noch wild drauflos gelaufen und geworfen wurde, sollte nun selbstverständlich Nutzen aus Howards Präsenz am Brett gezogen werden. Anpassungsschwierigkeiten waren da zu erwarten gewesen. Und tatsächlich suchte Coach McHale zu Saisonbeginn nach seiner optimalen Formation. Er stellte Howard Ömer Asik an die Seite, musste allerdings schnell erkennen, dass zwei Fünfer, die hauptsächlich in Korbnähe punkten, defensiv zwar durchaus imposant daherkommen, sich offensiv aber zu sehr gegenseitig im Weg stehen.
Das heißeste Team 2014
So gewannen die Rockets zunächst zwar ihre Spiele, mit möglichen Titelambitionen wollte sie jedoch niemand so recht in Verbindung bringen. In der Silvester-Nacht muss jedoch etwas passiert sein. Denn mit einem Mal wurde aus dem soliden Playoff-Team Houston Rockets das kaum bezwingbare Ungeheuer Houston Rockets. 30 Spiele haben die Texaner 2014 absolviert, verloren wurden davon lediglich sieben. Kein anderes Team war in diesem Jahr erfolgreicher. Nicht die Pacers, nicht die Heat auch nicht Oklahoma City oder San Antonio.
Zudem ging der klaren Pleite in Chicago und der hitzigen Niederlage bei den Thunder eine Woche voraus, in der Houston aller Basketballwelt noch einmal vor Augen führte, wozu es im Stande ist. Nacheinander wurde Miami, Indiana und Portland geschlagen. Selbst die sonst so starke Defense der Pacers wusste ob Houstons Offensivwucht überhaupt nicht, wie ihr geschah.
Nun dürfte sich mittlerweile jedoch herumgesprochen haben, dass die Rockets durchaus im Stande sind, heißzulaufen, um dann wirklich jeden Gegner aus der Halle zu schießen. Zweifel bestehen dagegen an Houstons defensivem Leistungsvermögen. "Championship-Teams verteidigen jede Nacht auf höchstem Level. Das musst du während des Jahres einüben, allerdings braucht es Zeit. Es ist noch zu früh, zu sagen, ob Houston diesen Aspekt hat", hatte Steve Kerr zu Saisonbeginn gesagt.
Verbesserte Defense
Nachdem die Clippers Houston dann auch noch 138 Punkte eingeschenkt hatten, durfte zumindest daran gezweifelt werden. Seit November ist jedoch einige Zeit vergangen und die Rockets scheinen sich defensiv tatsächlich zu finden. Gegen die - zugegeben - offensiv teilweise wenig beeindruckenden Pacers ließen sie lediglich 88 Punkte zu. Im Jahr 2014 verteidigen sogar nur sechs Teams besser als Houston.
Und das, obwohl sich James Harden wohl weiterhin lieber von seinem akkuraten Bart trennen würde als ein gesamtes Spiel über intensive Defense zu spielen. Dafür steht Houstons Topscorer mit Patrick Beverley nun das genaue Gegenteil zur Seite. Der Playmaker verbeißt sich gerade zu in seinen Gegenspieler, setzt ihn unaufhörlich unter Druck und spielt dabei so physisch, dass selbst die Bad Boys aus Detroit ihre wahre Freude gehabt hätten. Geht es darum, dem Ball nachzujagen zähle er "zu den besten der Liga", sagt beispielsweise Bulls-Coach Tom Thibodeau. Und der muss es schließlich wissen.
"Das ist kein Basketball", schimpfte dagegen Damian Lillard zuletzt und zeigt damit gleichzeitig, dass Beverley exakt das mitbringt, was den Rockets bislang ein wenig fehlte. Härte. So provoziert er nicht nur Turnover, sondern den Gegner auch zur einen oder anderen unüberlegten Aktion. Andererseits vermag er seine Teamkollegen durch seinen unermüdlichen Einsatz anzustacheln - kein unwesentlicher Fakt in den Playoffs.
Howard zurück zu alter Stärke
Nun müsste sich Beverley unter Umständen allerdings ein wenig zurückhalten, stünden in der Zone nicht knapp 2,11 Meter bereit, um zum Korb ziehenden Guards ganz schnell die Freude am Drive zu nehmen. Dwight Howard, einst Defensive Player of the Year, hebt die Defense der Rockets tatsächlich noch einmal auf ein neues Level. Auch weil er mittlerweile wieder deutlich mehr mit jenem D12 gemein hat, der die Orlando Magic 2009 in die Finals führte, als mit jenem , der Kobe Bryant vergangene Saison sicherlich mehr als nur eine schlaflose Nacht bereitete.
18,6 Punkte, 12,3 Rebounds und 1,8 Blocks legt er in dieser Saison auf und stellt damit, wenig überraschend, ein deutliches Upgrade zu Ömer Asik dar. Mittlerweile haben die Rockets auch begriffen, wie sie ihren Center offensiv auch besser einzusetzen haben. Ob nun einfach im Low-Post, nach Pick-and-Rolls oder Cuts - Howard bekommt den Ball regelmäßig und lässt dies seine Mitspieler auch nur selten bereuen.
So beansprucht er natürlich die Aufmerksamkeit gegnerischer Defenses, was den Schützen wiederum mehr Platz lässt. Chandler Parsons liegt aus der Distanz beispielsweise knapp über seinem Karriereschnitt (37,7 Prozent gegenüber 37,2 Prozent) und auch James Harden profitiert nur allzu gern.
Harden hat gelernt
Der Bart scort zwar etwas weniger als vergangene Saison (24,6 Punkte gegenüber 25,9), trifft im März aber fast 50 Prozent seiner Würfe (48,8) und scheint seine Wurfwut zusehends in den Griff zu bekommen. Beim 106:103 gegen Miami nahm Harden lediglich 15 Würfe, traf 9 und beendete die Partie mit 21 Zählern. Als in Chicago nichts fallen wollte, hatte er ein Einsehen und nahm am Ende nur 7 Würfe (2 Treffer). Zwar scheut er die Isolation weiter nicht, insgesamt bringt Harden die Offense mittlerweile allerdings deutlich seltener zum Erliegen.
Bliebe noch Jeremy Lin, das größte und vielleicht einzige Sorgenkind der Rockets. Eigentlich soll der Point Guard als sechster Mann Punkte von der Bank bringen. Wirklich funktioniert hat das zuletzt allerding nur selten. Auf 9,8 Punkte kommt Lin in den letzten zehn Spielen und trifft dabei lediglich gut 40 Prozent seiner Würfe. Wollen die Rockets in den Playoffs weit kommen, benötigen sie definitiv eine Steigerung ihres Sixth Man.
So oder so, an Selbstbewusstsein mangelt es Houston nicht. "Wir denken, dass wir das beste Team der Liga sind", sagte Chandler Parsons nach dem Comeback-Sieg gegen Portland. "Wir werden nicht arrogant, aber denken, dass wir mit jedem mithalten können." Solange sie alles geben, natürlich.